Vor Jahrhunderten nahm die Stadt Trier einen Kredit von 4.000 Goldgulden auf und zahlt seitdem Schuldzinsen an eine Kirchengemeinde. Die zeigte sich jetzt kooperativ.
Trier – Mit weißen Handschuhen berühren Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) und Francesco Roberg, Leiter der wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt, vorsichtig das jahrhundertealte Kanzlei-Schreiben von Kurfürst Johann von Schönenberg. 4.000 Goldgulden als Schulden der Stadt und das Zahlen der Zinsen an die Kirche sind darin festgeschrieben. Über viele Jahre, sehr viele Jahre. Am Ende werden mehr als 430 Jahre vergehen, bis 2024 damit Schluss ist.
Seit diesem Jahr verzichtet die katholische Pfarrei Liebfrauen auf die Rückzahlung dieser historischen Schulden, die die Stadt Trier mehr als vier Jahrhunderte lange bediente. „Den heute in der Pfarrei Verantwortlichen erschien es nach Abwägung aller Argumente angebracht, jetzt so zu entscheiden und hier einen Schlussstrich zu ziehen“, berichtet Markus Nicolay, Pfarrer der Pfarrei Liebfrauen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Der Verzicht auf den ursprünglichen Kredit von 4.000 Goldgulden sei der heutigen Kirchengemeinde umso leichter gefallen, als die letztlich Begünstigten nicht schlechter gestellt würden. „Bisher hat die Pfarrei den jährlichen Zinsertrag karitativen Zwecken zugewandt, jetzt tut dies die Stadt Trier“, freut sich der Pfarrer. Es geht um die jährliche Zinszahlung der Stadt Trier, die sich als Deutschlands älteste Stadt bezeichnet, von zuletzt 362,50 Euro. Das sind etwa 99 Cent pro Tag.
Diese Summe wird bisher ausbezahlt, weil einst der Stadtschultheiß Dietrich Flade der Stadt Trier 4.000 Goldgulden geliehen hatte, damit diese einen Prozess gegen den Kurfürsten und Erzbischof führen konnte. Nach Angaben der Stadt Trier entspricht dieser Kredit heute einer Millionensumme. Flade war kurfürstlicher Rat, Professor, zeitweise Rektor der Universität und hoher Richter, der in Hexenprozessen Todesurteile fällte. Als reicher Mann konnte er Trier Kredit geben.
Doch schließlich wurde Flade selbst beschuldigt, an Hexerei-Veranstaltungen teilgenommen zu haben. Er wurde am 8. September 1589 als Hexer hingerichtet, nachdem er selbst Frauen als vermeintliche Hexen zum Tode verurteilt hatte.
Mit seinem Tod fiel der Schuldschein an den Erzbischof und Kurfürsten. Und dieser verfügte, dass die Stadt die Zinsen für diese 4.000 Goldgulden an die Trierer Innenstadtpfarreien zahlen müsse. Nutznießer des Urteilsspruchs sollte die städtische Gemeinschaft für einen „guten Zweck“ werden. Da es kein staatliches Sozialsystem gab, waren Kirchen oder Klöster für die soziale Fürsorge zuständig.
Als Rechtsnachfolgerin der damaligen Stadtverwaltung erfüllte Trier mehr als 430 Jahre lang die entsprechenden Verpflichtungen – über alle Währungsreformen und staatlichen Zugehörigkeiten hinweg. Zuletzt wurde die Bedienung der Schulden in den 1990er Jahren von D-Mark in Euro übertragen. „Wir haben immer weiter gezahlt. Einfach deshalb, weil es offenbar in der Verwaltung niemanden wirklich interessierte?“, sagt Oberbürgermeister Leibe, der als oberster Kämmerer der Stadt auf die historische Verpflichtung stieß. Die Stadt ging auf die Kirche zu, woraufhin die Kirche ihr am Ende den Kredit erließ und gemeinsam mit der Stadt eine zukunftsfeste Lösung für die Zahlung der Zinsen suchte.
Stadt und Kirchengemeinde wollen künftig auch gemeinsam entscheiden, welche Organisation, die sich für Opfer von Verfolgung, Diskriminierung und Gewalt einsetzt, die 362,50 Euro pro Jahr erhalten soll. Der historischen Verpflichtung entsprechend ist auch dies vertraglich dokumentiert. Der neue Vertrag ist rückwirkend zum 1. Januar 2024 unterzeichnet worden, eine Befristung der städtischen Zahlungen enthält er nicht.