Nach Ansicht des Historikers Heinrich August Winkler drohen in Deutschland trotz der jüngsten Angriffe auf Politiker keine Weimarer Verhältnisse.
Berlin – Nach Ansicht des Historikers Heinrich August Winkler drohen in Deutschland trotz der jüngsten Angriffe auf Politiker keine Weimarer Verhältnisse. Die Staatskrise der ersten deutschen Demokratie sei mit der schwersten Wirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts zusammengefallen, sagte Winkler der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Die Nationalsozialisten und Kommunisten hätten 1932 mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten und die junge Republik sei in die Situation eines Staatsnotstands geraten. Von solchen Verhältnissen sei Deutschland heute weit entfernt.
Es gebe kein soziales Massenelend wie in den frühen 1930er Jahren und die Bundesrepublik befinde sich nicht in einer Depression, so der Historiker. Winkler: „Die Bundesrepublik hat aus den Fehlern von Weimar gelernt. Das Bonner Grundgesetz, das vor 75 Jahren in Kraft trat, hat eine wehrhafte Demokratie geschaffen, die dem Staat die Mittel zur Verfügung stellt, die er braucht, um die Feinde der freiheitlichen Ordnung in die Schranken zu weisen.“
Zugleich betonte Winkler, dass das Ausmaß des nationalistischen Extremismus von rechts in ostdeutschen Ländern kein Zufall sei. In der DDR habe es keinen Spielraum für freie politische Diskussionen und Kämpfe um parlamentarische Mehrheiten gegeben. Unter der Decke eines offiziellen „Antifaschismus“ hätten sich illiberale und nationalistische Denktraditionen aus der Zeit des Obrigkeitsstaates in größerem Umfang behaupten können als im Westen Deutschlands.
Zudem sei nach der Friedlichen Revolution von 1989 und der Wiedervereinigung im darauffolgenden Jahr die politische Bildungsarbeit in den östlichen Bundesländern sträflich vernachlässigt worden. „Das alles wirkt bis heute nach“, so der Historiker. Winkler warb dafür, dass „die Freunde der liberalen Demokratie“ sich von den Gegnern nicht in die Defensive drängen lassen. Nirgendwo dürfe Extremisten gestattet werden, an der Regierungsmacht teilzuhaben. Dabei könne es für demokratische Parteien erforderlich sein, eine Minderheitsregierung anderer demokratischer Parteien zu tolerieren.