Das deutsche Grundgesetz hat aus Sicht des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, weiteren Modernisierungsbedarf.
Hamburg – Das deutsche Grundgesetz hat aus Sicht des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, weiteren Modernisierungsbedarf. „In einer Welt, die sich in einer solchen Geschwindigkeit verändert, wie das im Augenblick der Fall ist, müssen sich auch Verfassungstexte fortentwickeln“, sagte Harbarth in einem „Spiegel“-Interview (Samstag). Als Beispiel nannte er etwa Cyberangriffe auf die öffentliche Infrastruktur. Es sei fraglich, ob das Grundgesetz in seiner aktuellen Ausgestaltung dieser Form der modernen Kriegsführung gerecht werden könnte.
Gleichzeitig äußerte der Verfassungsgerichtspräsident Sorge, dass es durch die fortschreitende Gesetzgebung der Europäischen Union zu Überlagerungen kommen könnte. Für die europäische Integration habe es der Unterordnung des deutschen unter EU-Recht bedurft, sagte Harbarth. „Man muss sich allerdings fragen, ob die europäische Gesetzgebungsmaschinerie mit etwas zu großer Schlagzahl läuft.“ Die EU erlasse täglich mehr als sechs Rechtsakte. „Das ist wahrlich viel. Selbst für spezialisierte Juristinnen und Juristen ist es oft schwierig, dem zu folgen.“ – Das Grundgesetz trat vor knapp 75 Jahren, am 23. Mai 1949 in Kraft.
Harbarth warnte ferner vor einer Ausbreitung verfassungsfeindlicher Tendenzen auch in Deutschland. „Wir spüren im Grunde in allen westlichen und in allen freiheitlichen Demokratien westlicher Prägung: Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit sind nicht so sicher wie gedacht.“ Als Gründe dafür sieht er zahlreiche Krisen, die derzeit zu Verunsicherung und Überforderung führten und auf die sich die Menschen antworten wünschten. „Es gibt eben diese Sehnsucht nach dem vermeintlich Klaren, Erfolgreichen, Eindeutigen. Die bedienen autoritäre Führungsmodelle vordergründig besser als freiheitliche Demokratien.“
Die politischen Parteien forderte der Verfassungsrichter auf, weiter im Gespräch zu bleiben. Eine Diskursverweigerung könne nicht zur Lösung der Probleme beitragen. „Aber es ist natürlich legitim, die Zusammenarbeit mit jenen zu verweigern, die mit Demokratie und Freiheit nicht viel am Hut haben.“ Verbotsanträge gegen mutmaßlich verfassungsfeindliche Parteien seien aber nicht zwingend geboten. „Nach dem Modell des Grundgesetzes kann es Parteien geben, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nichts anzufangen wissen und trotzdem nicht verboten werden“, betonte Harbarth.