Wo Joseph glücklich ist

Burma: Das Don-Bosco-Jugendzentrum in Mandalay bildet Jungen aus, die sonst keine Chance auf Bildung hätten

„Wow – bei mir hat gerade einer angebissen!“ Aufgeregt holt Joseph seine Angel ein. Genauer gesagt zieht er an dem einfachen Bambusstock, um den er eine dünne Schnur samt Haken und Köder geschlungen hat. Wie so oft in seiner Freizeit sitzt der 13-Jährige gemeinsam mit Freunden am Teich auf dem Gelände des christlichen Jugendzentrums der Salesianer Don Boscos. Mit ihren Fängen erweitern die drei Jungen den Menüplan der zurzeit 30 Schüler, die im Zentrum leben. Es steht am Rande der Stadt Mandalay in Burma (politisch Myanmar genannt) und ist momentan Josephs neue Heimat. Der großgewachsene, schlanke Junge nimmt an einem dreimonatigen Kurs teil, in dem er die Grundlagen der Elektrik lernt.

Schulabbrecher und Tagelöhner

Joseph ist weit weg von seiner Heimat und seiner Familie. Der Junge stammt aus einer zehnköpfigen Familie aus der Millionenmetropole Yangun. Wie so viele Gleichaltrige in seinem Land hat auch er die Schule nach der fünften Klasse abgebrochen. „Ich war auf einer staatlichen Schule und habe dort fast gar nichts gelernt“, sagt der Junge verschämt, während er seine Angel in der Ecke eines Schuppens verstaut. Nach einer Weile erzählt Joseph von der Zeit danach, während der er als Tagelöhner auf einem Bauernhof
gearbeitet hat. Anstrengend war das, und wenn es nichts zu tun gab, gab es auch keinen Lohn. „Gern hätte ich eine richtige Ausbildung gemacht, aber meine Eltern hatten kein Geld dafür“, sagt Joseph. Sein Vater und seine Mutter schaffen es kaum, ihre acht Kinder zu ernähren. Geschweige denn, ihnen eine Ausbildung zu finanzieren.
Die für Joseph frustrierende Situation änderte sich erst, als seine Schwester eine Stelle als Köchin bei einem Salesianer bekam. Dort verdient sie umgerechnet 40 Euro im Monat. Das ist für deutsche Verhältnisse zwar unvorstellbar wenig, aber in einem armen Land wie Burma lässt sich damit schon etwas bewegen. Josephs Schwester legte monatelang einen Teil ihres Gehalts beiseite.
Mit dem Ersparten ermöglichte sie dann dreien ihrer Brüder – dem 23-jährigen Soe Moe, dem 18-jährigen Htun Lin und eben Joseph –, am Ausbildungsprogramm der Salesianer teilzunehmen. Die Ordensmänner erheben zwar keine feste Gebühr für ihr Angebot, wünschen aber zumindest eine Beteiligung oder Spende. „Unsere Auswahlkriterien sind ganz einfach: Wer zu den Ärmsten der Armen gehört, bekommt bei uns eine Chance“, erklärt Pater Peter. Jedes Jahr nimmt er 80 bis 100 Jugendliche aus dem ganzen Land auf und bildet sie aus. In diesem Jahr zählt auch Joseph zu den Glücklichen.

Schritt für Schritt lernen die Brüder Schritt für Schritt lernen die Brüder Htun Lin, Joseph und Soe Moe (v.r.) im Don-Bosco-Jugendzentrum in Mandalay, wie man alte Elektronikgeräte repariert. Foto: Ruth Bourgeois/Storymacher

Schritt für Schritt lernen die Brüder Schritt für Schritt lernen die Brüder Htun Lin, Joseph und Soe Moe (v.r.) im Don-Bosco-Jugendzentrum in Mandalay, wie man alte Elektronikgeräte repariert. Foto: Ruth Bourgeois/Storymacher


Joseph ist hier ganz in seinem Element

Während seiner dreimonatigen Lehre hat Joseph wenig Kontakt zu seinen Eltern. „Einen längeren Anruf kann ich mir nicht leisten. Und meine Eltern haben ja auch gar kein Telefon, sie müssten zu den Nachbarn laufen. Und das würde zu lange dauern.“ Auf Heimweh angesprochen, lächelt Joseph. „Zwei meiner Brüder sind ja auch hier. Sie schlafen zwar im Schlafraum der Großen, aber tagsüber bin ich mit ihnen zusammen.“ Außerdem hat Joseph hier so viel zu tun, dass er gar nicht ins Grübeln kommt.  Der Tag im Jugendzentrum beginnt für Joseph und seine Kameraden um sechs Uhr. Frühstück gibt es um 7 Uhr. Danach wird erst einmal aufgeräumt, gelüftet, werden die Betten ausgeschüttelt und es wird gefegt, bis die Schlafräume blitzsauber sind. Die Jugendlichen schlafen auf einfachen, geflochtenen dünnen Matten auf dem Holzfußboden. Am Kopfende liegt ein Stapel mit Kleidung und die wenigen Habselig­keiten der Jungen – Bücher, Seife, Taschenlampen. Einen Kleiderschrank gibt es nicht, die Anziehsachen hängen an Leinen, die quer durch das Zimmer gespannt sind.
Pünktlich um neun Uhr geht es los mit dem Unterricht. Die Kurse finden im Erdgeschoss statt. Bis zwölf Uhr sitzen die Jungen an Computern oder büffeln aus Büchern Theorie. Nachmittags steht in einem kleinen Raum Elektronikunterricht an. Vor den 12 Schülern liegen ausgediente Elektrogeräte, die sie mit Schraubenzieher und Lötkolben bear­bei­ten. An einfachen Holztischen und Holzbänken, die die Jugendlichen selbst gebaut und hellblau angestrichen haben, nehmen sie alte Platinen auseinander, schrauben an kaputten Ventilatoren und löten an Stromanschlüssen.
Joseph ist hier ganz in seinem Element. „Am liebsten repariere ich alte TV-Geräte und Ventilatoren. Wenn Pater Peter sie verkaufen kann, bekommen wir alle dafür Lebensmittel“, freut er sich. Seine beiden Brüder sitzen am Nebentisch und reparieren das Kabel einer Lampe. Emsig arbeiten die anderen Jugendlichen, tief gebeugt über Haushaltsgeräte wie Wasserkocher und Kühlschränke. Wieder andere zerlegen und reparieren Klima­an­la­gen – ein großes Thema in einem heißen Land wie Burma.

Nach der Ausbildung eine eigene Firma

Wenn er keinen Küchendienst hat, spielt Joseph vor dem Abendessen gerne noch ein wenig auf einer elektronischen Orgel. „Mein neuer Freund Cheo hat mir das Spielen beigebracht. Er hat seinen Schlafplatz neben mir und erklärt mir abends die Noten“, erzählt Joseph. Seitdem ist das Musizieren neben dem Angeln zu seiner Lieblingsbeschäftigung geworden. Vorsichtig bedient er die Tasten und stimmt ein Lied an. „Ein paar Töne funktionieren nicht mehr auf dem Instrument, und bisher hat es keiner von uns geschafft, den Fehler zu beheben“, versucht Joseph die Misstöne in seinem Spiel zu entschuldigen. „Wir sind sehr vorsichtig mit der Orgel, denn Pater Peter hat das Gerät nur ausgeliehen. Sein Besitzer hofft, dass unsere Elektronik­klasse das Problem mit den Tönen irgendwann in den Griff bekommt.“
Zwei Monate ihrer Ausbildung haben Joseph und seine Brüder schon hinter sich. Nun bereiten sie sich auf die Zeit danach vor. Pater Peter hilft ihnen dabei. Er hat gute Kontakte zu den Geschäftsleuten in Mandalay und bemüht sich, seine Schü­ler nach dem Ausbildungs­pro­gramm in einer der vielen aufstrebenden Firmen unterzubringen.
Viele Jungen kehren aber auch in ihre Heimat zurück – so wie die drei Brüder. Sie haben vor, in Yangun eine kleine Firma zu gründen. „Damit wollen wir unserer Schwester einen Teil dessen zurückgeben, was sie für uns getan hat“, erklärt Joseph, während er seinen Arbeitsplatz in der Elektronikklasse aufräumt. „Wir drei werden von Tür zu Tür gehen und unsere Reparaturdienste anbieten – so funktioniert das in unserer Heimat.“
Peter Beyer