„Die größte Sorge, die momentan in Rio de Janeiro geteilt wird, ist, dass nach den Olympischen und Paralympischen Spielen sämtliches Geld für das Gesundheitswesen und das Sozialwesen aufgebraucht sein wird.“ Während die Sportwelt noch bis zum Wochenende fasziniert nach Brasilien blickt und die Jagd nach Medaillen verfolgt, denkt Stephan Jentgens, Geschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat (Essen), mit Sorge an die Zukunft.
Weil der Bundesstaat Rio de Janeiro zahlungsunfähig sei und die zur Olympiade gewährten Finanzmittel nach den Spielen aufgebraucht, sei unklar, wie Menschen in den Bereichen Bildung, Sicherheit und Gesundheit weiter bezahlt werden sollten. „Alle Sozialprojekte stehen vor der Frage, wie es finanziell weiter gehen soll“, berichtet Jentgens im Interview mit der unabhängigen katholischen Wochenzeitung Neues Ruhr-Wort (Ausgabe vom 20. August 2016). Werke wie Adveniat seien solidarisch und politisch „über eine Durststrecke hin gefordert“. Jentgens: „Es kommt noch viel Arbeit auf uns zu und es wird eine schwierige Zeit für die Menschen in Rio de Janeiro. Ich vermute, dass am Ende die benachteiligten Menschen weniger zu den Gewinnern der Olympischen Spiele gehören, sondern nur die Menschen, die vorher bereits Geld hatten.“
Das vollständige Interview erscheint in unserer gedruckten Ausgabe 33/2016 vom 20. August. Ihnen gefallen unsere Themen? Hier geht es zum bequemen Print-Abo
Zu den Verlieren zählen auch die Indigenen Völker. Ihr Lebensraum, ihre Kultur und ihr Gemeinwesen sind gefährdet, erklärt Jentgens, der auch Sprecher des deutsch-brasilianischen Aktionsbündnisses „Rio bewegt. Uns.“ ist. „Die Menschen, die in Europa und Nordamerika Entscheidungen treffen, haben die Macht den indigenen Lebensraum und ihr Lebensmodell zu gefährden.“ Dabei biete genau dieses Lebensmodell auch der westlichen Welt eine Alternative, um den globalen Herausforderungen zu begegnen. Jentgens: Wir müssen uns politisch daran erinnern, dass das Wirtschaftsmodell des Immer-Weiter-Wachsens an seine Grenzen kommt. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Indigenen mit ihrem Wirtschaftsmodell für die westliche Welt eine Alternative sind. Nachhaltigkeit und Einklang mit der Natur könnte eine neue, wirtschaftliche und soziale Perspektive sein.“
Stephan Jentgens, der gerade aus Rio zurückgekehrt ist, zieht eine gemischte Olympia-Bilanz: Während die Wettbewerbe, die Adveniat mit Menschen aus seinen Partnerprojekten besucht hat, mitreißen und der friedliche Umgang der Sportler miteinander begeistere, sieht der Adveniat-Geschäftsführer auch die Schattenseiten: Er merke, „dass ich das alles nicht unbegrenzt anschauen kann. Weil ich an die Menschen dachte, die auf Müllhalden oder der Straße leben und gar nichts haben, die jeden Tag schauen müssen wie sie über die Runden kommen. Ich dachte an die Flüchtlinge, die nach Brasilien kommen und die nichts haben, außer die Hoffnung, dass ihre Familie irgendwann mal zusammengeführt wird. Das ist alles sehr ernüchternd. Dann merkt man, dass Olympia ein großer Zirkus ist, der irgendwo seine Zelte aufschlägt und in Rio de Janeiro recht wenig mit den benachteiligten Menschen vor Ort zu tun hat.“