Wertewandel: Gewinn oder Verlust?

Foto: F. Gopp/pixelio.de

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Was macht das Leben lebenswert? Und was macht einen Menschen liebenswert? Zugegeben, diese Fragen sind eher abstrakt und allgemein gehalten. Aber sie erhalten eine persönliche Zuspitzung, wenn sie unser eigenes Leben und unser Zusammenleben mit lieben Menschen in Ehe, Familie, Freundeskreis meinen. Was macht dann ganz konkret mein Leben lebenswert? Und was macht die Menschen, an denen mir so viel liegt, dann über alles liebenswert? Es geht zu guter Letzt um Wertschätzung – den Wert von Leben und den Wert von Menschen richtig „einzuschätzen“. Was uns besonders wertvoll erscheint, das bezeichnen wir mit großer Dankbarkeit als Schatz, als etwas Kostbares – und lassen uns das auch etwas „kosten“ an persönlichem Engagement und liebevoller Zuwendung.

„Heute kennt man von allem den Preis, von nichts mehr den Wert“, klagte schon vor etlicher Zeit der amerikanische Schriftsteller Oscar Wilde. Pessimisten bestätigen diesen Befund und verweisen darauf, dass in der Wertepyramide zusehends materielle Werte die Spitzenplätze einnehmen. Wer an einem verkaufsoffenen Sonntag den Trubel in den Innenstädten beobachtet, wird darunter so manche Menschen im „Kaufrausch“ entdecken können. Um welchen Preis geschieht das alles? Gehen da nicht Werte verloren, die das Leben eigentlich erst lebenswert machen? Ein weiterer Trend scheint den Werteverlust zu bestätigen: In Zeiten der Selfies und der Twitterkönige inszenieren immer mehr (junge) Menschen sich selbst und ihr angeblich so aufregendes Leben. Das „Ich“ spielt sich in den Vordergrund und steht an erster Stelle! Auf den ersten Blick ein faszinierendes Schauspiel! „Der Schein trügt“, mahnt eine alte Volksweisheit.

Der zweite, etwas kritischere Blick bricht diese Scheinwelt auf und sucht nach einem Mehr-Wert an Leben, der über die materiellen Güter hinausgeht und dabei (hoffentlich) die ideellen Werte menschlichen Lebens entdeckt. „Ich habe drei Schätze, die ich hüte und hege: Der eine ist die Liebe, der zweite ist die Genügsamkeit, der dritte ist die Demut“, so die wertschätzende Botschaft des chinesischen Philosophen Laotse, verkündet bereits im 6. Jahrhundert vor Christus. Und sie hat – bis in unsere Tage – an Aktualität nichts verloren. Ein grundlegender Wertewandel zeichnet sich ab und hat längst den Alltag der Menschen erreicht. Gab es früher noch eindeutige Wertevorgaben, so erleben wir heute eine mehrdeutige Wertevielfalt. Wie bei allen Entwicklungen und Trends gibt es Vor- und Nachteile, Zugewinn und Verlust, Chancen und Gefährdungen.

Dem „Mehr“ an Freiheit, Autonomie und individueller Lebensgestaltung steht offensichtlich ein „Weniger“ an Gemeinsinn, sozialer Stabilität und Verbindlichkeit gegenüber. Bisherige Sicherheits- und Solidaritätsstrukturen drohen verloren zu gehen und verunsichern die Menschen, junge wie alte. Denn die neuen Freiräume zwingen zu persönlichen Entscheidungen. Wir können nicht nur zwischen mehreren Möglichkeiten und Angeboten entscheiden, wir müssen es auch! Wer gibt uns in dieser noch relativ neuen Situation Auskunft über die entscheidenden Lebenswerte? Und wer gibt uns Antwort auf die bedrängenden Fragen „Wer bin ich?“ und „Was soll, was muss ich tun?“ Beides, die „Ich-Werte“ und die „Wir-Werte“, den Eigensinn und den Gemeinsinn miteinander in Einklang zu bringen, ist die große Herausforderung unserer Zeit. Sie anzunehmen als eine Lebensaufgabe – buchstäblich ein Leben lang –, lohnt sich allemal! „Weise Lebensführung gelingt keinem Menschen durch Zufall. Man muss, so lange man lebt, lernen, wie man leben soll“, behauptet wohl zurecht der weise Römer Seneca.

Christen sehen sich durch das Hauptgebot der Liebe „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ unmissverständlich aufgefordert sowohl zur Nächstenliebe als auch zur Selbstliebe. Nur wer sich selbst annehmen kann, wird auch den Anderen annehmen können. Und nur wer von seinen Nächsten geliebt wird, wird sich selbst lieben lernen. Die Liebe macht das Leben lebenswert und die Menschen liebenswert. Diese menschliche Liebe gründet in der Liebe Gottes zu uns Menschen. Er selbst hat sich in diesem Sinne offenbart: JAHWE – „Ich bin der, der für euch da ist“. Darauf können wir bauen – unser persönliches Leben wie unser Zusammenleben mit den Nächsten!

privat_03_neysters_ehe_730x_Peter Neysters

Der Autor ist ehemaliger Leiter der Abteilung
Ehe und Familie sowie
Sakramentenpastoral
im Bistum Essen