Der Priesterberuf in der Sackgasse? Franz Decker, Kölner Pfarrer und Caritasdirektor im Ruhestand, möchte das so nicht unterschreiben: „Ich finde, die Gemeindearbeit ist in der Sackgasse, und damit ist die Kirche in der Sackgasse.“ Nun müsse es darum gehen, über die Arbeit noch einmal so nachzudenken, „dass gewendet wird, dass man aus der Sackgasse rauskommt“.
Gemeinsam mit zehn Co-Autoren hat er im Januar dieses Jahres aus Anlass des gemeinsamen Goldenen Priesterjubiläums einen Offenen Brief über den Zustand der Kirche und des Priesterberufes geschrieben. Die elf Priester berichten über Enttäuschungen, Hoffnungen – und darüber, warum der Zölibat für sie selten eine spirituelle Quelle war. Sie blickten auf die Krise des Glaubenslebens in Deutschland und skizzieren Wegweiser in die Zukunft. Dazu zählen sie auch die Zulassung der Frauen zu den Weiheämtern, die Lockerung des Zölibats und die Möglichkeit der konfessionsübergreifenden Teilnahme an Eucharistie und Abendmahl.
In der vorigen Woche war Decker in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ zum Thema „Der Priesterberuf in der Sackgasse? Kurskorrekturen und Wendemanöver“ zu Gast – zusammen mit Thomas Frings: Der ehemalige Pfarrer aus Münster hatte im vorigen Jahr unter hohem öffentlichen Interesse sein Amt als Pfarrer niedergelegt; über seine Gründe hat er inzwischen ein Buch vorgelegt. Priester zu sein, sei immer noch seine Berufung, als Priester liege ihm viel an der Kirche. „Hättest du geheiratet, wäre es für alle leichter“, zitierte Frings einen Mitbruder: „Der Zölibat und der Bischof wären Schuld und wir könnten weitermachen wie bisher.“
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Frings und Deckers berichteten über viele kritische Reaktionen auf ihre öffentlichen Äußerungen. Er sei als „der Fahnenflüchtige“ oder „der Kneifer“ bezeichnet worden, so Frings. Unter den Bischöfen sei der Essener Franz-Josef Overbeck der einzige gewesen, der ihm einen „sehr netten Brief“ geschrieben habe. Die Kölner Priester haben auf ihren Offenen Brief keine Antwort ihrer Bistumsleitung erhalten, berichtete Decker. Es sei wohl einfacher, „es nicht zur Kenntnis“ zu nehmen und einfach zur Tageordnung überzugehen. „Ich glaube, es steckt auch ein gutes Stück Angst dahinter.“
„Es geht ja nicht nur um den Priesterberuf, sondern um die Situation der Kirche in der Gesellschaft. Die Kirche steht weit weg von den Menschen – welche Konsequenz ziehen wir daraus?“
Klaus Pfeffer, Generalvikar des Bistums Essen, der vor gut 25 Jahren zum Priester geweiht wurde, sagte: „Es ist gut, dass es Priester gibt, die den Mut haben, es beim Namen zu benennen, wie sie es empfinden.“ Es gehe „vielen von uns in vielen Situationen nicht gut“ und es falle schwer, darüber zu sprechen. „In der Kirche wird viel geredet und getuschelt, dadurch haben wir eine Atmosphäre, wo alles unterm Teppich bleibt“, so Pfeffer weiter Deswegen habe er die Äußerungen „so bemerkenswert“ gefunden. „Das hat mich schwer beeindruckt.“ Kritik an großen’ Gemeindeverbänden Auch er könne nicht vorhersehen, wie die Kirche sich in den nächsten Jahren entwickeln werde, sagte Pfeffer: „Es geht ja nicht nur um den Priesterberuf, sondern um die Situation der Kirche in der Gesellschaft. Die Kirche steht weit weg von den Menschen – welche Konsequenz ziehen wir daraus?“
Christoph Wichmann, Propst der Oberhausener Pfarrei St. Pankratius, bekannte, er sei „noch mit großer Freude Pfarrer“, verdeutlichte aber auch seine Probleme in der Rolle als Pastor, in der er für drei Gemeinden zuständig ist: „Wir haben sechs Kirchorte, aber ich kann die Osternacht nur an einem feiern.“ Wichmann berichtete auch über Wahrnehmungen eines Pfarrers als „personifizierter Abrissbirne“, weil er der vor Ort Verantwortliche sei. Doch sei ein Priester „nicht das Gegenüber von Gemeinde, sondern Teil von Gemeinde“. Franz Decker kritisierte immer größere Gemeindeverbände. Es werde immer mehr zusammengelegt und damit „die Gesprächsfähigkeit zwischen Pastor und Gemeinde strukturell zerstört“. Wenn die Gemeinden überleben wollten, müsse die Leitungsaufgabe geklärt werden. „Aber davor drückt sich die Kirchenleitung“, so Decker.
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Sabine Wengelski-Strock, Supervisorin, Organisationsberaterin und Coach auch im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz sprach von einer „Zweiklassengesellschaft in der Kirche“ – zwischen Frauen und Männern, aber auch zwischen Geweihten und Nichtgeweihten. Darüber müsse diskutiert werden, „weil es an vielen Stellen kluge Menschen aus Diskursen rauswirft“. Sie beurteilte den erzwungenen Zölibat grundsätzlich kritisch: „Wir Menschen sind Gemeinschafts- und Beziehungswesen.“ Es sei „hochproblematisch“ Menschen zum Einsamsein zu zwingen. Durch mangelnden Kontakt würden Priester häufig auf ihre Rolle reduziert. Das sei fatal und führe zu einer „psychischen Engführung“, die Gefühle und innere Konflikte abschneide.
Frings und Decker berichteten, das große Glück gehabt zu haben, im Pfarrhaus immer in Gesellschaft anderer gelebt zu haben. Denn es sei eine „kirchliche Machtdemonstration“, Priestertum und Zölibat zu verbinden, und habe nichts mit dem Evangelium Jesu zu tun, kritisierte Franz Decker. Alle, „die so grandios über den Zölibat schreiben“, auch die Bischöfe, sollten einmal alleine für fünf Jahre in ein Pfarrhaus gehen, damit sie auch wüssten, worüber sie schrieben, meinte Frings.
Wichmann berichtete, dass es ihm weh tue, wenn ihm teilweise ältere Mitbrüder sagten, „dass sie abgeschlossen haben“. Da sei schon eine starke Frustration. „Die Stimmung ist so, die sollte man auch ehrlich betrachten.“ Eine Pfarrfamilie, die sich vielleicht im Ruhestand um den Priester kümmert, „die gibt es nicht mehr“. Und er nehme auch Verwahrlosung bei manchen Mitbrüdern wahr. Viele blickten auf ihre Leben zurück und fragten sich, was sie falsch gemacht hätten. Man dürfe nicht verschweigen, dass die strukturelle Herausforderungen viele pastorale Mitarbeit an Grenzen „auch des Ertragbaren stoßen lassen“. Das sehe man auch an den Krankenständen, so der Propst, der auch dem Priesterrat des Bistums angehört. Zugleich betonte er: „Wir sind da gut im Gespräch.“
Wir stehen alle miteinander vor einem radikalen Umbruchprozess, da kommt keiner raus.“
Sabine Wengelski-Strock bestätigte, dass für viele eine Krankheit oder eine Sucht der Versuch eines Auswegs sei. „Das finde ich sehr dramatisch.“ Ein dritte Strategie sei es, „einfach darüber schweigen, untern Teppich kehren und solange drauf zu treten“, bis keine Beule zu sehen sei. Doch irgendwann quelle das Problem an anderer Stelle wieder hervor. Der Generalvikar sagte, das Miteinandersprechen sei „das A und O“. Im Bistum Essen sei in der Pfarrerkonferenz „eine Atmosphäre geschaffen, wo wir sehr offen die Dinge benennen können, das war nicht immer so“. Man wolle die Situation miteinander meistern. „Wir stehen alle miteinander vor einem radikalen Umbruchprozess, da kommt keiner raus.“
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Hans-Jörg Witter, ein ehemaliger katholischer Priester, der heute verheiratet und Vorsitzender der „Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen“ ist, berichtete unterdessen aus dem Publikum heraus, dass „mit der Gesamtfrage von Sexualität im Priesterlichen Beruf nicht ehrlich umgegangen“ werde, „und es gibt auch keinen Raum dafür.“ Er bekomme immer wieder Anrufe von Priestern, die aussteigen wollten und dies aus Gründen der Existenzangst nicht täten. So berichtete er von dem jüngsten Fall eines 56-jährigen Priesters im Bistum Regensburg, der inzwischen verheiratet sei. „Da hat die Personalleitung gesagt: ,Die Bäckereien suchen dringend Aushilfen’.“ Das sei kennzeichnend für den Umgang, erzählte er.
Propst Wichmann sagte, er zweifle, dass der Zölibat überhaupt noch von Gemeinden mitgetragen werde. „Wenn ich morgen sagen würde: Ich heirate, oder ich habe eine Freund – viele würden sich für mich freuen.“ Der Rückhalt für zölibatäres Leben entspreche nicht mehr der Realität der Jetztzeit. Priester, die nicht mehr zölibatär lebten, seien „nicht über Nacht schlechte Christen. Die muss man nicht zum Arbeitsamt schicken“. Die Frage sei, ob die Kirche ihre Charismen nicht weiter nutzen könne. Decker berichtete mit Kopfschütteln, dass ehemalige Priester lange „noch nicht einmal Religionslehrer werden durften“.