„Die Menschen haben Angst vor dem Fremden“

Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende. (Foto: privat)

Ein mutiges Plädoyer für die Kirche

„Wir schicken dich du Arschloch nach Auschwitz. Du Nigger!“, steht auf der Postkarte, die Olivier Ndjimbi-Tshiende im November 2015 aus seinem Briefkasten holt. In den nächsten Monaten werden die Drohungen gegen den Pfarrer in Zorneding noch heftiger. Unter Polizeischutz geht er in die Kirche der Gemeinde St. Martin, um seinen Gottesdienst zu halten. Ein unbekannter Mann steht zitternd vor Zorn vor dem Altar, lässt den Pfarrer während der Messe nicht aus den Augen, lehnt unentwegt an einer Säule. Am Ende bleibt es bei einer hitzigen Diskussion mit dem Unbekannten. Doch die Drohungen der nächsten Wochen machen dem Pfarrer das Gemeindeleben zunehmend schwerer. Der Abschied aus Zorneding folgt schließlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Das Ordinariat ruft ihn an: „Bereiten Sie bitte vor, was Sie mitnehmen können!“ Im Schutz der Dunkelheit verlässt Ndjimbi-Tshiende den bayrischen Ort mit einem Koffer und einer Büchertasche.

Das erste Kapitel seines Buchs liest sich wie ein Krimi. Ein bayrischer Krimi, der in der kleinen Gemeinde rund 20 Kilometer von München leider genau so passiert ist. Detailliert, aber pointiert erfährt der Leser von den Ereignissen, die zur Flucht des Pfarrers geführt haben. Es ist ein Einstieg, der einen mit geschultem Blick auf die Entstehungsgeschichte seines Buchs die folgenden sieben Kapitel lesen lässt. In diesen Kapiteln entwirft er seine ganz eigene Vision einer zukunftsfähigen Kirche in Deutschland. Es sind kurzweilige, aber intensive Unterkapitel, die schon im Titel deutlich machen, wohin die gedankliche Reise geht: „Was, wenn Gott alle Menschen gleich erschaffen hätte? Wenn Priester heiraten dürften wie Apostel? Wenn Gott eine Frau wäre?“ Fragen, die gleich zu Beginn klar machen: Ndjimbi-Tshiende fordert eine große Bereitschaft zur Veränderung.

Eine kurzweilige, aber intensive Gedankenreise

Die Thesen zu jedem Aspekt seiner Vision stützt der Pfarrer auf persönliche Erfahrungen, auf Beobachtungen und Belege aus der Bibel. Die naive kindliche Frage eines Firmlings etwa, dessen Beantwortung ihm nicht leicht fiel: „Herr Pfarrer, sind Sie eigentlich nicht manchmal ziemlich alleine?“ Ja, er ist es, hin und wieder – trotz seiner Berufung, stellt er fest. Und sagt ganz klar: „Meine Vision einer Kirche von morgen ist eine Kirche mit verheirateten Priestern.“ Weil es ein vielfältiger Gewinn sei. Selbst nach einer Scheidung oder vielleicht gerade dann. Denn so könnten Priester tagtäglich wirken, helfen und predigen – mit Erfahrungen des wirklichen Lebens. Es sei eben falsch, dass eine Handvoll Dogmatiker mit dem von Menschen erfundenen Zölibat ein ganzes Kirchenvolk von seinen natürlichen Wurzeln abschneide. Es sind sehr deutliche Worte, die der Pfarrer auch anhand des Evangeliums begründet: So wie Jesus verheiratete Männer aus seinem Apostelkreis um sich scharte (Matthäus 9,10; Markus 2,15; Lukas 5,29; 6,17; 19,37; Johannes 4,41f.), ist es wahrscheinlich, dass er damit ausdrücklich den Wert einer Ehe für die kirchliche Arbeit und Gesellschaft betonen wollte.

Zugegeben: Nicht alle Bibelverse, mit denen Ndjimbi-Tshiende seine Thesen in allen Kapiteln begründet, sind dem durchschnittlichen Sonntagskirchgänger wohl auf Anhieb bekannt. Da sie jedoch gut zusammengefasst und mit Versangaben versehen sind, ist eigentliche jede These leicht nachzuvollziehen. Jedes Kapitel beginnt außerdem mit einer besonderen Art der Einführung: Der Pfarrer gibt tiefe Einblicke in seine Kindheit im Kongo. Er erzählt von seiner ersten Verwunderung, als er einen weißen Menschen sah, von Reichtum und Armut in seinem Heimatdorf, der dort gelehrten Liebe und Barmherzigkeit und seiner Priesterausbildung im Kongo. Diese kleinen Geschichten sind so lebhaft, aber auch rückblickend kritisch und mit so manchem Augenzwinkern erzählt, dass man gerne mehr davon hören möchte, bevor Ndjimbi-Tshiende wieder auf die aktuelle Kirchensituation eingeht.

In acht Kapiteln formuliert er seinen Traum von einer Welt, vor allem einer Kirche ohne Fremdenfeindlichkeit, mit gelebter Nächstenliebe und Barmherzigkeit, die sich auf die ursprünglichen Werte Jesu Christi zurückbesinnt. Es ist eine moderne Predigt über diese Werte, die mit ihren mutigen und starken Thesen gerade unter konservativen Christen auf Widerstand stoßen wird. Aber es ist ein Appell, der nötig ist. Ein Appell, der Hoffnung macht: auf eine moderne Vision, die der Kirche in Deutschland gut tun würde.

Lisa Mathofer

 

Interview: Olivier Ndjimbi-Tshiende fordert eine Kirche Jesu Christi

Eichstätt. Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende (68), geht nach seiner Flucht aus Zorneding wieder an die Öffentlichkeit. Über seine Erlebnisse, seinen Glauben und seine Wunschkirche sprach er im Interview.

Nachdem Sie die Gemeinde in Zorneding verlassen haben, haben Sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Jetzt haben Sie Ihr Buch veröffentlicht und geben wieder Interviews. Warum haben Sie sich dazu entschieden?

Die Erlebnisse und Erfahrungen in Zorneding haben mich zum Nachdenken gebracht. In meiner Ruhepause habe ich sehr viel darüber nachgedacht, wie Christen sich so verhalten können, dass sie trotz des höchsten Gebots der Liebe den Hass im Herzen pflegen. Deswegen habe ich mich mit den Worten der Bibel und unserem Leben vor allem theologisch, philosophisch und soziologisch auseinandergesetzt. Das, was ich neu entdeckt habe, möchte ich mit meinem Buch auch Anderen mitteilen. Damit wir uns über unsere Gesellschaft und das Christ- und Menschsein Gedanken machen können.

Was bedeutet der Titel Ihres Buchs? Was wäre, wenn Gott schwarz wäre?

Die rassistischen Vorfälle in Zorneding waren ja der Auslöser für das Buch. Wenn Gott schwarz wäre, wäre der Rassismus ganz deutlich sinnlos, machtlos und erfolglos. Aber nicht etwa weil Gott schwarz ist, sondern weil er die Liebe verkörpert. Egal welche Hautfarbe er nach unseren Vorstellungen hat, er ist die Liebe. Wenn Gott uns alle nach seinem Abbild geschaffen hat, bekämpft quasi jeder, der andere Menschen bekämpft, auch sich selbst. Jeder Mensch ist gleich, das möchte ich damit sagen.

In Ihrem Buch erzählen sie in jedem Kapitel aus ihrer Kindheit im Kongo. Warum haben Sie sich dazu entschieden, solche privaten Einblicke zu geben?

Meine Kindheit hat mich sehr geprägt, vor allem in der Liebe zu anderen Menschen. Das haben mir meine Eltern so beigebracht, dass man mit Anderen liebevoll umgehen sollte. Bei uns zu Hause wurden Reisende und Fremde immer aufgenommen und verpflegt. Diese Liebe hat mich sehr geprägt. Jedes Mal, wenn ich etwas Anderes erlebt habe, war ich verwundert. Die größte Verletzung dieses Werts waren natürlich die Morddrohungen in Zorneding. Meine Kindheit, das Erleben unserer Welt und die Forderungen unseres Glaubens sind eine große Herausforderung.

Der Anfang allen Streits war eine rassistische Aussage des CSU-Ortsvorsitzenden, der Sie entgegnet sind. Wie politisch darf und muss Kirche sein?

Die Kirche ist nicht politisch, sie ist apolitisch. Aber die Kirche hat ihren Auftrag von Gott, sich einzumischen, wenn es um Grundwerte geht, um das Geistliche, die Moral, das soziale Leben. Genau das müssen wir in die Hand nehmen. Die Nächstenliebe geht über unseren Kreis der Christen hinaus. Wir müssen reagieren, wenn es von uns gefordert ist. Wir müssen die Welt verbessern, das ist unser Auftrag.

Welche christlichen Werte sollte eine Partei vertreten, die sich zu christlichen Werten bekennt?

Grundsätzlich sollte eine solche Partei nichts anderes als das tun, was Jesus Christus uns gesagt hat: Die Nächstenliebe leben. Dazu gehört auch der Respekt des Lebens, das ist der höchste Wert.

Welche Vision einer modernen Kirche, die sie ja auch in Ihrem Buch beschreiben, haben Sie?

Ich will nicht direkt von einer modernen Kirche reden, sondern von einer Kirche Jesu Christi. Modernisieren wäre zu weltlich gedacht. Ich möchte sie nach den Maßstäben Jesu verbessern. Die Kirche sollte so strukturiert sein, dass sie die Geschwisterlichkeit der Christen ausstrahlt. Das ist keine Erneuerung, sondern eine Rückführung der Kirche auf ihren Ursprung zurück. Ich sehne mich nach einer Kirche, die noch treuer zu Jesus Christus ist.

Wie lange dauert es, bis eine solche Vision umgesetzt werden kann?

Das hängt von uns Menschen ab. Gott hat uns den Auftrag gegeben, seine Kirche zu führen. Wie lange es dauern würde, das ist also von uns abhängig. Das ist ein lebenslanger Auftrag für jeden von uns. Manchmal tun wir Dinge, die nicht ganz dem Willen Gottes entsprechen.   Das ist eine Herausforderung für uns: Wir sollten uns immer wieder fragen, ob wir diesen Auftrag erfüllen.

In ihrem Buch vertreten Sie sehr klare Thesen, wie sich die Kirche verändern sollte. Haben Sie Angst vor Kritik oder erneuten Anfeindungen?

Auch beim Schreiben des Buchs habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, über den Frieden zu predigen. Mehr tue ich in dem Buch ja auch nicht, als die Leute und die Kirche darauf hinzuweisen, auf das Wort Gottes zu schauen. Es ist eine Ermutigung, dass wir immer wieder versuchen, das Auge auf das Wort Gottes zu richten. Warum sollte ich Angst haben vor Anfeindungen? Alles was wir in der Kirche sagen, gefällt nicht immer jedem.

Wie erleben Sie Fremdenfeindlichkeit in der katholischen Kirche?

Generell sind die Christen nicht rassistisch. Aber es gibt sie in der Kirche, die Rassisten. Das habe ich selbst erlebt. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie wir unsere Kirche noch besser gestalten können, damit wir keine Christen mehr haben, die Rassisten sind. Das widerspricht ganz und gar dem Liebesgebot, zu dem wir als Christen verpflichtet sind. Wir können nicht zum Gottesdienst gehen und unsere Grundwerte danach privat wieder verwerfen.

Woher kommt diese Skepsis einiger Menschen und daraus resultierender Fremdenhass?

Psychologisch gesehen, haben die Menschen einfach Angst vor dem Fremden. Die erste Reaktion eines Menschen vor etwas Fremden ist Zurückhaltung. Sie haben Angst, dass der Andere etwas wegnehmen könnte oder einem nicht gut gesonnen ist. Die Leute haben Angst vor dem Fremden aus psychologischen, moralischen und sozialen Gründen. Das ist eine Glaubenssache. So kommt es dazu, dass jemand aus dem Gottesdienst kommt, aber außerhalb der Kirche keine Fremden akzeptiert.

Was kann man Ihrer Meinung nach gegen diese Fremdenfeindlichkeit bei Christen tun?

Man sollte mehr Akzente auf das Wort und die Bibelauslegung legen. Die Kirche muss wärmer gestaltet werden, damit die Leute wirklich die Liebe erleben und davon angezogen werden. Wenn man die Menschen und die Gesellschaft gründlich ändern möchte, muss man bei den Kindern anfangen. Die christliche Kindererziehung muss gründlicher durchdacht und in die Tat umgesetzt werden. Die Akzente auf die Liebe, den Frieden und die Gleichheit der Menschen setzen. So wie ich das in der Kindheit erlebt habe, dass das Leben auf der Nächstenliebe und dem Frieden gegründet ist. Ich denke, es gibt immer Ausnahmen und wird sie auch immer geben. Unser Glaube ist kein Zwang, sondern ein Angebot. Weil wir Menschen mit Verstand und Gewissen sind, haben wir immer die Wahl: das Gute oder Böse zu tun.

Wie haben die negativen Erlebnisse in Zorneding Sie persönlich betroffen?

Die Anfeindungen haben mich wirklich zu Boden gestürzt. So etwas als Pfarrer zu erleben, bis zum Tod bedroht zu werden, das war wirklich hart. Ich wollte ja gar nichts Böses tun. Aber zur gleichen Zeit habe ich viele Ermutigungen und Unterstützung erlebt. Es waren mehr als 3000 Leute, die sich in Zorneding für mich stark gemacht haben, das ist natürlich eine große Geste. Auch von vielen Priestern, Gemeinden und Instituten aus ganz Deutschland habe ich Rückhalt bekommen. Es gibt in der bayrischen Kirchengemeinde viele Geistliche und Familien, die das Evangelium leben. Ich wurde von so vielen aufgenommen, dass ich mich nicht als Afrikaner gefühlt habe, sondern als Bruder. Das kann man nicht beschreiben, das sind wahre Christen und Freunde. Auch jetzt habe ich noch immer viele Freunde, mit denen ich regelmäßig Kontakt habe.

Sind Sie durch die Erlebnisse nicht in eine Glaubenskrise geraten?

Das alles hat mich eher ermutigt. Diese Phase der Angst und Verfolgung hat nicht so lange angedauert, denn gleichzeitig habe ich eine Phase der Ermutigung und Unterstützung erlebt. Mein Glauben war eigentlich mein erster Zufluchtsort. Ich habe Gott die ganze Zeit um Hilfe gebeten. Natürlich habe ich mich gefragt, warum gerade mir so etwas passiert. Diese große Hilfe der Menschen, die mir geschrieben, mich angerufen haben: das war für mich die Antwort Gottes.

 Interview: Lisa Mathofer
Info Das Buch „Und wenn Gott schwarz wäre … – Mein Glaube ist bunt!“ von Olivier Ndjimbi-Tshiende ist im Gütersloher Verlagshaus für 17,99 Euro erhältlich.