Drohende Kirchenspaltung in der Orthodoxie – Russische Kirche bricht mit Patriarchat von Konstantinopel

Paukenschlag in der orthodoxen Kirche: Im Streit um eine Eigenständigkeit der ukrainischen Kirche hat Moskau dem Ehrenoberhaupt und Patriarchen von Konstantinopel die Freundschaft gekündigt. Eine Eskalation droht.

Bartholomaios I. Patriarch von Konstantinopelgedacht – Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie. (Foto: Lefteris Papaulakis | Dreamstime.com)

Der orthodoxen Kirche droht wegen eines Streits zwischen den bedeutendsten Kirchenzentren Konstantinopel und Moskau die Spaltung. Die Sondersitzung des Leitungsgremiums der russisch-orthodoxen Kirche, des Heiligen Synods, in Moskau endete am Freitagabend mit einem Paukenschlag: Aus Protest gegen die Initiative zur Schaffung einer eigenständigen orthodoxen Kirche in der Ukraine stellt die russische Kirche vorerst die Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel ein.

Sollte Konstantinopel der Kirche in der Ukraine die Autokephalie (Eigenständigkeit) verleihen, sei die russisch-orthodoxe Kirche „gezwungen, die eucharistische Gemeinschaft zu beenden“, sagte der Leiter des kirchlichen Außenamtes, Metropolit Hilarion, vor Journalisten. Die nun beschlossene Aussetzung der Zusammenarbeit mit Konstantinopel entspräche „ungefähr dem Abbruch diplomatischer Beziehungen“ zwischen Staaten.

Symbolisch am schlimmsten: Die russisch-orthodoxe Kirche verzichtet in ihren Messen vorerst auf das ehrende Gedenken des Patriarchen Bartholomaios I. von Konstantinopel. Künftig sollen die Geistlichen in den Gottesdiensten nur noch die Oberhäupter aller anderen orthodoxen Landeskirchen nennen. Bislang wurde an erster Stelle Bartholomaios I. gedacht – dem Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie.

Der Moskauer Patriarch Kyrill I. und die 13 weiteren Mitglieder des Heiligen Synod unterbrachen die Gemeinschaft mit Konstantinopel radikal. Sie setzten die Konzelebration mit Bischöfen des Patriarchats von Konstantinopel aus, also das gemeinsame Feiern von Gottesdiensten. Ebenso eingestellt wird jede Beteiligung an kirchlichen Strukturen, die vom Patriarchat von Konstantinopel geleitet werden: „Bischofsversammlungen, theologischer Dialog und multilaterale Kommissionen“.

Das hat auch Folgen für Deutschland. Ob sich die drei russissch-orthodoxen Bischöfe und Priester weiter an den Sitzungen der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland beteiligen, ist nun zumindest fraglich. Die Bischofskonferenz leitet gemäß der Kirchenstatuten der oberste Repräsentant des Ökumenischen Patriarchats in der Bundesrepublik, Metropolit Augoustinos.

Der in München residierende russisch-orthodoxe Erzbischof Mark hält den Kurs des Patriarchats von Konstantinopel für sehr gefährlich. Bartholomaios I. habe mit der Ernennung von zwei Bischöfen zu Exarchen für die Ukraine die kirchliche „Brüderlichkeit“ verletzt und das Kirchenrecht gebrochen. „Das ist eine unerlaubte Einmischung in die Angelegenheiten einer anderen Nationalkirche“, sagte Mark der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Sie droht den Frieden in der orthodoxen Kirche zu stören oder sogar zu zerstören.“

Bartholomaios I. will in der Ukraine eine von vielen dort lebenden orthodoxen Christen gewünschte eigenständige (autokephale) Landeskirche auf den Weg bringen. Dazu berief er vor einer Woche die beiden Exarchen. Die russisch-orthodoxe Kirche will aber ihre Oberhoheit über die orthodoxe Kirche in der Ukraine mit ihren rund 12.000 Pfarreien behalten. Das Moskauer Patriarchat betrachtet das osteuropäische Land als sein kanonisches Territorium.

Großes Gewicht hat freilich die Meinung der Priester und Gläubigen in der Ukraine. Wollen sie zum Moskauer Patriarchat gehören oder eine eigenständigen ukrainischen Kirche haben? Für die Bildung einer autokephalen Landeskirche in der Ukraine sprachen sich im August in einer Umfrage des unabhängigen Rasumkow-Zentrums 35 Prozent der Ukrainer aus; 19 Prozent waren dagegen. Den übrigen Befragten war es egal oder sie antworteten nicht.

Von Oliver Hinz (KNA)

1.000 Jahre Dreisamkeit – Getrennte Kirchen aus dem Gleichgewicht

Moskau, Konstantinopel und Rom: Schwierige Beziehungen –

Der Papst in der Missbrauchskrise; und jetzt noch eine Quasi-Kriegserklärung zwischen den Patriarchen in Moskau und Konstantinopel: Das Gefüge der Christenheit, gerade erst in Entspannung begriffen, ächzt unter Konflikten.

Es scheint dieser Tage, als gerieten viele Konstanten des Zusammenlebens aus den Fugen: Frieden, Toleranz, Multilateralismus, Handelsfreiheit stehen auf dem Spiel. Umgekehrt schienen die uralten historischen Spaltungen der Christenheit durch unerwartete, spektakuläre Spitzenbegegnungen für eine kurze Zeit heilbar. Doch nun hat der Ukraine-Konflikt auf die orthodoxe Kirche durchgeschlagen. Und die Verwerfungen dort – die drohende Spaltung zwischen Moskau und Konstantinopel – bedrohen auch die jüngeren Errungenschaften des Vatikan im Bereich der Ökumene.

Dort gab es zuletzt „historische“ Begegnungen wie seit dem „Frühling des Zweiten Vatikanischen Konzils“ in den 1960er Jahren nicht mehr: das allererste Treffen eines Papstes mit einem Moskauer Patriarchen auf Kuba im Februar 2016; der Flüchtlingsgipfel der griechisch-orthodoxen Kirche mit Papst Franziskus auf Lesbos im April 2016; die Begegnung der Patriarchen von Rom, Konstantinopel und Alexandrien in Ägypten im April 2017. Doch solche neuen Bande sind noch zerbrechlich – was vor allem mit der starken Rolle Moskaus in der Weltorthodoxie zusammenhängt.

Nach dem definitiven Ausscheiden Roms aus dem spätantiken Konstrukt der „Pentarchie“ (griech. Fünfherrschaft; Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem – siehe Infobox) und dem Untergang des Byzantinischen Reiches (1453) wurde Moskau 1589 zum Patriarchat erhoben und von der Synode der vier verbliebenen Pentarchen 1593 in Istanbul neu an die fünfte Stelle gereiht.

Moskau selbst versteht sich freilich als das „Dritte Rom“; zudem hat es die bei weitem meisten Kirchenmitglieder in der orthodoxen Welt aufzuweisen. Der Mönch Filofei fasste dieses Selbstverständnis 1510 in Worte, als er dem Zaren schrieb, dieser sei „der einzige, der die Zügel der heiligen apostolischen Kirche“ halte – die nun statt im untergegangenen Rom oder in Konstantinopel in Moskau stehe. „Zwei Rome sind gefallen, das dritte steht, und ein viertes wird es nicht geben.“

Dieses selbstbewusste politische Statement hatte in jenen Jahren durchaus Berechtigung. Nachdem Großfürst Wladimir von Kiew 988 getauft und durch Eheschließung Teil der kaiserlichen Familie in Konstantinopel geworden war, blieb das werdende Russland noch über Jahrhunderte Teil der byzantinischen Reichskirche. Als dann „die Politik“ versagte und die russischen Fürsten Mitte des 13. Jahrhunderts Vasallen der Mongolen wurde, wuchs die russische Kirche in ihre historische Rolle als Identitätsstifterin der Nation und Wahrerin der russischen Kultur hinein.

Entscheidend für die Lehre vom „Dritten Rom“ wurde, dass sich die vom Islam bedrohten Byzantiner 1439 in der kurzlebigen „Union von Florenz“ auf eine kirchliche Wiedervereinigung nach der Spaltung von 1054 einließen, um aus Rom Unterstützung gegen die Osmanen zu erhalten. Als Konstantinopel schließlich 1453 an die Türken fiel, wurde dieser Untergang des „Zweiten Rom“ in Moskau als Gottes Strafe für die Anbiederung an die Lateiner interpretiert. Der Zar („Kaiser“) galt fortan als einziger „Selbstherrscher“ (byzantinisch „Autokrator“), und der Moskauer Metropolit – ab 1589 Patriarch – wurde fortan in Moskau und nicht mehr in Byzanz bestimmt.

Das Selbstverständnis vom „Dritten Rom“ ist bis heute in den Köpfen der russischen Orthodoxie verankert. Es wird genährt von der neuen Nähe zum Putin-Staat, von neuem materiellen Reichtum und der zahlenmäßigen Größe Russlands im Konzert der orthodoxen Nationalkirchen. Konstantinopel, das „Zweite Rom“, hatte dagegen im Laufe des 20. Jahrhunderts so viele politische Nackenschläge zu verkraften, dass es heute personell kurz vor dem Existenzminimum steht. Seine Größe innerhalb der Orthodoxie ist allein moralischer und geistlicher Art.

Dennoch beäugt Moskau sowohl die Rolle des Ehrenprimats von Konstantinopel in der Weltorthodoxie als auch jede ökumenische Annäherung von Rom und Konstantinopel sehr argwöhnisch – künftig vermutlich umso mehr, wo das Moskauer Patriarchat nun Patriarch Bartholomaios wegen der Ukraine-Krise die eucharistische Gemeinschaft gekündigt, sprich quasi die diplomatischen Beziehungen auf Eis gelegt hat.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) ist eine echte ökumenische Freundschaft zwischen den Päpsten in Rom und den Patriarchen von Konstantinopel gewachsen. Die Wunden der langen Kirchenspaltung von 1054 heilen. Man erinnere sich nur an die herzlichen Umarmungen von Bartholomaios I. mit Benedikt XVI. bzw. Franziskus 2006 und 2014 in Istanbul oder an den Flüchtlingsgipfel auf Lesbos 2016.

Unter Benedikt XVI. (2005-2013) und Franziskus hatte sich auch das frostige Klima zwischen Moskau und Rom deutlich verbessert – mit den Vorzeichen einer gemeinsamen Wertevermittlung und einer Zusammenarbeit in drängenden Weltfragen, etwa der Christenverfolgung im Nahen Osten oder der ökologischen Krise. Die neue Eiszeit zwischen Moskau und Konstantinopel bringt nun Rom in eine neue diplomatische Zwickmühle. Dem Freund Bartholomaios I. den Rücken zu stärken, könnte künftig heißen, die mühsam errungenen Fortschritte mit Moskau zu riskieren.

Von Alexander Brüggemann (KNA)

 

„Werden wir gezwungen sein, … vollständig zu brechen“

Die Erklärung der russisch-orthodoxen Kirche im Wortlaut –

Drohende Kirchenspaltung in der Orthodoxie: Im Streit um die orthodoxe Kirche in der Ukraine hat die russisch-orthodoxe Kirche scharfe Schritte gegen das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel beschlossen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert Auszüge aus der Erklärung des Heiligen Synods in einer eigenen Übersetzung:

(…) In dieser kritischen Situation, in der sich Konstantinopel praktisch geweigert hat, die Angelegenheit auf dem Weg des Dialogs zu lösen, ist das Moskauer Patriarchat gezwungen, das Andachtsgedenken des Patriarchen von Konstantinopel in der Liturgie auszusetzen und mit großem Bedauern die Konzelebration mit Würdenträgern des Patriarchats von Konstantinopel einzustellen; ebenso als russisch-orthodoxe Kirche nicht mehr an Bischofsversammlungen und theologischen Dialogen, multilateralen Kommissionen und anderen Strukturen teilzunehmen, die von Vertretern des Patriarchats von Konstantinopel geleitet oder mitgeleitet werden.

Für den Fall, dass das Patriarchat von Konstantinopel seine widerrechtlichen Aktivitäten auf dem Territorium der ukrainischen orthodoxen Kirche fortsetzt, werden wir gezwungen sein, die eucharistische Gemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel vollständig abzubrechen. Die Verantwortung für die tragischen Folgen einer solchen Spaltung läge persönlich bei Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel und jenen Würdenträgern, die ihn unterstützen.

Im Bewusstsein, dass die gegenwärtige Lage die gesamte Orthodoxie in Gefahr bringt, bitten wir in dieser schwierigen Stunde die örtlichen autokephalen Kirchen um Unterstützung und rufen die Oberhäupter der Kirchen auf, unsere gemeinsame Verantwortung für das Schicksal der Orthodoxie der Welt voll und ganz wahrzunehmen und eine brüderliche, panorthodoxe Diskussion über die kirchliche Lage in der Ukraine einzuleiten. Wir fordern die gesamte russisch-orthodoxe Kirche auf, eindringlich für die Erhaltung der Einheit der Heiligen Orthodoxie zu beten.“

kna