Auch die „mit Macken“ haben ihren Platz an der Krippe

Rainer Prodöhl aus Bochum-Steinkuhl zeigt bis zum 6. Januar Krippen aus 90 Ländern, die alle eine besondere Botschaft und Jesus verkünden.

Er zeigt Krippen aus Peru, Palästina, Mexiko oder Polen. Und solche aus „Ländern wie Jordanien, wo man sie eigentlich nicht vermutet“, sagt der Bochumer Krippensammler.  Während des Aufbaus der Präsentation von mehr als 200 Exponaten aus 90 Ländern berichtet Rainer Prodöhl (72) von seiner  Leidenschaft und von den vielen Botschaften im kunstvoll und landestypisch dargestellten Weihnachtsgeschehen.

Seine traditionsreiche Krippenausstellung im Pfarrheim St. Martin, Bochum-Steinkuhl, heißt 2018  „Kind verändert die Welt“. Unterstützt von Freunden konnte er  das Riesenprojekt Ausstellung im Pfarrheim „Am langen Seil 120“ vorbereiten. „Und ich bin froh, dass außer an Silvester immer nachmittags (15 bis 19 Uhr, Erg. d. Red.) vom 26. Dezember bis zum 6. Januar Menschen zu den Krippen kommen können. Es sind Besucher aus dem Bochumer Süden, Reisegruppen wie eine aus Duisburg-Marxloh und Menschen, die bei ihrer Fahrt nach Steinkuhl beim Krippenbesuch ihren Blick für die weite Welt öffnen.

Prodöhl selbst ist froh, dass er einen Herzinfarkt vor sieben Jahren ohne bleibende Folgen überstand  und das „Unternehmen Krippenausstellung“ wieder stemmen kann. „Ich freue mich, wenn ich alle zwei Jahre, so wie jetzt, die Krippen aus allen Kontinenten aus dem Keller und den dort sehr eng gestellten Vitrinen holen kann. Meine Frau hat mir verboten, dass das Wohnzimmer außerhalb der Weihnachtszeit als Krippenlager herhält“, sagt der frühere Theologie-Fachleiter und Referendar-Ausbilder lächelnd, aber verständnisvoll. Jesu Geburt und sein Vorbild seien sehr oft  ohne die Lagerung ihrer Darstellungen im besten Wohnraum häufig im Alltag gläubiger Menschen präsent. Das zeigen nicht zuletzt die auf 25 Tischen aufgebauten Krippen von armen Menschen, von intellektuellen Künstlern, von Kleinbauern und Handwerkern. „Früher“, weiß Prodöhl, „gab es Krippen nur  in Palästen und am Hofe. Wohl erst im ausgehenden 16. Jahrhundert hielten sie in Kirchen Einzug.“ Erst mit der Industrialisierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sie als Hauskrippen fast für jedermann erschwinglich.
Zurück zu den Motiven und Geschichten der bis Dreikönige ausgestellten Krippen. Auf dem Europa-Tisch findet sich eine polnische Krippe des Künstlers Kosminski. Das einfach in bemaltem Holz gezeichnete Jesuskind hat keine Arme, der sonst singende Engel fällt durch ein eher häßlich plattes Gesicht und ein dickes Kinn auf. Und auch Josefs Gesichtspartie ist verzerrt und dreht sich eher verkrampft zur Krippe. „Dass die Menschen an der Krippe ,Macken’ haben, die hier auch sein dürfen, hat mich beim Erwerb meiner ersten Krippe 1990 bewegt und auch angesprochen“, berichtet Prodöhl. Er erwarb sie bei einer Ausstellung im Rahmen einer Bildungsveranstaltung der katholischen Akademie Schwerte nahe der A1.
Im Prunk der kolonialen Zeit  des 17. oder 18. Jahrhunderts gekleidet sind die hochaufstrebenden Bildnisse Josef und Mariens des bekannten peruanischen Künstlers Medevile. Während der Vater dieses Werks hier eher prunkvoll und kritiklos die zwiespältige Geschichte der Ausbeutung für eine prachtvolle Figur nutzt, will er durch die lamaähnlich langen Hälse der Eltern Jesu an das Wappentier Perus erinnern. Maria und Josef sind damit auch  als Menschen di-rekt in der Welt derPeruaner angekommen. Die wiederum kennen kein behagliches Wiegen des Christkinds in den Armen der Mutter, nur seinen Platz auf dem harten Boden und mitten in der „rauhen Wirklichkeit“ .

Das Christuskind in der „rauhen Wirklichkeit“

Eine andere Darstellung zeigt den kleinen Jesus auf einem mit Stroh belegten Brotteller. „Die Geburtsdarstellung auf diesem Teller“, erläutert Prodöhl, „zeigt, dass Jesus dort ankommt, wo es um Grundbedürfnisse des Lebens geht.“ Auch er – so die Aussage der vielleicht indigenen Künstler – gehört mit der Geburt zu den wichtigen „Dingen“ in der Welt, die Leben überhaupt erst ermöglichen.
Freude dagegen setzen tanzende und vor Bewegung hüpfende Figuren ins Bild: Da erscheint Maria im langen und zierreichen roten Kleid nach der Geburt als Tänzerin, Josef zieht noch im Knien dynamisch seinen Hut und den Kopfschmuck vor dem Kind. Im Hintergrund unterstreichen ein springendes Pferd und ein sich aufbäumendes Schaf die Botschaft wirklich erhebender Freude.
Krippen, die von Gefühlen und dem Alltag der Menschen wie von der ihr Leben verändernden Botschaft erzählen, sammelt Rainer Prodöhl heute nur noch dann, wenn sie „neue“ Länder bzw. theologische Deutungen in seine Sammlung einbringen.  „Mit 72 werde ich irgendwann daran denken, Krippen abzugeben. Ob in Museen oder privat – sie sollen, ähnlich wie die Botschaft der Menschwerdung, möglichst vielen Menschen zugänglich bleiben.
Eine – und die bisher letzte von Prodöhl erworbene  – Krippe zeigt er noch kurz vor dem Verlassen des Pfarrheims. Sie zeigt die Geburt und Weihnacht in einer Darstellung aus Strandgut-Materialien. Die, die sich durch das retten müssen, was auf dem Meer schwimmt, haben Weih-Nacht, ein sorgenfreieres Leben und nach ihrer Flucht eine menschenwürdige Behandlung verdient. Sagt der polnische Künstler damit vielleicht, dass Menschlichkeit unabhängig von Entscheidungen über Bleibe- oder Asylrecht für jede(n) – und das schon aufgrund seiner Würde – gilt?
Prodöhl macht über das, was er mit dieser Krippe einer höchst gefährdeten Mensch-Werdung verbindet, keine großen Worte. Vielleicht kommt Betrachtern hier dabei der Papst in den Sinn. Fünf Jahre nach seinem Besuch bei Flüchtlingen auf Lampedusa trat er 2018 mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk an die Öffentlichkeit und warb für Solidarität. Franziskus beklagte „das Schweigen des gesunden Menschenverstandes“. Die Geretteten sollten die Kultur  der Aufnahmeländer achten. Gerechte Politik aber verstehe es, auf das Wohl des eigenen Landes zu schauen und gleichzeitig das anderer Menschen und Länder in ihrem Handeln zu berücksichtigten.
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