Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ruft die Ruhrgebietsstädte zu mehr Zusammenarbeit auf. Die Möglichkeiten des RVR-Gesetzes würden bei weitem nicht ausgeschöpft, kritisierte er am Montagabend in Mülheim an der Ruhr.

Jahresesempfang mit Bischof Franz-Josef Overbeck in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg
Mülheim an der Ruhr (v.l.) mit Ursula Gather (Rektorin TU Dortmund), NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Akademiedirektor Michael Schlagheck.
(Foto: Achim Pohl | Bistum Essen)
Der Landtag hatte den Revierstädten 2015 die Chance eröffnet, regional bedeutsame Aufgaben auf den Regionalverband Ruhr (RVR) zu übertragen. Vorbildlich sei die überregionale Zusammenarbeit in der Städteregion Aachen, so Laschet. Er äußerte sich auf einem Podium zur Zukunft des Ruhrgebiets beim Jahresempfang des Bistums Essen. Nach Worten Laschets war das Ruhrgebiet lange geprägt von der Großindustrie. Nun komme es darauf an, mehr Menschen zu Eigeninitiative und Unternehmensgründungen zu ermutigen. Die Universitäten im Revier seien etwa solche Orte, aus denen solche Gründer kommen könnten.
„Wer Vielfalt als Bedrohung ansieht und nur die Eindeutigkeit gelten lässt, begibt sich in die Gefahr zum Fundamentalisten zu werden“, sagt der Direktor der Katholischen Akademie in seinem Grußwort an die zahlreichen Gäste, die an diesem Montagabend den Weg zum Jahresempfang des Ruhrbistums gefunden haben. Der Zustrom der Gäste, die aus allen Bereichen der Bürgerschaft gekommen sind, sprengt das Auditorium. Deshalb muss die Wolfsburg ihr gesamtes Obergeschoss bestuhlen.
Die Resonanz war auch deshalb so groß, weil sich Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck keinen Hauptredner, sondern mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der Dortmunder Hochschulrektorin und Kuratoriumsvorsitzende der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Professor Dr. Ursula Gather, zwei prominenten Sparringspartner für eine von Michael Schlagheck moderierte Podiumsdiskussion über die Zukunft des Ruhrgebietes eingeladen hatte.
Im Kern ging es um die Frage, ob das Ruhrgebiet im Strukturwandel zwischen Industrialisierung und Digitalisierung auf einem guten Weg ist. Laschet und Gather führten die breitgefächerte Hochschullandschaft des Ruhrgebietes und deren technologisches und wirtschaftliches Umfeld als ein Paradebeispiel dafür an, dass das Ruhrgebiet mit seinem Mix aus Industrie und Wissenschaft besser aufgestellt sei, als es das verstaubte Image der alten Industrieregion glauben mache. Gather wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass man das neue Max-Planck-Institut für Cyber-Sicherheit nach Bochum habe holen können und das der Dortmunder Technologiepark inzwischen der drittgrößte in Europa geworden sei.
Auch bei dem im demografischen Wandel immer wichtiger werdenden Thema Pflege und Gesundheit sieht Ministerpräsident Laschet „das Ruhrgebiet mit einer guten Expertise“ ausgestattet. In diesem Zusammenhang nannte er die vom NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann und dem Ökonomen Professor Dr. Christoph Schmidt vom in Essen ansässigen Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaft geleitete Arbeitsgruppe, die im Rahmen der von ihm 2018 einberufenen Ruhrgebietskonferenz, wirtschaftliche Zukunftschancen für die Region auslotet. Laschet rechnet noch im Laufe dieses Jahres mit ersten konkreten Ergebnissen der Revierkonferenz. Nachholbedarf räumte Laschet angesichts „digitaler Schlaglöcher“ und einer aus seiner Sicht noch ausbaufähigen Existenzgründerkultur, die wirtschaftlich nicht mehr nur auf große Industrieunternehmen setze.
„Dennoch wird auch die Zukunft des Ruhrgebietes industriell geprägt sein. Und die Maschinenbauer der Region bringen wichtige Kompetenz für die neue Industrie 4.0 mit. Außerdem kommt der Region die Mentalität ihrer Menschen zugute. Die reden nicht viel, sondern krempeln die Ärmel hoch und packen an“, betonte die Vorstandsvorsitzende der Thyssen-Krupp-Stiftung. In diesem Zusammenhang verteidigte sie auch die umstrittene Fusion von Thyssen-Krupp und Tatan-Stahl. „Indem so Europas zweitgrößter Stahlhersteller entsteht, werden auch im Ruhrgebiet Arbeitsplätze in der Stahlindustrie gesichert“, unterstrich Gather.
Die Rektorin der Technischen Universität Dortmund, Ursula Gather, betonte, das Ruhrgebiet habe bereits „ein gutes Stück Strukturwandel“ geschafft. Dabei verwies sie auf das Revier als Wissenschaftsstandort mit 275.000 Studierenden. Inzwischen machten 40 Prozent eines Schülerjahrgangs hier das Abitur. Der Mix aus Hightech und Industrie entwickle sich immer besser, so Gather. So verwies sie auf 24.000 Existenzgründungen in der Metropole Ruhr oder das Max-Planck-Institut für Cybersecurity, das am Campus in Bochum entstehen soll.
Nach Gathers Worten hat das Ruhrgebiet kein Mentalitätsproblem. Änderungsbereitschaft sei hier deutlich zu spüren, so die Kuratoriumsvorsitzende der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Sie attestierte der Region aber ein Problem mit dem Image. Dieses sei dringend zu verbessern. Ähnlich äußerte sich Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. Es gelte, mehr Selbstbewusstsein in die Region zu tragen. Mit Blick auf notwendige Strukturanpassungen sagte er: „Wir schaffen das nicht nur, wir können das.“
Und was sagte der Ruhrbischof? „Als christliche Kirchen müssen wir das Ganze und alle Themen im Blick behalten, bei denen sich die Lebensqualität der Menschen in unserer Region entscheidet“, formulierte Overbeck auch im Namen seines ebenfalls anwesenden evangelischen Amtsbruder Manfred Rekowski, eine ökumenische Selbstverpflichtung für die Zukunftsgestaltung an der Ruhr. Dem konnte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland wohl ebenso folgen wie Overbecks Forderung, beim Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung auch die Ökologie „und damit die Bewahrung der Schöpfung nicht zu vernachlässigen.“
Weiter erklärte Overbeck, die im Sommer von der Landesregierung gegründete Ruhr-Konferenz trete in eine entscheidende Phase. Bis zur Jahresmitte müssten die gemeinsamen Ziele der 20 Themenforen feststehen. Die Kirche lege in dem Prozess ihr besonderes Augenmerk auf die Fragen von Wohnen, Bildung, Gesundheit und Ökologie. Overbeck gehört mit dem Präsidenten der Landesvereinigung der Unternehmerverbände NRW, Arndt G. Kirchhoff, und der Vorsitzenden des DGB NRW, Anja Weber, dem Beirat der Ruhr-Konferenz an.
Neben dem allgemeinen Appell, sich „beim Strukturwandel nicht zurückzulehnen“, nannte der Ruhrbischof die unterschiedliche medizinische Versorgungsdichte in armen und wohlhabenden Stadtbezirken als eine besorgniserregende Entwicklung innerhalb des Ruhrgebietes, die im Interesse einer dauerhaften gesellschaftlichen Stabilität der Region politisch bearbeitet werden müsse.
Thomas Emons
Der 2019 nach 27 Jahren aus dem Amt scheidende Direktor der Katholischen Akademie, Dr. Michael Schlagheck, griff in seinem Grußwort die Neujahrsbotschaft des Ruhrbischofs Dr. Franz-Josef Overbeck auf, in dem er versprach, dass sein Haus auch im neuen Jahr „ein Ort der Begegnung sein wird, an dem die Menschen eine freie und offene Gesprächskultur pflegen, die sich darum bemüht, das rechte Wort zu finden und so behutsam miteinander umzugehen.“ Der Ruhrbischof bediente sich im Schlusswort des Jahresempfangs eines Zitates des Lyrikers und Liedermachers Wolf Biermann: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu!“ Overbeck drehte Biermanns Satz mit Blick auf ein „waches und gut fundiertes Christentum in einer sich immer wieder wandelnden Welt“ umdrehte und feststellte: „Nur wer sich treu bleibt, ändert sich!“ (T.E.)