Mit neuen Augen sehen

In St. Michael wurde am Ostermontag die letzte heilige Messe gefeiert.

Von einem denkwürdigen Osterfest sprach Pastor Arnold Jentsch an diesem Morgen. Schließlich waren die Gläubigen in St. Michael nicht nur zur Feier der Auferstehung Jesu zusammengekommen. Am vergangenen Ostermontag wurde in der Kirche im Essener Südostviertel auch die letzte heilige Messe gefeiert. In diesem Sinne waren die Messbesucher bereits am Eingang des Gotteshauses von einem Schild mit der Aufschrift „Abbruch und Aufbruch“ empfangen worden – das Motto, unter dem die Messfeier stand.

„So traurig der Anlass auch sein mag, lasst uns diesen Gottesdienst gemeinsam feiern“, forderte Jentsch, Pastor von St. Bonifatius, die zahlreich erschienenen Gläubigen auf. Jetzt gelte es, zusammenzustehen. Auch wenn die Filialkirche der St.-Bonifatius-Gemeinde, die zur Innenstadt-Pfarrei St. Gertrud gehört, geschlossen würde, so werde heute kein Abschied von der Gemeinde St. Michael genommen, betonte Jentsch.

Konzelebranten des Pastors von St. Bonifatius waren unter anderem Gerhard Heusch, Pfarrer von St. Gertrud, sowie Pastor Dr. Peter Hoffmann, ehemals Pastor von St. Michael. Aktiv an der Gestaltung beteiligt war auch die koreanische Gemeinde, die St. Michael ebenfalls wie die ungarische und die Gehörlosen-Gemeinde mitnutzt. Heinrich Henkst, ebenfalls früherer Pastor in St. Michael, hatte ein Grußwort verlesen lassen.

Gläubige verlassen bei Predigt die Kirche

In seiner Predigt ging Jentsch zunächst auf das Motto „Abbruch und Aufbruch“ ein. „Sollte es nicht besser Wehmut, Trauer und Trostlosigkeit heißen?“, fragte er. Abschied nehmen, falle nicht leicht. Es gelte, sich von liebgewonnenen Gewohnheiten und Orten, die zu einer Heimat geworden sind, zu trennen. Doch so wie früher gehe es nicht weiter, die Zeiten hätten sich geändert. „Sollen wir jetzt sagen: Aus der Traum? Nichts geht mehr?“, fragte Jentsch weiter. Es tue gut, über einen schmerzlichen Verlust klagen zu können und gemeinsam zu trauern, das verbinde. Abschied zu nehmen, heiße aber auch, zu einem neuen Abschnitt im Leben aufzubrechen – auch wenn die Zukunft ungewiss sei.

Jentsch schlug den Bogen zu den Inhalten des Evangeliums, in dem die niedergeschlagenen Jünger nach der Kreuzigung auf ihrem Weg nach Emmaus Jesus begegnen, ihn später bei der Mahlfeier erkennen und die Osterbotschaft verkünden. „Wir sind die Emmaus-Jünger“, betonte er. „Das ist unsere Chance.“ Anstatt sich aufgrund von Trostlosigkeit und Verdruss zu verschließen, nicht mehr gesprächsbereit zu sein und sich nur noch im Kreis zu drehen, müsse der Blick frei für den sein, der sich dazugesellt. So wie Jesus den Jüngern die Gelegenheit gab, über ihre Erlebnisse zu sprechen, müssten sich auch die Gläubigen in St. Michael fragen: „Was bedrückt uns? Heute? Hier?“

„Die Gemeinde geht zugrunde“

Jentsch zählte mehrere Aussagen auf, die von Gläubigen im Laufe der Zeit vorgebracht worden seien. Dazu gehörten: „Die Gemeinde geht zugrunde“, „Wir fühlen uns allein gelassen und nicht im Blickfeld von Entscheidungsträgern“, „In St. Michael gibt es keine Angebote“, „Hauptamtliche Priester sind nicht anwesend, was ein Zeichen von Desinteresse ist“. Dass Pastor Jentsch diese Aussagen allesamt als falsch und teilweise als „absoluten Blödsinn“ betitelte, den Vorwurf des Mangels hauptamtlicher Priester als Affront gegen seine Mitbrüder verstand, gefiel offenbar nicht jedem der Anwesenden. Einige der Gläubigen verließen zu diesem Zeitpunkt die Kirche.

„St. Michael liegt mir am Herzen“, stellte Jentsch klar. Es gebe Hoffnung und Alternativen, doch offenbar nicht für jene, die „nur auf Gesetzmäßigkeiten setzen und alles zerreden“, die alles anders verstünden und woanders gelesen hätten. Wie bei den Emmaus-Jüngern wurde das „Gelernte mit neuen Augen“ gesehen. Nach anfänglicher Enttäuschung folgte am Ende die Versöhnung. „Machen wir uns wie die Jünger damals auf den Weg  und verkünden die Botschaft“, forderte Jentsch die Gläubigen auf. „Willkommen in St. Bonifatius“, rief er ihnen zu, „nicht als Gäste, sondern als die, die schon immer dazu gehört haben.“ Ein Gruß, der nach 45-minütiger Predigt offenbar ein versöhnliches Ende schaffen sollte.

Ulrike Beckmann