Jahrzehntelang verpuffte die Forderung nach einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Doch nun könnte die katholische Kirche genau damit „ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgewinnen“, meint Gerichtspräsident Rennert.
Wer sich durch das Vorgehen eines katholischen Pfarramts, Dekanats oder bischöflichen Ordinariats in seinen Rechten verletzt fühlt, kann bislang nicht dagegen klagen. Es fehlt eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit, also eine juristische Instanz. Die Forderung, Verwaltungsgerichte in der katholischen Kirche zu schaffen, ist schon 44 Jahre alt. 1975 war auf der „Würzburger Synode“, die in Deutschland das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) umsetzen sollte, der Entwurf für eine kirchliche Verwaltungsgerichtsordnung vorgestellt worden. Doch dabei blieb es.
Erst seit einigen Monaten – infolge der innerkirchlichen Reformdebatte nach dem Missbrauchsskandal – hat die Forderung wieder „Fahrt aufgenommen“, wie der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, auf dem am Samstag zu Ende gegangenen Frühjahrsvollversammlung in Mainz sagte.
Die Bischöfe hätten sich dieses Anliegen inzwischen „zu Eigen gemacht“. Möglicherweise werde die Frage der kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit „eine der ersten sein, bei der wir erleben, dass die Bischöfe endlich vom Reden ins Handeln kommen“, sagte Sternberg und fügte hinzu: „Es ist wirklich höchste Zeit.“
Auch der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Klaus Rennert, hält das für „dringlich“. Es sei „Zeit, diese Chance zu ergreifen“, sagte er am Samstag vor der ZdK-Vollversammlung in Mainz. Eines stellte der Jurist aber klar: Die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit sei „kein Instrument zur Bewältigung des Missbrauchsskandals“. Aber: „Der Skandal macht reformbereit.“ Es bestehe die Hoffnung, dass damit ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgewonnen werde. Inhaltlich aber habe eine Verwaltungsgerichtsbarkeit nichts mit den Missbrauchsfällen zu tun. Sie sei keine Straf- oder Disziplinargerichtsbarkeit.
Rennert hält die Forderung „auch für klug“. Die Lösung und Entscheidung eines Streitfalles würde sich dann „allein an rechtlichen Maßstäben“ ausrichten und halte somit Willkür fern. „Das Mehr an Legitimität und Vertrauen, das hieraus erwächst, stärkt die Kirche insgesamt, und sie ist darauf gerade in unseren Tagen mehr denn je angewiesen.“
Nötig wäre bei der Besetzung der Gerichte eine Mitwirkung von Klerikern und von Laien, „und zwar mit gleichem Stimmrecht“. Ebenso notwendig sei eine Mitwirkung von Juristen des kirchlichen und gegebenenfalls des staatlichen Rechts.
Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit würde zudem den Diözesanbischof von der Verantwortung in oft eher alltäglichen Streitsachen entlasten, sagte Rennert. Ein Beispiel: Ein Pfarrgemeinderat beschwert sich, dass die Bistumsverwaltung keine Genehmigung zum Einbau einer Heizung in das Kirchengebäude erteilt – unter Berufung auf kirchlichen Denkmalschutz.
Doch was ist mit Fällen, in denen die kirchliche Unbedenklichkeitserklärung („Nihil obstat“) katholischen Theologieprofessoren vom Diözesanbischof verweigert wird? Wäre eine Klage bei einem kirchlichen Verwaltungsgericht angesiedelt, oder sollten Lehrstreitigkeiten dem Bischof vorbehalten sein? Dies sei strittig, sagte Rennert. Er deutete nur an, wie ein kirchliches Gericht damit umgehen könnte. Möglicherweise könnte es prüfen, ob der Bischof tatsächlich inhaltliche Einwände gegen die theologische Lehre des Professors geltend macht. „Es könnte ja sein, dass die Verweigerung des ‚Nihil obstat‘ nur vorgeschoben ist, um ganz andere Einwände gegen den Professor zu bemänteln.“ Derartiges ist zwar „Gott sei Dank sehr selten, aber völlig auszuschließen ist es nicht“.
Und noch etwas betonte der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts mit Blick auf das Kirchenrecht: „Jeder Diözesanbischof könnte schon heute für seinen Bereich ein kirchliches Verwaltungsgericht einrichten.“ Nur für die Installation eines Obergerichts für ganz Deutschland bräuchte die Bischofskonferenz die Genehmigung des Vatikan, so Rennert. Ein solches bundesweites Obergericht wäre „als zweite Instanz sinnvoll“.