Zum zweiten Mal binnen vier Wochen bereist Franziskus ein orthodoxes Land. Sein Werben um Einheit trifft hier auf offenere Ohren, auch wenn die Begeisterung auf den Straßen gedämpft ist. Willkommen ist der Papst dennoch.
Angestrahlt von Scheinwerfern blendet die knapp 20 Meter hohe vergoldete Altarwand der Ikonostase mit ihren vielfarbigen Heiligen- und Apostelfiguren. Rechts und links ragen noch unverputzte Ziegelsteinmauern weit höher hinauf. Im hinteren Teil des Kirchenschiffs rohe Betonsäulen, Leitern, Kabel, Betonmischer. Die neue Kathedrale von Bukarest ist zwar schon geweiht, aber noch eine Baustelle. Wie die Ökumene, der hier Papst Franziskus und Patriarch Daniel an diesem Nachmittag neue Impulse geben wollen.
„Kathedrale der Erlösung des Volkes“ heißt der imposante Bau, und um das Wohl des Volkes angesichts von Überalterung, Abwanderung, Globalisierung und Säkularisierung geht es auch in den Ansprachen, die Daniel und Franziskus zuvor halten. Gemeinsam wollen sie sich diesen Herausforderungen stellen, in einem „säkularen Europa christliche Werte verkünden“, wie Daniel es ausdrückt, damit insbesondere die Jugend den Glauben wiederentdecke und die traditionelle Familie bewahrt bleibe.
In der Kathedrale, vor rund 2.000 Menschen – draußen sind es nur ebenso viele statt der erwarteten 10.000 – sprechen Papst und Patriarch das Vaterunser. Nacheinander, gemäß den Vorschriften der gastgebenden Kirche, aber doch nebeneinander stehend – und so zusammen. Zumal die lateinische Fassung mit dem Papst von vielen mitgesprochen wird, wie umgekehrt die rumänische mit dem Patriarchen. Und so bietet sich vor der strahlenden Ikonostase in Bukarest ein anderes Bild als vor vier Wochen im bulgarischen Sofia, wo Franziskus in der orthodoxen Kathedrale alleine und stumm beten musste.
Zum Bau des Gotteshauses in Bukarest hatte Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch vor 20 Jahren 200.000 US-Dollar gespendet. Es war die erste Reise eines Papstes in ein mehrheitlich orthodoxes Land. Franziskus erinnert an die spontanen Sprechchöre, die damals ertönten. „Unitate, unitate“ – „Einheit! Einheit!“, riefen römische und unierte Katholiken sowie orthodoxe Christen. Doch von einer „Einheit in Verschiedenheit“, wie sie Franziskus als Ziel beschreibt, sind beide Kirchen noch weit entfernt.
Der ökumenische Schwung von damals hat nachgelassen, wie sich auch die Stimmung in Bukarest in Grenzen hält. Die Fahrtrouten des Papstes sind mit Flaggen geschmückt und von Polizisten gesäumt. Hier und da sammeln sich Gruppen von Schaulustigen, eine Reihe mit Fähnchen und eher zaghaften „Francesco“-Rufen.
Bereits am Morgen vor Vertretern aus Politik, Gesellschaft und Diplomatie hatte der Papst an den Besuch seines Vorgängers erinnert, zehn Jahre nach dem Sturz des kommunistischen Regimes. Dieses habe „nicht nur die bürgerliche und religiöse Freiheit unterdrückt“ und das Land isoliert, „sondern auch in eine wirtschaftliche Stagnation geführt und seine kreativen Kräfte versiegen lassen“.
Seit 1990 aber sei es dem Land dank dieser Kräfte gelungen, eine „feste Demokratie“ aufzubauen, „die auf dem Pluralismus der politischen und gesellschaftlichen Kräfte und deren wechselseitigem Dialog beruht“. Wie in Bulgarien ist Franziskus auch bei dessen nördlichem Nachbarn als Mutmacher unterwegs. Ein Bemühen, das Staatspräsident Klaus Johannis eigens würdigt. Und noch bevor Franziskus Probleme wie die Auswanderung von Millionen Rumänen gen Westen benennt, bedankt Johannis sich für die Aufnahme seiner Landsleute dort.
Wie so oft, scheut Franziskus sich ebenso wenig, klare Forderungen aufzustellen: „Je mehr sich eine Gesellschaft das Los der am meisten Benachteiligten zu Herzen nimmt, desto mehr kann sie wirklich zivilisiert genannt werden.“ Eine solche Zivilisation brauche „ein Herz und eine Seele“ und ein klares Ziel, das nicht von außen, etwa „der überhandnehmenden Macht der Hochfinanz-Zentren auferlegt werden“ könne.
Die Kirchen, so der Papst in Anwesenheit des orthodoxen Patriarchen, seien bereit, ihren Teil dazu beizutragen – auch indem sie Prinzipien ihrer Sozialethik einfordern. Die vornehmste Berufung, nach der ein Staat streben müsse, sei es, „sich um das Gemeinwohl seines Volkes zu kümmern“. Im aktuellen, von der EU kritisch begleiteten Kampf Rumäniens gegen Korruption eine Mahnung mit konkretem Hintergrund.
Derzeit hat Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft inne – erstmals und mit Stolz, wie Plakate in der Hauptstadt signalisieren. Auch deswegen hatte Präsident Johannis sein Land als Beispiel für den respektvollen Umgang mit seinen 20 historischen Minderheiten vorgestellt. Das Thema dürfte beim Papstbesuch bis Sonntag öfter zur Sprache kommen.