Debatte über Impf-Konzept in Deutschland

Großbritannien impft. Deutschland diskutiert noch über die richtige Einstufung nach Risikogruppen. Dabei steckt der Teufel im Detail.
Berlin – Großbritannien hat am Dienstag als erstes westliches Land sein Impfprogramm gestartet. Die 90-jährige Margaret Keenan erhielt als erste die Spritze mit dem Wirkstoff der Pharmaunternehmen Pfizer und Biontech. Währenddessen geht in Deutschland die Debatte darüber weiter, welche Gruppen zuerst geimpft werden. Der Teufel steckt dabei oft im Detail.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (Foto: ©BMG)

Großbritannien hat am Dienstag als erstes westliches Land sein Impfprogramm gestartet. Die 90-jährige Margaret Keenan erhielt als erste die Spritze mit dem Wirkstoff der Pharmaunternehmen Pfizer und Biontech. Währenddessen geht in Deutschland die Debatte darüber weiter, welche Gruppen zuerst geimpft werden. Der Teufel steckt dabei oft im Detail.

60 Seiten umfassendes Konzept der Impf-Kommission

Am Montag hatte die Ständige Impf-Kommission (Stiko) beim Robert-Koch-Institut ein 60 Seiten umfassendes Konzept vorgestellt, das die Bevölkerung je nach Dringlichkeit in sechs Kategorien einteilt: Zur Gruppe mit „sehr hoher Priorität“ gehören danach alle Menschen über 80 Jahren, Heimbewohner, Pflegekräfte im ambulanten und stationären Bereich sowie Beschäftigte in Notaufnahmen und Covid-19-Stationen, ebenso andere Beschäftigte in Pflegeheimen, Personen mit Behinderungen und Demenzpatienten sowie deren Betreuer.

Diese Gruppen hätten ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe oder seien beruflich besonders exponiert, so die Impfkommission. Insgesamt umfasst die Gruppe mehr als 8,6 Millionen Menschen – aus Sicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz ein Unding: „Über acht Millionen Menschen scheinbar gleichberechtigt bei der Priorität auf Nummer eins zu setzen, kann nicht funktionieren“, erklärte Vorstand Eugen Brysch. „Deshalb müssen zunächst die Pflegebedürftigen und Schwerstkranken die Chance auf eine Impfung bekommen. Erst danach sind Menschen an der Reihe, die in medizinischen und pflegerischen Bereichen arbeiten.“

Fünf weitere Dringlichkeitsstufen

Die von der Stiko vorgeschlagene Regelung sieht dann fünf weitere Dringlichkeitsstufen vor, die sich vor allem am Alter, an Vorerkrankungen und beruflichen Tätigkeiten orientieren. Der Großteil der Bevölkerung – rund 45 Millionen Menschen – findet sich in der untersten Kategorie mit niedriger Priorisierung.

Konflikte sind programmiert. So sollen niedergelassene Ärzte die Aufgabe übernehmen, Patienten mit Vorerkrankungen ein Attest auszustellen, damit sie ihren Anspruch auf eine Impfung nachweisen können. Der Deutsche Hausärzteverband kritisierte, die Politik drücke sich vor „klaren Priorisierungsentscheidungen“ und lade sie nun „quasi durch die Hintertür“ bei den Hausärzten ab. Es übersteige die Kapazitäten der Ärzte, „wenn nun millionenfach Einzelgespräche und Untersuchungen für Atteste zur Impfberechtigung durchgeführt werden sollen“.

Grundsätzliche Kritik an der Einstufung

Grundsätzliche Kritik an der Einstufung von Ärzten äußerte der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (Virchowbund). 19 von 20 der Covid-19-Erkrankungen würden im niedergelassenen Bereich behandelt. „Besonders bizarr wird die Einstufung von allen übrigen niedergelassenen Ärzten, die laut Stiko nur ein moderates Expositionsrisiko haben“, sagte Verbandschef Dirk Heinrich.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnet damit, dass im Januar in Deutschland drei bis fünf Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen. Im ersten Quartal könnten 11 bis 16 Millionen Dosen bereitstehen, sagte er am Dienstag vor dem Gesundheitsausschuss des Parlaments. Ab dem zweiten oder dritten Quartal sei möglicherweise ausreichend Impfstoff vorhanden, um ohne Prioritäten impfen zu können.

Verletzlichste Gruppen mit Impfungen zu schützen

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, sagte im Gesundheitsausschuss, wenn es gelinge, die verletzlichsten Gruppen mit Impfungen zu schützen, seien eine deutliche Entlastung des Gesundheitssystems sowie perspektivisch die Rücknahme von Restriktionen zu erwarten. Es wäre eine denkbare Strategie der Länder, in Hotspots mit besonders vielen Infektionen zuerst zu impfen.

Die Empfehlungen der Stiko sind allerdings noch nicht endgültig. Bis Donnerstag können medizinische Fachgesellschaften und die Länder Stellung dazu beziehen. Erst dann erstellt das Gesundheitsministerium eine Rechtsverordnung, die bis Jahresende veröffentlicht werden soll. Ein Verfahren, an dem die Linke deutliche Kritik übt.

Linke: Rechtsverordnung des Ministers sei nicht ausreichend

„Wer zuerst geimpft wird, muss der Bundestag entscheiden“, sagte deren gesundheitspolitischer Sprecher Achim Kessler. Denn eine solche Entscheidung werfe ernste ethische Fragen auf. Eine Rechtsverordnung des Ministers sei nicht ausreichend – zumal Klagen gegen die Einstufungen möglich seien.

Von Christoph Arens (KNA)