Missbrauchsbetroffener hält Gercke-Report für lückenhaft
Köln (KNA) Der Missbrauchsbetroffene und ehemalige katholische Priester Michael Schenk kritisiert das sogenannte Gercke-Gutachten, das den Umgang der Bistumsspitze mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln aufarbeitet. Sein Fall sei lückenhaft dargestellt, sagte er am Montag im Deutschlandfunk. So fehlten etwa traumapsychologische Stellungnahmen, die nach einer vom Erzbistum in Auftrag gegebenen Begutachtung seines Falls erfolgten.
Schenk gibt an, in seiner Kindheit von drei Geistlichen missbraucht worden zu sein. An zwei könne er sich namentlich erinnern. 2002 habe er die Missbrauchserfahrungen dem damaligen Kölner Erzbischof Joachim Meisner (1933-2017) gegenüber in einem persönlichen Gespräch angesprochen. „Kardinal Meisner hat das weit von sich geschoben in einer großen Geste und sagte zu mir: Da steht man drüber“, so Schenk, der heute als altkatholischer Geistlicher tätig ist. Er habe zu jener Zeit Suizidgedanken gehabt.
2004 – damals war er schon nicht mehr katholischer Priester – zeigte Schenk die mutmaßlichen Taten beim Erzbistum an. Laut Gercke-Gutachten verlangte die Erzdiözese Therapieunterlagen, weil Schenk angegeben hatte, sich erst im Rahmen einer Therapie an den Missbrauch erinnert zu haben. Ein vom Erzbistum bestellter Fachpsychologe sei anschließend zu dem Ergebnis gekommen, es handele sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Schein-Erinnerungen.
2019 wandte sich Schenk erneut an das Erzbistum und legte weitere Bescheinigungen und Stellungnahmen vor. Diesmal sei ihm geglaubt worden, sagt er. Er habe 5.000 Euro Anerkennungsleistung erhalten. Diese Angabe fehlt im Gercke-Gutachten. Die Juristen stufen Schenk als einen der Fälle ein, in denen Pflichtverletzungen durch hohe Amtsträger nicht eindeutig nachgewiesen wurden.
Der Gercke-Report wurde Mitte März veröffentlicht. Er weist mindestens 75 Pflichtverletzungen durch hohe Amtsträger des Erzbistums im Umgang mit Missbrauchsfällen nach. So sollen unter anderem frühere Erzbischöfe und Generalvikare Verdachtsfällen nicht nachgegangen sein und sich nicht um die Opfer gekümmert haben. Die Gutachter untersuchten den Zeitraum von 1975 bis 2018.
Der Report zeige, was seit Jahrzehnten hinter vorgehaltener Hand immer wieder diskutiert wurde, so Schenk. „Auch in Kirchenkreisen, auch unter den Priestern und Geistlichen, auch auf Führungsebene. Es wussten alle. Aber letztlich hat keiner die Kraft gehabt oder den Willen gehabt, ordentlich dagegen anzugehen.“