Der Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Auslandsgemeinde in London, Andreas Blum, wirbt für eine differenzierte Bewertung von Boris Johnsons angekündigtem Rücktritt.
London – Der Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Auslandsgemeinde in London, Andreas Blum, wirbt für eine differenzierte Bewertung von Boris Johnsons angekündigtem Rücktritt. Bei jenen, die für den Verbleib Großbritanniens in der EU gekämpft haben, wie etwa Teile des Parlaments, Regierungsapparat und Medien, seien „wohl einige Sektkorken geknallt“, sagte er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag. „Aber das darf man nicht verwechseln mit dem gesamten Land“, so Blum, der seit fünf Jahren Pfarrer in London ist. „Genauso wie es diese Mehrheit für den Brexit gegeben hat, war für viele Menschen, die sich vom ‚Establishment‘ nicht mehr vertreten fühlten, Boris Johnson Gesicht und Stimme.“
Kein Nachfolger in Sicht
Jetzt sei die Frage, ob der Rücktritt nicht zu einer noch größeren Krise der Demokratie führen könne. Immerhin sei Johnson mit großer Mehrheit gewählt worden, habe weder eine Wahl noch eine Vertrauensabstimmung im Parlament verloren, „sondern seine eigene Partei hat ihm das Vertrauen entzogen“, gab Blum zu bedenken. „Da kann ich mir durchaus vorstellen, dass das bei den Menschen auch zum Frust über dieses System führt.“
Auch gebe es weder bei der Opposition noch in der Regierungspartei einen designierten Nachfolger oder ein alternatives Programm. Die Rede sei von bis zu 15 Kandidaten und Kandidatinnen. „Aber welche Politik die vertreten, oder ob es dieselbe wird, nur jetzt moralisch auf einem anderen Level, das ist alles ungeklärt“, so der Pfarrer.
Johnson war kein Tugendwächter
Über Johnsons mehrfache Lügen und andere Verfehlungen sagte Blum: „Wenn Sie einen Tugendwächter suchen, jemanden, der Prinzipien hat und diese auch bis zum Letzten durchsetzt – das war Boris Johnson nie. Er ist eher der Typ ‚leben und leben lassen‘ und moralisch sicherlich keine Adresse.“ Andererseits führten seine Anhänger ins Feld, dass er bei „großen Fragen“ wie dem Brexit, der Covid-Impfkampagne und der Unterstützung für die Ukraine „geliefert“ habe. „Moralisch integer zu sein, hat man nie von ihm erwartet, und das ist auch nicht eingelöst worden.“