Die Kirchenkrise am Strand

Für Urlauber an Nord- und Ostsee machen die Kirchen auch in diesem Sommer zahlreiche Angebote. Die Seelsorger bekommen dabei sowohl eine Sehnsucht der Menschen nach Spiritualität als auch Frust über die Kirche zu spüren.

Michael Althaus

Die Kirchenkrise am Strand

Bild von polyquer auf Pixabay

Mehrere Bundesländer sind in die Sommerferien gestartet, die Strände von Nord- und Ostsee sind voll mit Urlaubern. Die Kirchen sind an vielen Ferienorten mit eigenen Angeboten präsent. Seelsorger bieten Strandgebete, Morgenandachten und meditative Spaziergänge an. Zugleich haben sie ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Gäste.

Am Strand des Ostseebads Eckernförde etwa feiert der katholische Seelsorger Georg Hillenkamp zusammen mit seinen evangelischen Kollegen jeden zweiten Freitag einen Gottesdienst. Dafür steht ein zur Kirche umgebauter Schäferwagen aus Holz bereit. Einmal in der Woche bietet er zudem einen spirituellen Spaziergang sowie Kirchenführungen an.

„Es gibt ein Bedürfnis nach Trost“

„Urlaub ist eine Auszeit, aber auch eine Stresszeit, weil die Rollen nicht mehr klar sind“, sagt Hillenkamp. Genau da setze die Arbeit der Tourismusseelsorge an. „Die Leute kommen und erzählen uns die intimsten Geschichten, weil sie wissen, dass sie uns nach ihrem Urlaub nie wieder sehen werden.“ Ein Pfarrgemeinderatsvorsitzender habe ihm etwa von seinen Glaubenszweifeln erzählt. Andere hätten von ihren Sorgen angesichts des Ukraine-Kriegs und der Klimakrise berichtet. „Es gibt ein ganz großes Bedürfnis nach Trost.“

Zugleich bekommt er auch den zunehmenden Frust über die Institution Kirche und den Missbrauchsskandal zu spüren. „Die Kirchenkrise ist bei uns am Strand angekommen.“ Immer wieder erlebt Hillenkamp, dass er als Kirchenvertreter beschimpft wird. Aber auch verzweifelte Kirchenmitglieder kommen zu ihm und schütten ihm ihr Herz aus. So habe ihm eine Lehrerin einer katholischen Schule in Köln erzählt, dass sie sich von der Kirche verraten fühle. Auch Betroffene von sexuellem Missbrauch hätten sich ihm bereits am Strand anvertraut. Daraus habe sich vereinzelt eine längere Begleitung ergeben. In allen Fällen versucht Hillenkamp, nichts schön zu reden oder die Kirche zu verteidigen. „Ich höre einfach zu.“

Ganz ähnlich erlebt das seine evangelische Kollegin Andrea Streubier im Nordseeort Sankt Peter-Ording. Zugleich sieht die Diakonin die Angebote der Tourismuspastoral als Chance, die Kirche von ihrer positiven Seite zu zeigen. „Ich merke ganz deutlich: Der Hunger nach Andacht und Spiritualität ist riesig.“ Sie und ihr Team bieten immer mittwochs „Sonnenuntergangsgedanken am Südstrand“ an. Donnerstags um fünf vor zwölf gibt es unter dem Titel „Anker für die Seele“ ein Mittagsgebet an einem Kirchenschiff am Ordinger Strand. Weiter stehen „Kirchen-Entdecker-Touren“ auf dem Programm, bei denen Texte vorgelesen und Musik gespielt wird. „Anders als bei klassischen Kirchenführungen laden wir die Menschen ein, unsere Kirchen mit Herz und Hand zu erkunden“, so Streubier.

Gesprächssuche am Strand

Etwas weiter nördlich, auf den nordfriesischen Inseln Sylt, Amrum und Föhr, leitet die katholische Seelsorgerin Ute Große Harmann regelmäßig Morgen- oder Mittagsimpulse, Andachten und meditative Spaziergänge. In ihren Gesprächen mit den Urlaubern spielen (kirchen)politische Themen weniger eine Rolle. Im Mittelpunkt steht eher Persönliches – „vom Smalltalk bis zur Trauerbegleitung“. Auch gebe es immer mehr Alleinreisende, die das Gespräch suchten, sagt Große Harmann. „Manchmal setze ich mich einfach in eine unserer Kirchen oder an den Strand, und die Menschen kommen.“

Im ostfriesischen Norddeich feiert die katholische „Seelsorge am Meer“ des Bistums Osnabrück in diesem Jahr erstmals einen Gottesdienst für Menschen und ihre Haustiere. Darüber hinaus gibt es in einer Kirche in Norden sowie an einem Kirchenstrandkorb in Norddeich eine „Tüte Urlaub“ zum Mitnehmen. Darin sind zum Beispiel Bastelideen oder Bibelgeschichten enthalten.

„Die Leute wollen im Urlaub nicht nur betüddelt werden, sondern beschäftigen sich durchaus mit ernsthaften Dingen“, berichtet Seelsorgerin Natalia Löster auf der Internetseite des Bistums Osnabrück. Wichtig finde sie aber, solche Themen nicht zu erzwingen, sondern sie einfach passieren zu lassen – auch bei zufälligen Begegnungen. Dass die Urlauberseelsorge sich für solche „Tür-und-Angel-Gespräche“ Zeit nehme, „haben wir vielleicht anderen Anbietern voraus“.