Reformation: In Zürich ging es um die Wurst

Schon am Anfang ging’s um Scharfe Rauchwurst: Vor 500 Jahren nahm Rat der Stadt Zürich Zwinglis Reformprogramm an – der offizielle Start der dortigen Reformation.

Schon am Anfang ging’s um die Wurst. Scharfe Rauchwurst, genauer gesagt. In der Fastenzeit 1522 hatten die Reformeiferer um Huldrych Zwingli mit einem demonstrativen Wurstessen den Rat der Stadt Zürich provoziert. Der Beginn höchlich theologischer Disputationen. Zehn Monate später, am 29. Januar 1523, war der Rat weichgekocht: Vor 500 Jahren nahm er Zwinglis Reformprogramm an – der offizielle Start der dortigen Reformation.

Wurst-Essen als Provokation

Das Haus des Druckers Christoph Froschauer war der Ort jener denkwürdigen religiösen Provokation. Rund ein Dutzend Mitglieder der städtischen Oberschicht, darunter auch Geistliche, versammelten sich dort, um ostentativ gegen das geltende Fleischverbot während der Fastenzeit zu verstoßen. Verzehrt wurden dünne Scheiben von zwei gut abgelagerten, scharfen Rauchwürsten. Auch der Reformator Huldrych Zwingli (1484-1531), strenger Prediger am Großmünster, war anwesend; allerdings nahm er am Wurstessen selbst nicht teil.

Als der Rat der Stadt (wie offenkundig beabsichtigt) von der Aktion erfuhr, ordnete er umgehend eine Untersuchung an. In seiner Verteidigungsschrift erklärte der Drucker Froschauer, es gebe derzeit mächtig viel Arbeit; Erasmus von Rotterdam habe zur Frankfurter Messe eine dringende Buchlieferung bestellt, und seine Leute würden von „Mus“ (Brei) allein nicht satt. Schließlich könne er nicht ständig Fisch kaufen.

Zwingli seinerseits predigte im Münster über das Fasten – und der Drucker unter Druck stand nicht an, Zwinglis Text umgehend zu veröffentlichen. Spätestens diese Schrift, „Vom Erkiesen [d. h. Auswahl] und Fryheit der Spysen“, machte aus der Provokation einen öffentlichen Disput. Es kam zu Schlägereien zwischen Fastenden und Fastenbrechern. Das Thema war nun „gesetzt“. In Basel gab es am Palmsonntag sogar ein opulentes Spanferkel-Essen.

Zwingli: Ausnahmen bei katholischer Lehre

Zwingli argumentierte, dass es sogar nach katholischer Lehre Ausnahmen gebe. Bei harter Arbeit dürften Fastenvorschriften gelockert werden. Aber hatten Froschauers Drucker denn tatsächlich nur Schmacht nach Deftigem? Nein, es ging natürlich um mehr: um eine symbolische Kontrafaktur der Abendmahlsfeier; um eine Demonstration evangelischer Freiheit. „Willst du fasten, tue es; willst du lieber kein Fleisch essen, dann iss es nicht.“ Privatsache!

Was nicht biblisch ist, ist nicht Offenbarung, sondern bloße Tradition. Sich über die Festlegungen von Bischöfen hinwegzusetzen, war nach protestantischer Auffassung nicht Sünde, sondern vielmehr legitim, ja ein Adelsprädikat für einen freien Christenmenschen; erst recht im Kontext des damals nachwirkenden Schweizer Konflikts mit Papst Leo X. und den ihm verbündeten Habsburgern.

Der Zürcher Rat befreite sich schließlich mit einer Flucht nach vorn aus seiner misslichen Lage: Nach einer öffentlichen Disputation mit Zwingli – vor mehr als 200 Ratsherren, 400 Geistlichen und einer Delegation des Bischofs von Konstanz – machte sich der Rat die Argumentation des beharrlichen Theologen zu eigen und hob am 29. Januar 1523, unter Umgehung aller bischöflichen Instanzen, die bisherigen kirchlichen Fastengebote auf. Fortan sollte nur noch gelten, was die Bibel dazu erlaube oder verbiete.

Das Traditionelle unter Legitimationszwang

Mit dieser Kehrtwende stand nun nicht mehr die unbotmäßige Neuerung, sondern alles Traditionelle unter Legitimationszwang. Bis Anfang 1525 folgten, durch Ratsbeschlüsse gedeckt, die Abschaffung der Heiligenverehrung, eine geordnete Beseitigung kultischer Bilder sowie zu Ostern 1525 eine Neuordnung des Gottesdienstes mit reformierter Abendmahlsfeier.

Die Klöster wurden aufgehoben; Kirchengüter gelangten unter die Ägide des Rates und wurden vornehmlich dem Schulwesen zugeführt – während sich Teile der Züricher Intelligenzija zu Zwinglis Entsetzen zunehmend reformatorisch radikalisierten. 1526 wurden vier von ihnen auf gerichtliche Anordnung feierlich im Limmat ertränkt. „In ganz Europa“, so kommentiert der anglikanische Kirchenhistoriker Diarmaid MacCulloch, „begann die Reformation sich jetzt von einem Karneval des Volkes in etwas Strukturierteres, (…), aber auch Freudloseres zu verwandeln.“

All das begann in Zürich – mit zwei gut abgelagerten, scharfen Rauchwürsten. Für die Reformation in der Schweiz und für die reformierte Kirche hat das Wurstessen einen ähnlich hohen Stellenwert wie der Wittenberger Thesenanschlag Martin Luthers für die evangelisch-lutherische Kirche in Deutschland. Und für die Kircheneinheit war es: das Ende.

Von Alexander Brüggemann (KNA)

Von Abendmahl bis Zwingli: Ein A-Z  zum 500. Jahrestag der Reformation in Zürich

Abendmahl:

Was geschieht beim Abendmahl? Verwandeln sich Brot und Wein tatsächlich in Leib und Blut Christi („Transsubstantiation“)? Ist Christus in Brot und Wein lebendig anwesend („Realpräsenz“)? Oder ist es nur eine symbolhafte Erinnerung an die biblische Szene? Katholiken, Lutheraner und Reformierte trennt nicht zuletzt diese Frage.

Bartholomäusnacht:

wird auch „Pariser Bluthochzeit“ genannt und war ein Pogrom an Tausenden französischen Protestanten, den Hugenotten. Es fand in der Nacht zum 24. August 1572 („Bartholomäustag“) statt. Admiral Gaspard de Coligny und weitere Führer der Hugenotten wurden ermordet, als sie sich zur Hochzeit des Protestanten Heinrich von Navarra (des späteren Königs Heinrich IV.) mit der katholischen Prinzessin Margarete von Valois in Paris versammelten.

Calvinismus:

zählt zu den reformierten Kirchen innerhalb des Protestantismus. Begründer ist der Genfer Reformator Johannes Calvin (1509-1564).

Dienst/Amt:

Für Martin Luther zählt das „Allgemeine Priestertum“ aller Getauften. Die Verwaltung der Sakramente soll allen obliegen, nicht nur den Geistlichen; allerdings braucht es eine Beauftragung durch Gemeinde oder Vorgesetzten.

Evangelisch:

vom altgriechischen Wort Evangelium (Frohe Botschaft) abgeleitete Bezeichnung für die lutherischen und reformierten Kirchen; auch Selbstbezeichnung für viele Freikirchen.

Fronleichnam:

Mit diesem aus dem Mittelalter stammenden Schaufest, dessen althochdeutscher Name etwa „Fest des Leibes und Blutes Christi“ bedeutet, erinnern die Katholiken an die Gegenwart Jesu im Sakrament der Eucharistie. Luther bezeichnete den Feiertag 1527 als „allerschädlichstes Jahresfest“, dem die biblische Grundlegung fehle.

Gnade:

Luther versteht das Gnadenhandeln Gottes vor allem als Rechtfertigung des Menschen. Nicht mit eigenen Werken kann sich der Sünder Gottes Gnade erarbeiten, sondern nur Gott selbst rechtfertigt/begnadigt ihn aus freien Stücken („sola gratia“; lat. nur durch die Gnade). In der modernen Theologie heißt es heute, die Differenzen in der Rechtfertigungs-/Gnadenlehre hätten keine Kirchenspaltung notwendig gemacht. Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von Vatikan und Lutherischem Weltbund von 1999, die einen Konsens in dieser Frage bestätigt, wurde inzwischen auch von Methodisten, Reformierten und Anglikanern anerkannt.

Heilige:

Als sozusagen institutionalisierte Vermittler zwischen Gott und den Menschen gibt es sie in den protestantischen Kirchen nicht – was nicht heißt, dass nicht Bekenner der Kirchengeschichte „wie Heilige“ verehrt und hochgehalten werden; etwa Martin Luther, Frere Roger, Martin Luther King, Dietrich Bonhoeffer oder Desmond Tutu.

Interkommunion:

Mit dem gemeinsamen Empfang von Brot und Wein durch Christen verschiedener Konfessionen tut sich vor allem die katholische Kirche schwer. Grund ist das theologisch sehr unterschiedliche Verständnis vom Abendmahl (s. dort).

Jesus:

hatte sicher nicht vor, Dutzende Kirchen mit unterschiedlichen Konfessionen, Riten und Glaubensbekenntnissen zu gründen. Aber 2.000 Jahre sind eine lange Zeit, und die Welt ist groß.

Kloster:

Eigentlich stehen nach Auffassung des einstigen Augustinermönchs Luther Klosterleben und -gelübde im Widerspruch zu seiner Gnaden- und Rechtfertigungslehre (s. dort). Dennoch gibt es allein derzeit im deutschsprachigen Raum rund 30 Frauen- und etwa 10 Männerkonvente, häufig Stift (Frauen) oder Bruderschaft (Männer) genannt. Ihre Lebensform ähnelt vielfach der in katholischen Klöstern.

Luther:

der Übervater aller Reformatoren. Einen Namen wie den seinen als amtliches Stadtattribut („Lutherstadt Wittenberg“, seit 1938) haben noch nicht mal Karl der Große in Aachen oder Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. in Marktl am Inn. Der 500. Jahrestag seines „Thesenanschlags“ wurde 2017 allumfassend (= „katholisch“) begangen.

Melanchthon:

Philipp Schwartzerdt (1497-1560) spielte auch in der Bundesliga der Reformatoren und auch für Wittenberg. Als Unirektor und Professor für Altgriechisch gräzisierte er seinen deutschen Namen in Melanchthon.

Nantes, Edikt von:

König Heinrich IV. gewährte den Calvinisten (Hugenotten) im katholischen Frankreich 1598 religiöse Toleranz und volle Bürgerrechte. Zugleich fixierte er den Katholizismus als Staatsreligion. Sein Edikt beendete vorübergehend die französischen Religionskriege zwischen Hugenotten, Katholiken und Königtum.

Ökumene:

Das Gespräch zwischen den getrennten christlichen Konfessionen zielt auf mehr Zusammenarbeit und letztendlich auf eine Überwindung der Kirchenspaltungen. Nähe bzw. Ferne zwischen den einzelnen Gesprächspartnern in Fragen von Lehre und Kirchendisziplin, aber auch Kultur und Geschichte, haben wesentlichen Einfluss auf die jeweiligen Erfolgsausaussichten.

Papst:

Als Bischof von Rom Nachfolger des Apostels Petrus und als solcher Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, kommt ihm auch in der gespaltenen Christenheit ein gewisser Ehrenrang zu. Doch kann er in Zukunft auch ein „Primus inter pares“ und eine Art „Sprecher aller Christen“ werden? Die Zustimmung zu einem solchen Ökumene-Modell ist keineswegs einhellig.

Quedlinburg:

Grablege des Sachsenkönigs Heinrich I. (919-936). Der Domschatz gehört zu den bedeutendsten Deutschlands. Die Kirche, im Mittelalter Sitz eines reichen Damenstifts, wird nach der zwischenzeitlichen Entweihung durch die Nationalsozialisten wieder von der evangelischen Kirchengemeinde des Ortes genutzt.

Reliquienverehrung:

ist nichts für Protestanten. Luther sagte einst zur Jakobus-Wallfahrt ins spanische Santiago de Compostela: „Da haben wir nu nichts gewiß von dem: etlich sagen, er lig in Frankreich zuo Thalosa, aber sy seind jrer sach auch nit gewiß. Darumb laß man sy ligen und lauff nit dahin, dann man waißt nit ob sant Jacob oder ain todter hund oder ein todts roß da liegt, … laß raisen wer da wil, bleib du dahaim.“

Schrift, Heilige:

Der Ausdruck „sola scriptura“ (lat. für „allein durch die Schrift“) steht für den theologischen Grundsatz der Reformatoren, nach dem die christliche Botschaft hinreichend durch die Bibel vermittelt wird und nicht der Ergänzung durch weitere kirchliche Überlieferungen bedarf (s. Tradition).

Tradition:

Mit Tradition wird allgemein die Übernahme und Weitergabe von Gedankengut und Lebensweisen früherer Zeiten bezeichnet. In der katholischen Überlieferung ist damit die Geschichtlichkeit des Glaubens gemeint, also etwa frühchristliche Lehrschriften („Kirchenväter“), das Vorbild der Heiligen oder die Fortschreibung von Theologie. Die Tradition wird der biblischen Offenbarung als Quelle des Glaubens beigestellt; im Grunde ist auch die Herausbildung des Kanons der biblischen Schriften eine Sache der Tradition.

Urbi et orbi:

Zu Weihnachten und Ostern erteilt der Papst den Segen „Urbi et orbi“, aus dem Lateinischen übersetzt: „der Stadt und dem ganzen Erdkreis“. In dieser Formel kommt der weltumfassende Anspruch der katholischen Kirche zum Ausdruck. Sie geht auf die römische Antike zurück. Damals galt Rom als Inbegriff der Stadt (urbs) schlechthin und als Mittelpunkt der Erde (orbis).

Vorreformatoren:

Als „vorreformatorische Bewegungen“ gelten etwa die Waldenser, John Wyclif oder der böhmische Prediger Jan Hus. Sie vertraten im 12. bis 15. Jahrhundert zum Teil Ansichten und Themen wie später die Reformatoren.

Wurst:

Ein demonstratives Wurstessen am ersten Fastensonntag 1522 als Absage an nichtbiblische Kirchengebote war in Zürich der inoffizielle Auftakt der Reformation.

X-Chromosom:

Die Priesterweihe für Frauen ist heute ein schwerer Stolperstein in den ökumenischen Beziehungen zwischen katholischer und orthodoxer Kirche einerseits und den Kirchen der Reformation andererseits.

Y-Chromosom:

Die katholische Kirche steht in den derzeitigen Reformdebatten als „Männerkirche“ am Pranger. Weiheämter für Frauen sind nicht vorgesehen. In Umsetzung sind mehr höhere Leitungsämter, die nicht ans Priesteramt gebunden sind, für Frauen.

Zwingli:

Der Schweizer Theologe und Prediger Huldrych Zwingli (1484-1531) führte in Zürich die Reformation ein. Aus der Zürcher und der Genfer Reformation ging die reformierte Kirche hervor (in Abgrenzung zum lutherischen Bekenntnis; s. auch Calvinismus).

kna