Die mittlere Ankunft

Bernhard von Clairvaux spricht von einem „mittleren Advent in Geist und Kraft“. Er entdeckt in der Geschichte Zeiten, in denen Christi Kommen deutlicher erlebt wird. Und heute?
Die mittlere Ankunft

Adventsinstallation 2021, Überwasserkirche Münster: Hinten Kreuz und Gesicht Christi, verpixelt, von oben Splitter in Farben des Christusgesichts. –Foto: Rupert König

In einer Stiepeler Zisterzienserzeitung fällt das Wort vom „mittleren Advent“. Man stutzt. Was ist damit gemeint? Die zwei klassischen Ankünfte Christi fallen einem ein. Die erste in der Niedrigkeit, im Stall von Bethlehem. Und die zweite, einmal in Herrlichkeit. „Von dort wird er kommen zu richten…“, sagt das Glaubensbekenntnis. Nach apostolischer Weisung soll letztere Ankunft nicht nur erwartet, sondern eindringlich herbeigebetet werden. Maranatha. Herr, komm! (1 Kor 16,22 und Offb 22,20). Schon früh mahnt Kirchenvater Cyprian von Karthago (+258), das Gebet um die Wiederkunft Christi nicht aus Furcht einfach wegzulassen.

Die zweifache Ankunft Christi gehört zum Kernbestand christlicher Predigt. Aber die Zwischenzeit ist lang. Jahrhunderte, zwei Jahrtausende der Menschheitsgeschichte dauert sie schon, vor allem unser ganzes eigenes Leben lang. Nur zurück in die Vergangenheit zu schauen und nur nach vorne in die Zukunft, ist unbefriedigend. Es muss auch um Ankunft Jesu jetzt gehen. Bernhard von Clairvaux (+1153) ist es übrigens, von dem das Wort von der mittleren Ankunft Christi stammt. Er nutzt die Wendung vom „adventus medius“ in seinen Adventspredigten: „Eine dreifache Ankunft des Herrn kennen wir. Die dritte ist in der Mitte zwischen den anderen. In der ersten Ankunft kam er im Fleisch und in der Schwachheit. In der mittleren kommt er in Geist und Kraft, in der letzten in Herrlichkeit und Majestät.“ (5. Adventspredigt)

Dass Bernhard gerade die „mittlere Ankunft“ Jesu in seiner Zeit als eine geistvolle und kraftvolle erlebt, lässt aufhorchen. Scharen von jungen Männern schließen sich seiner Bewegung an. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Er predigt neutestamentlich: „Wenn jemand mich liebt und mein Wort hält, dann wird mein Vater ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ (Joh 14,23). Das versteht er nicht nur als Gottesgeburt im Herzen des einzelnen, sondern als gemeinschaftliche Bewegung.

„Epochale“ Ankünfte in der Geschichte 

Auch Benedikt XVI. spricht von „epochalen“ Ankünften in der Geschichte (s. u.a. Schluss Jesusbuch, Band II). Er nennt Bernhard, der in den gegen Verweltlichung gerichteten Ordensreformen seines Jahrhunderts Zeichen des Kommens Christi in Geist und Kraft entdeckt. Auch die Bewegungen des Franziskus und Dominikus im 13. Jahrhundert stellt Benedikt in den Zusammenhang einer epochalen mittleren Ankunft Jesu. Die Gestalt Christi erscheine auch in den Heiligen des 16. Jahrhunderts, Theresa von Ávila, Johannes vom Kreuz, Ignatius von Loyola, Franz Xaver. Ebenso können die Ordensgründungen des 19. Jahrhunderts mit ihrer Leidenschaft für Caritas und Mission adventlich interpretiert werden. An die paulinische Mission kann man denken, die hohe Zeit der Kirchenväter, das Zweite Vatikanum.

Und heute? Der kirchlichen Jetztzeit hierzulande scheint es an Kraft und Aufbruch zu mangeln. Kirchenaustritte, Kirchenschließungen, schwacher Kirchenbesuch. Das Pfingstlied von Maria Luise Thurmair passt nicht recht. Wo schreitet Christus raumgreifend durch die Zeit? Wo weht sein Geist gewaltig und unbändig? (Gotteslob Nr. 347,4) Erstaunlich, dass die Dichterin das Lied 1941 so schreiben konnte. Wir lassen uns nicht entmutigen. Wir glauben gegen den Anschein. 

Wenn nicht viele mitmachen, dann machen wir als wenige weiter. Maß für die mittlere Ankunft kann nur die erste Ankunft Christi im Verborgenen sein. Mit den „Kleinen“, wie Jesus seine Jüngerinnen und Jünger nennt, halten wir heute Augen und Herz offen. Und steuern unseren Teil treu dazu bei, dass für seine „mittlere Ankunft“ Türen geöffnet werden. Er wird das Seine dazu tun und auch heute kommen. Maranatha.

Alfons Zimmer