Zuhause an einem fremden Ort

Die 19-jährige Carina Könen war ein Jahr lang in Medellin Begleiterin für Kinder eines salesianischen Internats.
Zuhause an einem fremden Ort

Kinder mit einem Betreuer der „Ciudad“ –Foto: Privat

Essen – Es kann gut sein, dass man in Kolumbien von Einheimischen gefragt wird, ob man amañada sei. Für diesen Ausdruck gibt es keine direkte Übersetzung ins Deutsche, sinngemäß aber bedeutet es, ob man sich an dem Ort, an dem man sich befindet, wohl und heimisch fühle. „Mich haben das Land und die Leute schon seit dem ersten Tag  begeistert“, sagt Carina Könen. Sie habe auch  „durch alle Schwierigkeiten und Herausforderungen viel über die Arbeit mit Kindern aber vor allem über mich selbst lernen können. Dafür bin ich sehr dankbar.“

Sie hat bis zum Herbst ihr Freiwilliges Soziales Jahr in dem lateinamerikanischen Land verbracht. Nun berichtet sie mit Bildvorträgen über ihr Leben in der Ciudad, wo sie mit 10- bis 14-Jährigen Kindern gearbeitet hat, denen ein sicherndes Netz ihrer Familie fehlt. Sie erzählt  auch über ihre Gedanken und Begegnungen. Die Ciudad, in der sie arbeitete, ist ein Internats-, Schul- und Ausbildungsprojekt der Salesianer Don Boscos in der Millionen Metropole Medellin. 

Dort sind 200 Internatsschüler zu Hause. Und es gibt auch 400 Jugendliche, die dorthin zur Schule gehen. 15 Minuten Busfahrt entfernt leben im Capre 40 Mädchen und Jungen, die als Kindersoldatinnen in den Krieg gezwungen wurden. Zwei andere Einrichtungen der Salesianer haben sich Vorbeugung auf die Fahnen geschrieben. Begleiter, Lehrende und eine Psychologin stärken Kinder vorab für den Alltag und mögliche künftige Krisen. Sie wollen sie frühzeitig schützen und so vielleicht vor einem Leben auf der Straße bewahren. „Die Kinder wissen, was Verlassensein zu Haus ist, manche waren in ihren Familien Gewalt ausgesetzt“, berichtet Könen. 

Zu einem Kolumbiennachmittag in Oberhausen bringt Carina Könen Anschauungsobjekte aus dem lateinamerikanischen Land mit: Textiltaschen aus der Werkstatt indigener Menschen, „Barranquero“, den kunstvoll bemalten Blauscheitel-Vogel, dazu von Kindern und ehemaligen Schülern gefertigtes Kunsthandwerk. Sie berichtet etwa über Miguel, der als Künstler sehr talentiert sei. „Zum Lebensunterhalt durch die Kunst fehlen ihm aber Mittel für eine eigene Werkstatt mit Atelierräumen. Dann könnte er sich als Künstler durchbeißen“, erzählt sie. Aber in Kolumbien gibt es viel Armut, deren Ursachen bis in die Kolonialgeschichte und die damit verbundene Ausbeutung von Bodenschätzen und Menschen zurückreichen. 

Bewohnern emotional Wärme geben

Viele Jugendliche haben kein Dach über dem Kopf. Um die jungen Menschen in schwieriger sozialer Lage und auf der Straße kümmert sich die Ciudad. „Drei Monate musste ich mich bei den Jüngsten reinhören ins Spanische“, berichtet Carina Könen. Bald aber hätten ihre Kenntnisse für den Internats- und Schulalltag – werktags von 8 bis 17 Uhr – gereicht: Malen, Kunstgestalten, Basketball spielen und ganz einfach die Spiele der Jungs begleiten seien ihre Aufgaben gewesen, erzählt sie. Hierbei seien Beziehungen gewachsen. „Entscheidend für meinen Draht zu unseren ,Jüngsten‘ war, wenn ich auch abends Zeit hatte“, sagt sie. Denn solange sie auch während der Freizeit am Abend in der Unterkunft der Jungs war, durften ihre Schützlinge noch aufbleiben. „Das schaffte für alle Atmosphäre“, beschreibt Carina. Sie erkannte und entwickelte ihre Rolle und wuchs in ihre Aufgabe hinein. „Als Freiwillige machten wir das ‚Plus‘ für Kinder in der Ciudad aus“, sagt sie.

Als einzige Frau war sie mit bis zu sechs jungen Männern Volontärin in den Salesianer-Einrichtungen. „Manchmal konnten wir Bewohnern emotional Wärme geben.“ Nur durch Beziehungen hätten Kinder nach ihrer oft schlimmen Vorgeschichte wieder wachsen und ihr Leben neu entwickeln können. Vom früheren Alltag der Schützlinge erfuhr die Abiturientin des Essener Don Bosco Gymnasiums so nebenbei. „Väter verließen ihre Familien auf der Suche nach Arbeit“, sagt sie. Manche lebten auch mit enttäuschten Träumen von einem guten Leben in Mexiko oder Nordamerika. Zurück bleiben da Mütter, die herausgefordert und oft überfordert sind. „Denn sie müssen tagsüber das Budget fürs Leben erarbeiten und zugleich die Kinder im Alltag voran bringen.“

Emotionale Wärme geben

So kümmert sich die Ciudad in sogenannten Programmen – von der „Eingangsstufe“ über die „Schmiede der Hoffnung“ bis hin zu „Blick aufs Leben“ – um die Vorbereitung auf eine Selbstständigkeit. „Zu unserer ,Schmiede‘ für alle ab 14 gehören zum Beispiel Werkstätten für Elektro- und für Metallarbeit, dazu die Autowerkstatt und ein Friseursalon“, berichtet sie 

Die Kinder und Jugendlichen hätten es „hier gut getroffen durch die Ausstattung und Begleitung bei uns“, berichtet sie. Zwei Zwillinge etwa „träumten in Medellin von ihrer künftigen Autowerkstatt Garcia“. Mechaniker und Gründer wollten sie dort werden. „Es war für mich eine große Aufgabe, begleitend und nah bei allen Jungs zu sein und sie tagsüber beim Malen, unter dem Basketball-Korb oder auch künstlerisch zu fördern.“ Die Kinder hätten aber auch ihr „geholfen zu wissen, dass ich das anpacken will“, sagt sie. Deswegen denkt sie bereits über an eine kunsttherapeutische Ausbildung im Anschluss an  ihr geplantes Kunststudium nach. „Als Freiwillige kamen und kommen wir nicht als Weltverbesserer oder Helfer zu den Kindern“, betont Carina Könen. Mehr zähle Begegnung und Beziehung im Leben. Vielleicht habe auch ihre Nähe zu den Kindern ein Stückchen ihres Lebens verändert.

Welche anderen Eindrücke sie aus Kolumbien mitbringt? Die 19-Jährige spricht von der Vielfalt der Landschaft, von den Anden, der Wüste, zwei Meeren, von der großen Artenvielfalt von der Pflanzen und Tiere. Kolumbien sei „nicht nur das Land des Drogenhandels und der Korruption“, sagt die junge Freiwillige. Die schöne Natur, dazu die Menschen, ihre Feste, die Feier ihres Glaubens. Ein Ort also, wo man amañada sein kann.

Ulrich Wilmes

Für die Arbeit mit den Kindern im Projekt der Salesianer sammelt Carina Könen weiter Spenden. Wer sie unterstützen will, kann das tun über das Konto der Don Bosco Mission, Sparkasse Köln/Bonn, IBAN: DE89 3705 0198 0000 0994 99; BIC: COLSDE33XXX. Verwendungszweck: Carina Könen, Spenderkreis S22VR011 (für Spendenbescheinigung Adresse in der zweiten Zeile angeben).