Dem Kreuz des eigenen Lebens stellen können …

… und daran wachsen und reifen. Eine Wirklichkeit, die Gott von uns fordert.
Dem Kreuz des eigenen Lebens stellen können …

Nicht immer läuft das Spiel zwischen Kindern so friedlich ab. Oftmals äußern sie auch lautstark ihre Wünsche, wenn ihnen etwas nicht passt oder nicht schnell genug geht. Foto: © Oksun70/dreamstime.com

Liebe Leser*innen, seit fast sechs Jahren wohne ich neben einer Grundschule. In jeder Pause höre ich immer wieder: „Ich will aber“. Kinder fordern lautstark ein, was Ihre Wünsche sind. Wenn die Lehrkräfte, Spiel­kame­rad*in­nen schnell Ruhe haben wollen, geben sie dem geäußerten Bedürfnis schnell nach. Ein Lernerfolg bei der fordernden Person stellt sich selten ein.

Wenn wir ehrlich sind, geht es uns Erwachsenen oft genug selbst so, wie den Kindern auf dem Schulhof. Wenn wir etwas wollen, ist das Bedürfnis groß, dass wir möglichst schnell zu unserem Recht kommen. 

Je älter wir werden, spüren wir, dass wir nicht immer sofort zu unserem Recht kommen. Ähnlich schien es den Menschen in Jerusalem zu gehen: Sie wollen Jesus sehen. Er mahnt sie zur Geduld. Eine der schwierigsten Übungen des Alltags. 

Wer Jesu Leben verstehen will, braucht einen langen Atem. Wir sind hineingenommen in seinen Tod und seine Auferstehung. Doch führt dieser Weg nicht am Kreuz vorbei. Es gibt kein „mal eben“ schauen dürfen. Wer diesen Jesus wirklich sehen will, muss den Weg des Menschen gehen, vor allem in den Beziehungen zueinander. „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach.“ (Joh 12, 26f)

Gerade in den Herausforderungen dieser Zeit wird unsere Geduld kräftig auf die Probe gestellt. Ich will aber, dass die Kriege in der Ukraine, Israel und an so vielen Orten dieser Welt an ein Ende kommen. Ich will aber, dass mir nicht dauernd eine rechtskonservative Politik Angst macht, will nicht dauernd mit Streik umgehen müssen, will nicht dauernd Schreckensnachrichten über die Kirche lesen oder mich fragen müssen, warum Struk­turveränderungen meist in Jahrzehnten gedacht werden und vor allem will ich, dass ich mein eigenes Leben sortiert führen kann. 

An diesem Sonntag werden wir in unseren Kirchen oft genug sehen, dass die Kreuze verhüllt sind. Vielleicht erinnert es uns daran, welche Bedeutung das Kreuz für das eigene Leben haben kann. In der Theologie wird das Kreuz als „Hebewerkzeug zum Leben“ beschrieben. In all den Wünschen und Forderungen, die wir haben, wird so mancher Plan wahrhaft durchkreuzt. 

Somit sind wir wieder bei den Kindern auf dem Schulhof. Wer sich dem Kreuz des eigenen Lebens nicht stellt, wird im Leben nicht wachsen und reifen können. Es ist keine Frage des Alters, sondern eine Wirklichkeit, die Gott von jedem von uns fordert. 

ER will uns zeigen, was er versprochen hat. Wer sich vom Kreuz zeichnen lässt, gestaltet das Leben ohne „faule Kompromisse“ oder zu schnelle Zugeständnisse. Das muss man nur üben. Mich erinnert jede Pause in der Grundschule daran, warum es manchmal gut ist, nicht immer sofort seinen Willen zu bekommen.

Andreas Lamm