Von der Krankheit zum Tode und der Macht von Ostern.

Der Weinstock als Bild für die Kirche: Die Reben mit ihren saftigen Trauben stehen für die Menschen. Der Weinstock aber, der tragende Grund, dessen Kraft alles durchströmt, ist – Jesus Christus. Foto: makamuki0/pixabay.com
„Und die Krankheit zum Tode kann ich nicht mit Pfefferminztee behandeln.“ So drastisch hat es einmal der bekannte, im Jahr 2020 verstorbene Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger formuliert. Und damit zielt er genau auf das heutige Sonntagsevangelium.
Zunächst aber zur Rede von der „Krankheit zum Tode“. Von dieser Krankheit erfahren wir viel in diesen Wochen und Monaten: Der langwährende Krieg in der Ukraine, dessen Ende nicht absehbar ist. Der grausame Krieg im Nahen Osten. Stürme, Dürre, Gletscherschmelzen: Veränderungen im Klima, an denen der Mensch nicht unschuldig ist und die der ganzen Welt zur Bedrohung werden. Eine Pandemie, der wir zwar entronnen sind, die sich aber als dunkles Unheil in unsere Erinnerung fest eingebrannt hat.
Die Krankheit zum Tode kennt viele Gestalten. Sie enthüllt gnadenlos, wer wir sind: Zerbrechliche, vergängliche Wesen. Trotz aller Machtfülle, die sich der Mensch mit all seinen technischen Fertigkeiten im Laufe der Geschichte erworben hat. Der Tod, so die Mahnung und die sichere Einsicht, ist immer zum Greifen nah.
Das heutige Sonntagsevangelium (Joh 15, 1-8) hat – scheinbar – wenig mit dieser dramatischen Weltsicht zu schaffen. Und dennoch: Bei Pflanzen geht es immer um Leben und Tod. Fehlt ihnen ihr Lebenselixir, das Wasser, sterben sie sehr schnell. Die Krankheit zum Tode, sie ist auch in der Rede vom Weinstock und seinen Reben beständig präsent. Denn auch hier gibt es das harte Ringen um Leben und Tod.
Es ist ein ehernes Gesetz: Der Weinstock trägt nur dann Früchte, wenn er beschnitten wird. Jede Rebe ohne Blütenansatz wird gleich beim ersten Schneiden entfernt (Joh 15,2). Das, was verdorrt ist, taugt allenfalls als Brennmaterial. Es wird gesammelt und ins Feuer geworfen (Joh 15, 6). Alles ist auf das Erbringen der Früchte ausgerichtet: Wird nach ihrer Blüte der äußerste Teil der Rebe mit seinen Blättern und Ranken beschnitten, gereinigt (Joh 15,2), so geht alle Lebenskraft in die reifenden Früchte und macht sie nur noch saftiger.
Damit ist klar: Es geht nicht um die einzelne Traube, es geht um die ganze Rebe, die aus dem fast nicht sichtbaren Strunk ihre Lebenskraft empfängt. Das Bild, das hier gemalt wird, ist klar und deutlich. Der Weinstock steht für das Gottesvolk, das aus Ägypten ins Gelobte Land verpflanzt wurde. Der Weinstock ist dann aber auch im Johannesevangelium ein einprägsames Bild für die Kirche. Die Reben mit ihren saftigen Trauben, das sind – wir. Der Weinstock aber, der tragende Grund, dessen Kraft alles durchströmt, ist – Jesus Christus. Wer in ihm ist und aus ihm lebt, „der bringt reiche Frucht“ (Joh 15, 5). Dessen Leben steht in der Sorge des Vaters, den der Herr konsequenterweise auch den „Winzer“ (Joh 15,1) nennt.
Von zentraler Bedeutung ist aber das „Bleiben“, eines der Lieblingsworte im Evangelium des Johannes. Jesus redet sehr deutlich vom Bleiben. In ihm sollen wir „bleiben“ – dann bleibt er in uns (Joh 15, 4). Der aber, der nicht, so der Herr, in ihm bleibt, der muss und wird verdorren, der kann „nichts vollbringen“ (Joh 15, 5). Allein in der Liebe des Herrn ist es möglich, zu wachsen, zu reifen, sich im Glauben zu bewähren. Für Johannes, den Evangelisten, spielt die Gemeinde ganz offensichtlich eine wesentliche Rolle. Der Glaube kann nur dort kraftvoll gelebt und bezeugt werden, wo alle eins, im Herrn verbunden, Jünger, Glieder seines Leibes, Gemeinde sind (Joh 15,8).
Und daher noch einmal zurück zur „Krankheit zum Tode“, die der Neutestamentler Berger nicht mit Pfefferminztee behandeln mag. Alles eben zu seiner Zeit: Hausmittel können zwar viel bewirken, ihr Gebrauch stößt aber meist bald an die Grenzen ihrer Wirksamkeit. Für diese Welt und ihre Rettung braucht es andere Wege und Mittel. Für diese Welt braucht es einen Gott, der das Dunkel, das Leid, den Tod wendet.
Der Jesus des heutigen Sonntagsevangeliums ist da sehr direkt: Er ist der Sohn des Vaters im Himmel, er ist das Heil, die Rettung. Getrennt von ihm wohnen Verhängnis und Tod. In seinem Tod und in seiner Auferstehung aber ist die Krankheit zum Tode geheilt (Joh 15, 5-6). So enthüllt das Sonntagsevangelium, wie es um diese Welt steht. Aber es zeigt auch, wie wir in dieser Welt bestehen können. Jesus lädt uns ein, seine Jüngerinnen und Jünger zu werden (Joh 15,8), er fordert dazu auf, sich in den Strom des Lebens zu halten, das an Ostern offenbar geworden ist. Der Herr verheißt uns, dass wir in diesem Strom von Liebe und Hingabe Verwandlung finden, Verwandelte werden, die in seiner Liebe zu einer großen Freiheit und Souveränität finden: „…bittet um alles, was ihr wollt. Ihr werdet es erhalten“ (Joh 15,7).
Was es dazu braucht? Den Mut, auf gleich zweifache Weise „im Herrn“ zu sein und es zu bleiben: Im Mut zum Verweilen, zur Stille, zum Gebet. Und im Mut zur Tat – „Frucht“ zu bringen in dieser zerrissenen und bedrohlichen Welt. Denn: In den Werken von Nächstenliebe ist das Leben, wächst der Himmel schon jetzt auf Erden. Zeigt sich auch im Dunkel und in der Not, wie herrlich Ostern ist. Trägt der Weinstock reiche Frucht (Joh 15, 8).