Der Thekenseelsorger

Der Theologe Martin Patzek möchte die Kirche auf die Straße bringen. Was das bedeuten kann, zeigt er auch in seinem neuen Buch.
Der Thekenseelsorger

Das erste Foto im Buch zeigt Martin Patzek beim Abendmahl nicht etwa in einer Kirche, sondern bei einer Hausmesse. „Die Community wird die Kirche ersetzen“, davon ist er überzeugt. –Foto: Privat

Hattingen – Martin Patzek betreibt „Thekenseelsorge“. Und die scheint ihm in die Wiege gelegt: „Die Eltern meines Vaters waren Wirtsleute. Söhne und Tochter, also auch mein Vater, sind darin groß geworden“, sagt der Priester. „Die Einkehr in Gaststätten von Wanderung und Spaziergängen bis hin zu Versammlungen und Kirchentagen gehörte in unserer Verwandtschaft dazu.“

Zu seinen beruflichen Stationen gehörten Diskotheken für junge Leute, Tanzveranstaltungen und zwangloses Zusammensein etwa von Studentinnen und Studenten sowie der Kirchenkaffee bei der Kirche unter Soldaten. Thekenseelorge ist für Martin Patzek ein breiter Begriff: Die unterschiedlichsten Dorfbewohner und Passanten setzen sich zu ihm oder umgekehrt. Lebensgeschichten werden ‚narrative‘, erzählende Theologie.

Offiziell im Ruhestand

Ein ungeahntes Vertrauen wird in den liebenden Gott und seine oft ungeliebte Kirche gesetzt. Jegliche Art von Lebensbejahung oft auf Probe oder auch (zuver-)lässig werden fundamentiert. Alles hängt an der Beziehungsfähigkeit untereinander. Gutes Wetter lässt sie meistens draußen bereden, was drinnen im Herzen passiert (ist). Auch sein eigenes Befinden wird angefragt. Martin Patzek kann und will noch Community, Gemeinde und Kirche in (s)einen Blick nehmen und mit Bibeltradition die Zeichen unserer Zeit deuten, Schutt abladen helfen und frei werden von Ängsten, Nötigung und Missbrauch.

Offiziell ist Martin Patzek im Ruhestand. Das ist für den in Hattingen lebenden Priester und promovierten Caritaswissenschaftler jedoch insofern eher eine Formalie, als sie nur bedeutet, dass er sich vom alltäglichen Dienst verabschiedet hat. Ob als regelmäßiger Kolumnist der katholischen Wochenzeitung Neues Ruhrwort, als Buchautor und keinesfalls zuletzt auch als zuhörender Seelsorger hat er weiterhin viel zu sagen, mit einer sehr persönlichen und kreativen Note. 

Sein ganzes berufliches Leben hatte mit Caritas zu tun: Die Familie war von der Gemeinde-Caritas geprägt, sein Engagement galt Obdachlosen und äußerte sich als Caritaspriester in Gemeinde, Verein und Verband. Nach zahlreichen Büchern zu Spiritualität und Theologie hat er 2019 erstmals einen sehr persönlichen Ansatz gewählt: in seinen unter dem Titel „Ich spür nicht Rücken, sondern Seele“ veröffentlichten Tagebuchnotizen für 2017/18. 

Tagebücher im Jahrestakt

Der stets politisch denkende Seelsorger, der von hoffnungsvollen innerkirchlichen Aufbrüchen nach dem Zweiten Vatikanum geprägt ist, beließ es hier freilich nicht bei einer Selbstbespiegelung, sondern nutzte die Tagebuchnotizen produktiv zur Reflexion der Zeitläufte und auch der aktuellen Kirchenpolitik wie etwa des Pfarreientwicklungsprozesses im Bistum Essen mit seinen zahlreichen Kirchenschließungen.

Weitere Tagebücher folgten im Jahrestakt. Mit seinem neuen Buch verknüpft Patzek erstmals seine Tagebuchnotizen mit einem explizit spirtuellen Teil und lässt so gewinnbringend Lebensgeschichten zu erzählender Theologie werden: „Thekenseelsorge – auf die Straße gebracht“ lautet der Titel. Illustriert ist die Publikation von der örtlichen kfd-Theatergruppe in Hattingen Blankenstein.

Patzek vermittelt die Bedeutung von Gemeinschaft beim Essen, von aufsuchender Seelsorge und der Kaffeemaschine in der Kirche. Und er will Seelsorge aus der Kirche und auf die Straße bringen. Das erste Foto im Buch zeigt ihn beim Abendmahl nicht etwa in einer Kirche, sondern bei einer Hausmesse. „Die Community wird die Kirche ersetzen“, sagt er

spe