Zu allen Zeiten haben Menschen gefragt: Wieso gibt es den Menschen als Frau und Mann? Verschieden – einander ergänzend – und doch jeder für sich ein Geheimnis?
Bei den Griechen wurde eine seltsame Geschichte erzählt, um die Anziehungskraft zwischen Mann und Frau zu erklären. Platon hat sie in seinem „Gastmahl“ aufgeschrieben: „Ganz am Anfang gab es Menschen, die waren rund. Jeder dieser Menschen hatte vier Füße und vier Hände, zwei Gesichter und zwei verschiedene Geschlechtsteile. Diese Kugelmenschen waren mächtig und bedrohten die Götter in ihrer heiligen Wohnung. Die Götter wollten die Menschen zurückschlagen, wollten sie aber nicht ausrotten, sondern nur schwächen.
Sie beschlossen, die Kugelmenschen auseinanderzuschneiden. Die eine Hälfte wurde zu einer Frau, die andere Hälfte zu einem Mann. Die getrennten Hälften hatten Sehnsucht nacheinander. Sie wollten wieder so eng miteinander verbunden sein wie vorher: als Kugelmenschen. Das aber war nie mehr möglich.“
Diese Erzählung geht in ihrer Tragik zu Herzen. In ihr erkennen wir unsere Sehnsucht wieder, Gemeinschaft zwischen Mädchen und Jungen, zwischen Frau und Mann zu suchen und zu leben. Bei näherem Betrachten bleibt eine traurige Grundstimmung übrig: Die Götter haben aus Angst vor dem Menschen ihm seine kraftvolle Einheit genommen. Frau und Mann bleiben trotz ihrer Sehnsucht ein für allemal getrennt. Jeder ist gleichsam nur noch eine halbe Portion „Mensch“. Die frühere Einheit von Frau und Mann gibt es nie wieder.
Ganz anders berichtet uns die Bibel (Gen 2,18-24) von dem, was es mit Frau und Mann auf sich hat, was sie füreinander bedeuten. Der kleine Satz „Gott, der Herr, ließ einen tiefen Schlaf über Adam kommen“ will uns vorweg deutlich machen, dass alles, was wir über Frau und Mann aussagen können, ein Geheimnis bleibt.
Nur als Geschenk aus Gottes Hand kann der Mann die Frau und die Frau den Mann richtig wahrnehmen und ganz annehmen. Weder Mann noch Frau haben ein Recht, über den anderen zu verfügen. Sie haben die gleiche Würde. Einer steht vor dem anderen: staunend und fragend, bittend und dankend.
Eine neue Einheit
Die Verschiedenheit von Frau und Mann bis hinein in ihre Geschlechtlichkeit hat ihren Grund in Gott, der sie in seiner Güte füreinander erschaffen hat. Gott wollte nicht, dass der Mensch allein sei. Darum schuf er dem Mann eine Gehilfin, eine Partnerin, die zu ihm passt. Ohne die Frau würde der Welt ein letzter Glanz und eine letzte, wahrhaft menschliche Beglückung fehlen.
Unsere Welt ist von Gott her keine Männerwelt, aber auch keine Frauenwelt. Erst im Miteinander und im Füreinander wird sie menschlich, findet sie zu ihrem Sinn. Frau und Mann sind aufeinander angewiesen, um sich aus der Einsamkeit, Ichverfangenheit und Glücklosigkeit zu befreien. Dies geschieht im Auftrag und unter dem Segen Gottes. Sie werden eine neue Einheit, ein Fleisch, ein Herz und eine Seele.
Mit einer Stelle aus dem jüdischen Talmud können wir auch das Bildwort „Rippe“ tiefer verstehen. Da heißt es: „Gott hat die Frau nicht aus dem Kopf des Mannes geschaffen, dass sie ihm befehle, noch aus seinen Füßen, dass sie seine Sklavin sei. Vielmehr aus seiner Seite, dass sie seinem Herzen nahe sei.“
Wird hier nicht Tieferes über Geheimnis und Würde der Frau, über das Grund-Verhältnis von Mann und Frau ausgesagt, als es die Paragrafen der Gesetze tun, die allzu häufig nur den äußeren Menschen im Blick haben? Zu verstehen ist der Mensch, sind Frau und Mann, nur vom Geheimnis der Liebe Gottes her. Das hat für jeden, der sich von Gott ansprechen lässt, Konsequenzen. Ja sagen zu sich selbst und zum Partner, zur Partnerin in der Ehe heißt immer auch Ja sagen zu Gott, unserem Schöpfer. Ihm verdanken wir unser Leben.
Mann und Frau, die sich in Liebe einander vertraut machen, sind lebenslang füreinander verantwortlich (Mk 10,2-12). Das kommt im Sakrament der Ehe zum Ausdruck. Die gegenseitige liebende Annahme vor Gott bedarf immer wieder der Ermutigung, der Fantasie und auch der Vergebung. Das alles können wir allein nicht schaffen. In der Verbundenheit mit Jesus Christus und in der Kraft des Heiligen Geistes, der das Band der Liebe ist, werden uns die Einsicht, der Weg und die Hingabe zu einem Leben bedingungsloser Liebe geschenkt. Das Leben in der Ehe und Familie kann dort nur gelingen, wo Frau und Mann sich Tag für Tag neu einander zuwenden und im Partner das Antlitz Gottes suchen.
Eine helfende Hand
Zugleich ist christliche Ehe immer auch ein soziales Sakrament. Miteinander sind Frau und Mann aufgerufen, sich in Kirche und Welt zu engagieren. „Wenn zwei Menschen sich lieben, geht es um das Schicksal der Erde“ (Urs von Balthasar). Gott selbst lädt zum Abenteuer dieser Liebe ein, die unverbrüchlich das ganze Leben fordert.
Was aber haben wir denen zu sagen, die Liebe suchten, aber nie den liebenden Partner gefunden haben, oder denen, deren Ehe gescheitert ist, und denen, die als Geschiedene erneut geheiratet haben? Sie gehören zu uns – auch im Scheitern und bei der Suche nach einem neuen Leben. Wer von Gottes Liebe erzählt, muss auch von Gottes Güte und Barmherzigkeit erzählen. Wer Gottes Liebe zu leben sucht, muss auch Gottes Güte und Barmherzigkeit zu leben suchen. Mögen wir allen Gescheiterten und Geschiedenen wie allen Wiederverheirateten unsere helfende Hand ausstrecken, damit sie durch die Brüche ihres Lebens hindurch mit Gott ihren Weg finden.
Die Liebe geht zu Fuß durch den Staub unserer Erde, sie sitzt nicht hoch zu Ross. Sie weiß sich an der Seite Gottes, wo immer Frau und Mann sich selbstlos bei der Hand nehmen…
Gedruckt erschienen in: Neues Ruhr-Wort Nr. 40 vom 3. Oktober 2015. Ihnen hat unser Impuls gefallen? Sie können unsere Wochenzeitung hier ganz bequem abonnieren.