Jerusalem. Gegenseitiges Kennenlernen und Verstehen sind nach Ansicht des Mainzer Weihbischofs Udo Bentz Grundvoraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben in Israel. Bentz nahm als Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Naher und Mittlerer Osten“ für die Deutsche Bischofskonferenz an einem internationalen Bischofstreffen in Israel teil.
Weihbischof Bentz, welchen Eindruck nehmen Sie von Ihrem Besuch mit?
Bentz: Die sehr unterschiedlichen und teils gegensätzlichen Eindrücke zeigen, wie komplex die Situation ist. Für Außenstehende ist es sehr schwer, diese Komplexität zu erfassen, Dinge einzuordnen und Zusammenhänge zu erkennen. Durch die verschiedenen Gespräche sind viele Mosaiksteine zusammengekommen, die mir eine Vertiefung ermöglichen. Das Anliegen muss sein, sich nicht in zu einfachen Denkmustern ein Urteil zu bilden.
Im Fokus standen Jugend und Bildung. Wie haben Sie die junge Generation erlebt?
Bentz: Treffen mit Jugendlichen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft, muslimischen und christlichen Palästinensern, aber auch jüdischen Israelis, ergaben ein breites Bild. Bei allen war zu spüren, dass sie die Zukunft gestalten wollen, und zwar anders, als sie jetzt ist. Sie wollen das Land und die Gesellschaft verändern. Gleichzeitig waren eine gewisse Hilflosigkeit und Angst zu spüren: Kann ich verwirklichen, was in mir steckt und was ich durch Schule und Bildung erreicht habe? Diese Frage zog sich als roter Faden durch die Gespräche, insbesondere bei den palästinensischen Jugendlichen.
Überwiegt der Optimismus?
Bentz: Sowohl bei den israelischen wie bei den palästinensischen Jugendlichen gibt es die Hoffnung, dass man in Frieden leben, einander kennenlernen und seine Talente einsetzen kann. Die Vorstellungen für das eigene Leben sind auf beiden Seiten dieselben. Was mich aber sehr nachdenklich macht, sind die unterschiedlichen Rahmenbedingungen dafür, was israelische und palästinensische Jugendliche aus ihrem Leben machen können. Auf palästinensischer Seite kommt zusätzlich der Unterschied zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen zum Tragen.
Kann die Kirche hier Hilfestellung leisten?
Bentz: Was hier in den Schulen und Bildungseinrichtungen geschieht, sehe ich tatsächlich als sehr wertvollen Baustein, an der Zukunft mitzubauen. Diese Angebote sind wichtig, weil Christen und Muslime sich in ihrem Kontext begegnen und kennenlernen. Gleichzeitig werden durch Bildung gemeinsame Werte geteilt. Es ist eine langfristige Perspektive, keine tagespolitische Aktion. Aber es ist ein sehr nachhaltiger Weg, im Heiligen Land etwas zu verändern.
In vielen Gesprächen wurde deutlich, dass es kaum Möglichkeiten für Jugendliche beider Seiten gibt, sich zu treffen…
Bentz: Deshalb müssen die bestehenden Dialogprogramme noch stärker unterstützt werden. Wo man nichts voneinander weiß und es keinen Dialog gibt, kann man den anderen nicht verstehen. Das Verstehen ist aber die Grundvoraussetzung für ein friedvolles Miteinander.
Gleichzeitig ist vor allem für palästinensische Jugendliche die hohe Arbeitslosigkeit ein Hauptgrund für den Wunsch, das Land zu verlassen. Kann und muss die Kirche auf diesem Gebiet aktiver werden?
Bentz: Es gibt etliche Initiativen zur Schaffung von Arbeitsplätzen, aber mit unseren Projekten können wir nicht alles ersetzen. Wir können Initialzündungen versuchen. Die Erfahrung zeigt, dass die realpolitischen Umstände es diesen Initiativen schwer machen, sich selbstständig zu entwickeln. Das darf uns nicht entmutigen. Wir müssen weiter alles dafür tun, dass junge Menschen Arbeitsplätze bekommen.
Vor Israel haben Sie den Libanon besucht, wo die Abwanderung von Christen ebenfalls anhält. Wie beurteilen Sie die Lage dort?
Bentz: Im Libanon herrscht eine grundsätzlich andere Situation mit vergleichbaren Problemen. Die libanesische Gesellschaft hat im Unterschied zu anderen arabischen Staaten einen vergleichsweise hohen Anteil von Christen. Man spricht von 40 Prozent. Das Land hat ein politisches System, in dem auf sehr ausbalancierte Weise versucht wird, Minderheiten eine politische Stimme zu geben. Aber das Land verändert sich. Zu vier Millionen Einwohnern kommen eine Million Flüchtlinge. 99 Prozent der syrischen Flüchtlinge sind Sunniten, das fordert das Land und auch die Christen heraus. Die Christen sind Christen des Nahen Ostens, nicht im Nahen Osten. Auch im Libanon gilt: Sie gehören wesentlich zur Geschichte und Kultur des Landes. Aber die Bedingungen werden zunehmend schwieriger. Wir müssen unterstützen, dass Christen weiterhin in diesem Land in Sicherheit und Freiheit ihren Glauben leben können.
Eine Hauptaufgabe des Treffens liegt in der Lobbyarbeit. Was nehmen Sie mit nach Deutschland?
Bentz: Die DBK-Arbeitsgruppe „Naher und Mittlerer Osten“ sucht zusammen mit kirchlichen Hilfswerken nach Wegen nicht nur für konkrete Hilfe für Christen, sondern um auf politischer Ebene mittel- und langfristig für eine Verbesserung der Lage zu sorgen. Meine Erfahrungen werde ich mit den Länderexperten der Hilfswerke diskutieren. Besonders wichtig scheint mir, die Frage nach Dialogprojekten und der grundsätzlichen Ausrichtung unserer Arbeit zu stellen. Dann müssen wir uns fragen, wie die verschiedenen Kirchen des Nahen Ostens stärker mit einer Stimme wahrgenommen werden können. Und schließlich müssen wir in der deutschen Öffentlichkeit das Bewusstsein für unsere Schwestern und Brüder in Nahost schaffen. Christen hier leben von dem Wissen um die Solidarität über Kulturräume hinweg. Diese Solidarität zeigt sich konkret durch materielle Hilfe, aber auch durch Interesse, Präsenz vor Ort und Begegnung. Und sie geschieht im Gebet.