
Pater Michael Heinz informierte sich vor dem Papstbesuch in Kolumbien direkt bei den Menschen, die in den Armenvierteln der Hafenstadt Cartagena leben. (Foto: Juanita Escobar/Adveniat)
Essen. Pater Michael Josef Heinz ist seit einem Jahr Hauptgeschäftsführer von Adveniat. Im Interview mit Neues Ruhr-Wort schildert er Einsichten, die er seither gewonnen hat, und blickt auf Aufgaben und Herausforderungen für das katholische Lateinamerika-Hilfswerk.
Pater Heinz, Sie sind seit einem Jahr im Amt. Was war die größte Veränderung für Sie?
Pater Heinz: Das ist ganz klar der Perspektivwechsel. Ich habe als Steyler Missionar ja lange Zeit in Lateinamerika aus einem Land heraus gearbeitet. Jetzt aber blicke ich auf ganz Lateinamerika.
Was haben Sie, vielleicht auch administrativ, am meisten gelernt?
Pater Heinz: Ich habe gelernt, dass Adveniat gut aufgestellt ist, Menschen hat, die schon jahre- und jahrzehntelang in Eigenverantwortung viele Bereiche übernehmen. Ich bin sehr froh, dass es hier eine gute Leitungsgruppe gibt. Mir ist wichtig, dass die Leute wissen, was zu tun ist, und Verantwortung übernehmen.
Was haben Sie unternommen, um ihren Blick zu weiten und bei Adveniat anzukommen?
Pater Heinz: Ich bin jeweils zweimal nach Haiti und nach Kolumbien gereist. Als Adveniat haben wir im Vorfeld des Papstbesuches in Kolumbien eine Pressereise mitorganisiert. Das war eine sehr positive Erfahrung – auch zu sehen, wie es konkret funktioniert: Wie kann man mithilfe der Medien über die Arbeit von Adveniat und über die Situation des Landes und der Menschen berichten? Das war sehr gut. Und zwei Monate später war ich beim Papstbesuch dabei. Kolumbien ist durch die lange Kriegssituation und jetzt den Friedens- und Versöhnungsprozess geprägt, den wir durch Mitwirkung in der „Nationalen Versöhnungskommission“ unterstützen. Haiti wiederum kämpft immer noch mit den verheerenden Folgen des Erdbebens von 2010. Was ich dort gesehen habe, war sehr erschütternd.
Schon Anfang dieses Jahres bereisten Sie erneut Lateinamerika.
Pater Heinz: Ja, im Januar war ich in Kuba und Mexiko unterwegs und habe mich über die Situation dort informiert. In Mexiko gab es zwei Erdbeben im September, in Kuba waren verschiedene Bistümer von zwei Hurrikans betroffen, von Irma und Maria, im letzten Jahr. In Mexiko ist die Lage ganz schlimm. Nur um eine Zahl zu nennen: Allein 1800 kirchliche Gebäude sind beschädigt oder zerstört. Hinzu kommen kirchliche und staatliche Schulen. Und nicht zuletzt natürlich die Wohnhäuser: Die Menschen leben teilweise, nach zehn Monaten, noch immer in Zelten. Und sie werden auch noch in ein paar Monaten in Zelten leben. Die Menschen und die Regierung setzen großes Vertrauen in die Unterstützung der Kirche bei der Verteilung von Hilfsgütern. Auf der anderen Seite sind uns die Hände gebunden: Da ist so viel kaputtgegangen – wir können nicht überall helfen, sondern müssen mit unseren Projektpartnern Prioritäten setzen. Das müssen die Leute vor Ort machen, die die Situation kennen.
Generell ist es ja nicht so, dass wir selbst Projekte durchführen. Vielmehr kommen die Menschen, die Projektpartner mit ihren Ideen auf uns zu. Und wir können dann, je nach Situation, auch sofort auf Neues reagieren. Um aber nicht nur über Katastrophenhilfe zu reden: Wir sind Teil des kirchlichen panamazonischen Netzwerks Repam (Red Eclesial PanAmazónica, Anm. der Redaktion), nicht nur als Geldgeber, sondern auch als Partner. Und da kommen jetzt Anregungen von den Partnern zu den Themen Klima oder Umweltschutz und auch zur Situation der Indigenen, auf die Papst Franziskus auf seiner jüngsten Reise hingewiesen hat. Das sind sehr konkrete Reaktionen auf die Sozial- und Umwelt-Enzyclika „Laudato si“. Die Amazonas-Synode im Vatikan ist ebenfalls in diesem Kontext zu sehen. Darüber hinaus wird das Thema Frieden und Versöhnung uns weiter begleiten, nicht nur in Kolumbien.
Fast parallel zu ihrem Aufenthalt war auch der Papst in Südamerika, allerdings in Peru und Chile. Wieso waren Sie nicht wieder dabei?
Pater Heinz: Es ist ja nicht meine Aufgabe – und wird es nicht werden –, bei allen Papstbesuchen in Südamerika mitzureisen. Wir haben diese Reise von Adveniat aus mit begleitet. Es ist unsere Stärke, Länderreferenten zu haben, die sich sehr gut auskennen und eine wirklich große Expertise haben. Und da sage ich als Hauptgeschäftsführer: Sie sollen dann auch zu Wort kommen.
Wie geht es für Sie in diesem Jahr weiter?
Pater Heinz: Ich plane noch zwei Reisen in diesem Jahr. Ende März, Anfang April fliege ich nach Ecuador und Kolumbien. In Ecuador gab es vor zwei Jahren ein Erdbeben, wovon die Küste sehr stark betroffen war. Wir haben dort schon einiges investiert, und ich möchte sehen, was geschehen ist. Außerdem ist in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito der Sitz des Repam-Netzwerks. Nach Kolumbien reise ich auch deswegen, weil ich Sprecher für die Fidei-Donum-Priester bin, die in Lateinamerika arbeiten. Dass ich als Ordensmann für die deutschen Diözesanpriester, die in Lateinamerika arbeiten, verantwortlich bin, erfahre ich als eine sehr positive, sehr angenehme Arbeit. Es gibt ein Treffen in Medellin, wo auch thematisch zum 50. Jahrestag der Zweiten Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischofskonferenz gearbeitet wird, die sich ja mit dem Namen der Stadt verbindet.
Außerdem führt mich die Delegationsreise mit der bischöflichen Kommission, die für Adveniat zuständig ist, im Juli nach Bolivien, weil dort der amerikanische Missionskongress stattfindet. Der Congreso Americano Misionero (CAM) ist nur alle fünf Jahre. Ich glaube, das wird auch für unsere Bischöfe interessant sein, so etwas mitzubekommen. Und dann machen wir noch Projektbesuche in Bolivien.
Wie haben Sie Franziskus als Papst erlebt, als Sie noch in Bolivien waren? Und wie hat sich ihre Wahrnehmung geändert?
Pater Heinz: Sie hat sich sehr geändert, weil ich ihn bislang nur „von weitem“ kannte. Als er 2015 Bolivien besucht hatte, bestand keine Gelegenheit, mal näher auf ihn zuzugehen oder mit ihm zu sprechen. Ich war wohl bei einem Gottesdienst in Santa Cruz dabei. Nachher hatte er ein Treffen mit Ordensleuten, Seminaristen und Priestern. In vorigen Jahr hatte ich die Gelegenheit, ihn persönlich kennenzulernen: einmal auf seiner Kolumbienreise, aber dann vor allem bei einer Privataudienz – zusammen mit meinem Vorgänger Prälat Bernd Klaschka sowie mit Adveniat-Geschäftsführer Stephan Jentgens. Da baut man natürlich eine andere Beziehung auf. Wenn ich so das erste Jahr auswerte, würde ich sagen, waren diese Begegnungen zwei Höhepunkte. Franziskus ist auf uns als Adveniat zugekommen und hat uns um Unterstützung gebeten für die Amazonas-Synode im Oktober 2019, um eine weitere Stimme für die Erfahrungen von Lateinamerika, von den Menschen am Amazonas, von den Indigenen, von den Armen bei der Synode zu haben.
Was gehen Sie anders an als Ihr Vorgänger, Prälat Klaschka?
Pater Heinz: Im Grunde verfolgen wir dieselbe Linie, auch wenn neue Aspekte mit reinkommen, die vielleicht ich als Person einbringe. Wir möchten die Partner in Lateinamerika künftig inhaltlich noch mehr mit einbeziehen, auch in unsere Überlegungen, was die Zukunft angeht, zum Beispiel beim Jahresthema. Und da ist mein Wunsch – ich weiß nicht, ob wir das erreichen in den kommenden Jahren –, dass wir eventuell auch ein Thema gemeinsam entwickeln, vielleicht mit einem Land oder mit einer Region, verbunden auch mit einem partnerschaftlichen Austausch. Das ergibt noch einmal eine neue Dynamik.
Welches Jahresthema hat Adveniat 2018?
Pater Heinz: In diesem Jahr lautet unser Jahresthema: „Jugend und Verantwortung“. Das stellen wir in den Kontext des Weltjugendtages, der im Januar nächsten Jahres in Panama stattfindet. Denn die Kirche hat in Lateinamerika nicht nur eine Option für die Armen getroffen, sondern auch für die Jugend. Der Weltjugendtag 2019 ist sicherlich ein gutes Event, zu dem man die Menschen zusammenbringen kann. Das ist auch unser Auftrag als Christen: die Erfahrung, die wir machen, mit einzubringen, damit man sie auch positiv nutzen kann. Da können wir unsere Brückenfunktion wahrnehmen.
Sie sprachen vorhin über die Fidei-Donum-Priester. Um die Perspektive einmal zu drehen: Der zunehmende Priestermangel ist in Deutschland ein großes Thema. Wie ist Ihr Blick darauf, als jemand, der jahrelang in Lateinamerika gelebt hat?
Pater Heinz: Lateinamerika hat ja, wenn man so will, einen Priestermangel seit Beginn an. Es gibt dort diese Riesenpfarreien, die sich jetzt auch bei uns in Deutschland bilden. Eine unserer Aufgaben als Adveniat ist es, die pastoralen Prozesse in Lateinamerika in unsere deutschen Ortskirchen mit einzubringen. Darin sehe ich eine große Chance. Die Bistümer sind ganz verschieden unterwegs. Das ist für mich neu, weil ich ich in den letzten 24 Jahren nicht alles mitbekommen habe, was in Deutschland läuft. Alle durchlaufen einen sehr ernsthaften Prozess, in den die Weltkirche mit eingeschlossen wird. Und ich glaube, als Adveniat können wir etwas dazugeben, weil wir eine gute und positive Erfahrung aus der Kirche von Lateinamerika haben.
Mit Blick auch auf die bevorstehende Amazonas-Synode: Haben Sie eine Erwartungshaltung, angesichts der Diskussion über die „viri probati“, die Zulassung verheirateter Männer zur Priesterweihe?
Pater Heinz: Also ich denke, das wird sicherlich eine Sache sein, die kommen wird. Eine Prognose, wann – das ist eine andere Frage.
Kann die deutsche Kirche etwas von der Südamerikas lernen?
Pater Heinz: Ja, ich glaube schon. Da ist vor allem der Ansatz der integralen Pastoral. Nennen Sie es Basisgemeinden oder kleine christliche Gemeinschaften – in den Ortsgemeinden Lateinamerikas finden wir eine sehr lebensnahe Sozialform der Kirche, die versucht, den Menschen als Ganzen zu sehen. Da geht es nicht nur um Sakramente und Gottesdienst, sondern darum, wirklich zu sehen: Hier steht oder sitzt jemand vor mir, und der hat dieses oder jenes Bedürfnis. Und das ist ihm eben jetzt ebenso wichtig oder sogar wichtiger als andere Dinge. Dann schicke ich ihn eben nicht in irgendein Büro oder da- oder dorthin. Sondern es ist die Pfarrei und die Gemeinschaft, die auch auf solche Sachen und Bedürfnisse antworten kann. In dem Bereich könnte die deutsche Ortskirche einiges von Lateinamerika lernen, weil hierzulande – nach meiner Wahrnehmung – oft zu stark getrennt wird: also einerseits Caritas oder das Soziale und andererseits Sakramente und Gottesdienst. Dass man das nicht überall als Ganzes zusammensieht – ich denke, das ist das Problem.