Bischof Kräutler für verheiratete Priester und „wenigstens“ Diakoninnen

Der brasilianisch-österreichische Bischof Erwin Kräutler hat große Erwartungen in die im Oktober bevorstehende Amazonas-Synode bekundet. Er halte es für realistisch, dass in Folge der Bischofsversammlung künftig in Amazoniens Kirche bewährte verheiratete Männer als Priester sowie Frauen „wenigstens“ als Diakoninnen wirken können, sagte der langjährige Bischof der brasilianischen Diözese Xingu-Altamira am Sonntag in einem ORF-Interview. Anlass für das TV-Gespräch war auch Kräutlers 80. Geburtstag am vergangenen Freitag.

(Foto: © Adveniat/Bastian Bernhardt )

„Tatsache ist, dass die rund 800 kleinen Gemeinden in unserer Prälatur von Laien geleitet werden und zwei Drittel sogar von Frauen“, schilderte der emeritierte Bischof. Einer der rund 30 Priester der Diözese komme zwei- bis dreimal im Jahr in abgelegenen Gemeinden vorbei. Dass die Gläubigen dort deshalb zwar jeden Sonntag gemeinsame Wortgottesdienste haben, aber kaum Eucharistie feiern könnten, sei „beinahe ein Skandal“, so Kräutler. Das Gemeindeleben funktioniere gut, „aber es fehlt am Zentrum“.

Der Papst könne es Bischöfen oder regionalen Bischofskonferenzen in Amazonien nach der Synode freistellen, verheiratete Männer zu Priestern zu weihen. Frauen wiederum sollten „wenigstens“ Diakoninnen werden können. „Und dann sehen wir weiter“, so der Bischof. „Wenn zwei Drittel dieser Gemeinden kompetent und mit viel Einfühlungsvermögen von Frauen geleitet werden, wieso kann die Frau dann nicht auch die Weihe bekommen und am Sonntag der Eucharistie vorstehen?“

Auch in Europa seien viele Priester überfordert: „Zum Teil sind sie Blaulicht-Priester, also sie fahren von einer Gemeinde zur anderen und haben kaum eine persönliche Beziehung zum Volk Gottes. Da müssen wir uns etwas einfallen lassen.“ Der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen (Sonntag) sagte Kräutler: „Wir wollen, dass in jeder Gemeinde ein Priester ist, der mit den Leuten lebt, den Geruch der Schafe annimmt, für sie da ist und sie nicht nur ein-, zwei Mal im Jahr besucht“, so der 80-Jährige.

Auch gehe es um Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche. „Frauen sind doch keine Notnägel, wenn es an Männern fehlt! Das Argument, dass beim letzten Abendmahl keine Frauen dabei gewesen seien, überzeugt nicht. Wenn das so ausschlaggebend gewesen wäre, dürften Frauen im Grunde nicht einmal die Kommunion empfangen“, so Kräutler, der dem Rat zur Vorbereitung der Synode „Amazonien – neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie“ angehört, die vom 6. bis 27. Oktober im Vatikan tagt.

kna

Kämpfer für die Unterdrückten

Amazonas-Bischof Erwin Kräutler wird 80

Hätte es einer Bestätigung für das Lebenswerk von „Dom Erwin“ bedurft, dann wäre es die Papstwahl von Jorge Mario Bergoglio 2013 gewesen. An die Ränder gehen, sich auf die Seite der Entrechteten stellen – was Franziskus fordert, tut der gebürtige Österreicher bereits seit vielen Jahrzehnten. Als „Amazonas-Bischof“ wird Erwin Kräutler oft bezeichnet; sein langjähriges Bistum Xingu (1981-2015) ist das flächenmäßig größte Brasiliens. Zuletzt wurde „Dom Erwin“ sogar ein Berater von Papst Franziskus und einer der „Ghostwriter“ der Umweltenzyklika „Laudato si“ (2015). Am 12. Juli wurde Kräutler 80 Jahre alt. Und schon bald nach seinem Geburtstag rückt im Oktober die Amazonas-Synode im Vatikan sein Lebensthema in den Fokus.

„Dom Erwin“ hat stets gern Turnschuhe und einen schlichten Priesterornat getragen. Sein Platz ist, auch nach seiner Emeritierung 2015, weniger am Schreibtisch als in den Gemeinden im Regenwald, die sonst nur selten einen Priester zur Messfeier haben; an der Seite der entrechteten Indios, deren Lebensraum von Großunternehmen zerstört wird. Kräutler ist ein Mann des geraden Wortes, auch wenn es bedrohlich wird. Wirtschaftsbossen und Landräubern, Holzhändlern und Großgrundbesitzern stellt er sich in den Weg.

Wenige Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im österreichischen Vorarlberg geboren, personifiziert „Dom Erwin“ die Entwicklung der Kirche Lateinamerikas seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). Den jungen Ordenspriester rief 1965 sein Onkel, Bischof Erich Kräutler, nach Brasilien. Dort lernte er zunächst eine klassische Seelsorge kennen, die den Priester vor allem als Massenspender von Sakramenten sah, der aber ohne jede Anbindung an eine Gemeinde blieb.

Bei ihrer Generalversammlung in Medellin 1968 beschlossen die Bischöfe Lateinamerikas dann eine grundlegende Neuordnung der Seelsorge: eine Kirche, gemeinsam auf dem Weg. Kleine Gemeinden mit viel Laienverantwortung, schon bald „kirchliche Basisgemeinden“ genannt, sollten zur Keimzelle der Kirche werden. Die wenigen Priester sollten möglichst viel bei den Menschen sein.

Als Bischof von Xingu und als Präsident des CIMI, des Indianermissionsrates der Brasilianischen Bischofskonferenz, kämpfte und kämpft Kräutler für die Rechte der Ureinwohner und der Landlosen im Amazonas, für den Schutz des Regenwaldes. 2010 wurde er dafür mit dem sogenannten Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Mehrere Mitarbeiter Kräutlers wurden ermordet; auch er selbst erhielt wiederholt Morddrohungen und steht unter dauerndem Polizeischutz.

1983 machte Kräutler international Schlagzeilen, als er während der Militärdiktatur in Brasilien von der Polizei verprügelt wurde. Er hatte sich mit Zuckerrohrschnittern solidarisiert, die fast ein Jahr auf ihren Lohn gewartet hatten. In ihrer Verzweiflung besetzten sie die zentrale Straße „Transamazonica“.

Kräutler, zur Verhinderung einer Eskalation herbeigeeilt, wurde von Sicherheitskräften zu Boden geworfen und abtransportiert. Die Menschen scharten sich um ihn und schrien: „Lasst ihn los – er ist unser Bischof!“ Das war, sagt er selbst rückblickend, „für mich wie eine zweite Bischofsweihe“. 1987 wurde Kräutler bei einem mysteriösen Autounfall schwer verletzt – als er sich dafür einsetzte, die Rechte der Indigenen in der neuen Verfassung zu verankern.

Dieser Kampfeswille ist weiter da, die Empörung über Menschenrechtsverletzungen und das Riesenstaudammprojekt am Xingu-Fluss, durch das Zehntausende Menschen ihnen Lebensraum verlieren. Scharfe Kritik äußerte Kräutler zuletzt im Interview der „Tiroler Tageszeitung“ am neuen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro. Dessen Ankündigung, Amazonien für multinationale Bergbau- und Holzkonzerne zu öffnen, sei für ihn „wie ein Stich ins Herz“ gewesen. „Sie lassen uns in Brasilien eine vergiftete Umwelt zurück. Die interessieren sich keinen Deut dafür, was das für Folgen hat.“

Auch das Thema Seelsorge und die Rolle der Frau in der Kirche liegen Bischof Kräutler direkt am Herzen. Schon 1985 seufzte Papst Johannes Paul II. über der Landkarte mit Kräutlers Diözese: „zu groß!“. Damals gab es dort 16 Priester; heute sind es 33 – für eine inzwischen 15 mal größere Zahl von Katholiken.

Adveniat-Geschäftsführer Stefan Jentgens würdigte Kräutler in einem Interview mit domradio.de als sehr beeindruckende Persönlichkeit. „Er ist jemand, der mit einer großen Eindeutigkeit, aber auch einer bewundernswerten Ausdauer, sehr vernetzt katholisch, politisch aktiv ist.“ Kräutler sei „ein sehr geerdeter und auf die Leute zugehender Mensch ist, der in vielen Dingen total präsent ist. Das ist wirklich bewundernswert.“

Adveniat hat ihn an verschiedenen Stellen unterstützt, beispielsweise mit Bildungsprojekten für die Bevölkerung auf dem Land vor Ort. „Junge Menschen sind ihm und Adveniat ein großes Anliegen. Und so waren wir da auch zusammen unterwegs“, so Jentgens. „Ganz besonders haben wir ihn in seinen Aktivitäten als Präsident des Indianer-Missionsrates der brasilianischen Bischofskonferenz, der CIMI, unterstützt.“ Seit vielen Jahren arbeitet diese für die Rechte der Indigenen im Hinblick auf Land, Wasser und die Möglichkeiten, in ihren Territorien zu leben. „Erwin Kräutler war da der Vormann, den wir gerne mit unterstützt haben, weil er die Sache eben nicht nur in Brasilien, sondern auch weltweit bekannt gemacht hat. Und das ist auch dringend notwendig gewesen.“

kna/rwm