Kirchenhistoriker: Der asketische Priester entspricht nicht dem Vorbild Jesu

Der renommierte Kirchenhistoriker und Theologe Hubert Wolf hat ein Buch mit 16 Thesen geschrieben, die den Zölibat deutlich in Frage stellen. Er sieht keinen theologisch haltbaren Grund, warum die Kirche daran festhalten soll. So hinterfragt Wolf die wechselnden und unterschiedlichen Begründungen für die Ehelosigkeit in historischer Perspektive.

(Foto: Spernol)

Aus Wolfs Sicht ist das Tabu längst gefallen: Priestermangel und Missbrauchsvorwürfe zwängen den Vatikan, über den Zölibat zu reden, der sich biblisch nicht begründen lasse, denn im Neuen Testament gibt es selbstverständlich verheiratete Bischöfe, Priester und Diakone. Wolf verweist darauf, dass unter dem Zölibat zu verschiedenen Zeiten nicht nur ganz Unterschiedliches darunter verstanden wurde. Die Vorschriften seien immer wieder erneuert, modifiziert und gegen große Widerstände durchgesetzt worden. Zugleich betont, er dass die Vorstellung von der kultischen Reinheit des Priesters aus der jüdischen und heidnischen Antike stamme und nicht mehr zeitgemäß sei. Das Ideal des asketischen Priesters gehe auf antike Vorstellungen von einem philosophischen Leben zurück, dass auch nicht dem Vorbild Jesu entspreche.

Ökonomische Wurzeln

Demgegenüber arbeitet der Kirchenhistoriker die ökonomischen Wurzeln des Zölibats heraus. So stellte die Ehelosigkeit im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit sicher, dass Geistliche die ihnen unterstellten Kirchengüter nicht an ihre Kinder vererben konnten. Im konfessionellen Zeitalter habe der Zölibat zur Abgrenzung von den Protestanten gedient. Papst Pius X. formulierte, Priester sollten durch den Glanz ihrer heiligen Keuschheit „den Engeln ähnlich“ werden sollen. Dies beschere ihnen die Hochachtung der Gläubigen und verleihe ihnen „übernatürliche Segenskraft“. Weil schließlich andere Begründungen nicht mehr zogen, habe Papst Paul VI. den Zölibat in seiner Enzyklika Sacerdotalis coelibatus spirituell überhöht, so Wolf.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gilt die Ehe als Abbild des Bundes zwischen Christus und seiner Kirche und kann jedoch kein Hindernisgrund für den priesterlichen Dienst sein. So verweist Wolf darauf, dass zum Katholizismus konvertierte verheiratete evangelische und anglikanische Pfarrer mit päpstlicher Dispens die Priesterweihe empfangen. Auch in den katholischen Ostkirchen gibt es verheiratete katholische Priester. Letztlich erblickt der Theologe in der verpflichtenden Ehelosigkeit einen Risikofaktor im Hinblick auf den sexuellen Missbrauch durch Priester.

Vor allem aber ist für Wolf die Aufhebung des Pflichtzölibats auch eine Frage der Güterabwägung, wenn er feststellt: „Vor die Wahl gestellt, dem Priestermangel abzuhelfen oder den Zölibat beizubehalten, muss sich die Kirche im Interesse der heilsnotwendigen Eucharistie gegen den nichtheilsnotwendigen Zölibat entscheiden.“ Die Abschaffung des Zölibats als Instrument des Machterhalts müsse zudem Teil einer grundlegenden Reform des hierarchisch klerikalen Systems sein.

rwm

Hubert Wolf: „Zölibat. 16 Thesen“ bei C.H. Beck, 190Seiten, 14,95 Euro.