Erheblich mehr Austritte aus katholischer Kirche

„Besorgniserregende Statistik“

Kirchen verlieren 2018 rund 700.000 Mitglieder

Für die Kirchen ist es jedes Jahr eine schmerzliche Prozedur: die Zahl der Austritte bekanntzugeben. Für 2018 war wegen des Missbrauchsskandals mit einer hohen Zahl zu rechnen. Und so kam es auch.

Den Kirchen laufen weiter die Mitglieder davon. Im Schatten des Missbrauchsskandals kehrten der katholischen Kirche 2018 mehr als 216.000 Bundesbürger den Rücken – die zweithöchste Zahl seit der Wiedervereinigung und nur etwas weniger als 2014, als nach dem Skandal um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst die Rekordzahl von 217.716 Katholiken ihre Kirchenmitgliedschaft aufkündigte.

Auch evangelische Kirche betroffen

Doch auch die evangelische Kirche wird vom Trend nicht verschont: Mit 220.000 Austritten wurde sie erneut stärker gebeutelt als die Katholiken. Allerdings: Während die 27 katholischen Diözesen einen Anstieg um 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr hinnehmen mussten, belief er sich bei den 20 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf 11,6 Prozent.

Darüber hinaus haben die Kirchen aber auch ein demografisches Problem: Die Zahl der Beerdigungen liegt bei beiden weit höher als die Zahl der Taufen, Eintritte und Wiedereintritte. Insgesamt verlor die katholische Kirche 2018 rund 309.000 Mitglieder und hat noch 23,002 Millionen, die Mitgliederzahl der evangelischen Kirchen ging um 395.000 auf 21,141 Millionen zurück. Damit nähert sich der Anteil der Mitglieder beider Kirchen an der Gesamtbevölkerung immer mehr der 50-Prozent-Marke: Mit 44,14 Millionen gehören noch 53,2 Prozent der Bundesbürger einer der beiden Kirchen an. 2017 waren es 54,2 Prozent.

Von Missbrauchs- bis hin zu Finanzskandalen.

Weil die Austrittszahlen in den vergangenen drei Jahren einigermaßen konstant geblieben waren, hatte das in den Kirchen teilweise die Hoffnung geweckt, dass der unvermeidliche Rückbau abgefedert werden könnte. Doch das Krisenjahr 2018 machte einen Strich durch die Rechnung: Die Schlagzeilen reichten von Missbrauchs- bis hin zu Finanzskandalen. Das Bistum Eichstätt verlor Millionen durch fragwürdige US-Immobiliengeschäfte. Die katholischen Bischöfe stritten über die Zulassung der evangelischen Ehepartner zur Kommunion. Und dann die immer neuen Berichte über Missbrauchsskandale – zunächst aus Australien, USA und Chile. Im September schockierte dann die Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz mit hohen Missbrauchszahlen.

Was genau die Gründe für die Kirchenaustritte sind, versuchte das Bistum Essen zu ermitteln. Das Ergebnis der im Februar 2018 – also noch vor Bekanntwerden der Missbrauchszahlen für Deutschland – veröffentlichten Untersuchung: Die Kirchensteuer ist nicht der Grund für den Austritt – wohl aber ein Auslöser. Hauptursache seien ein langer Weg der Entfremdung und fehlende emotionale Bindung – gepaart mit Glaubenszweifeln. Entscheidend sei zudem das Erscheinungsbild der Kirche. Besonders die Sexualmoral werde als nicht mehr zeitgemäß empfunden, aber auch das Frauenbild der Kirche und ihre Haltung zu Homosexualität, wiederverheirateten Geschiedenen und dem Zölibat.

„Die Erschütterung hat die Menschen aus der Mitte unserer Gemeinden erreicht“

Zumindest in den letzten Monaten des Jahres 2018 dürfte aber der Missbrauchsskandal dafür gesorgt haben, dass es vielen Bürgern reichte: Medienberichte aus den Amtsgerichten einiger Großstädte zeigten, dass die Austrittszahlen noch einmal hochschnellten. Das sieht auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, so: „Das spürt doch jeder Katholik in seinem eigenen Freundeskreis“, sagte er im Februar der „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“: „Die Erschütterung hat die Menschen aus der Mitte unserer Gemeinden erreicht.“

Gibt es ein Gegenmittel? „Wir dürfen den seit Jahren anhaltenden Trend nicht als unabänderliche Tatsache hinnehmen“, forderte am Freitag ZdK-Generalsekretär Stefan Vesper. „Wir haben es in der Hand, ihm entgegenzutreten, wenn wir bereit sind, die Erwartungen und Sorgen der Menschen innerhalb und außerhalb unserer Kirche ernst zu nehmen.“

Entfremdungsprozesse und Vertrauensverlust

Und der Sekretär der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, betonte die Bereitschaft der Kirche, nach neuen Wegen zu suchen: „Wir verstehen, wenn durch Entfremdungsprozesse oder einen großen Vertrauensverlust Misstrauen entstanden ist und Glaubwürdigkeit verspielt wurde“, erklärte er mit Blick auf die „besorgniserregende“ Statistik. Initiativen wie „Maria 2.0“ zeigten, dass die Menschen Veränderungen wollten. Der jetzt eingeleitete „synodale Weg“ wolle das aufgreifen.

In den vergangenen drei Jahren hatten die Austrittszahlen zwischen 160.000 und 180.000 gelegen. 2014 erreichten sie nach dem Skandal um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst den bisherigen Höchststand von 217.716. Über die Gründe liegen keine Statistiken vor. Befragungen von Standesämtern in den vergangenen Monaten legen aber auch einen Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal nahe.

Insgesamt gehören damit knapp über 23 Millionen Bundesbürger der katholischen Kirche an, während es 2017 noch 23,31 Millionen waren. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung sank von 28,2 Prozent im Jahr 2017 auf 27,7 Prozent. Den evangelischen Kirchen gehören 21,14 Millionen Mitglieder an (25,4 Prozent).

NRW liegt im Trend

Die Zahlen für die nordrhein-westfälischen (Erz-)Bistümer liegen im Trend. So verzeichnete das Erzbistum Köln im vergangenen Jahr 18.472 Austritte (2017: 13.931). Die Gesamtzahl der Katholiken verringerte sich um etwa 30.000 auf 1.942.733. Köln bleibt jedoch die nach Mitgliedern größte deutsche Diözese. Im Bistum Münster verließen 11.442 Menschen die Kirche (2017: 8.696). Die Gesamtzahl der Mitglieder sank um etwa 20.000 auf 1.853.185, die zweithöchste Mitgliederzahl aller Diözesen.

Das Bistum Aachen verzeichnete laut Angaben 7.086 Austritte (2017: 5.580) und kommt auf eine Gesamtmitgliederzahl von 1.021.002, ein Minus von gut 16.000 Personen. Im Erzbistum Paderborn kehrten im vergangenen Jahr 9.369 Menschen der Kirche den Rücken (2017: 7.347). Im Jahr zuvor war die Austrittszahl noch leicht gesunken. Hier leben 1.491.856 Katholiken, rund 25.000 weniger als 217. Das Ruhrbistum Essen verzeichnete 5.526 austretende Katholiken (2017: 4.372). Hier gehören 755.076 Menschen der katholischen Kirche an, fast 17.000 weniger als noch 2017.

Neben den Austritten tragen auch demografische Faktoren zum Rückgang der Katholikenzahlen in Deutschland bei. Die Zahl der Taufen, Wiederaufnahmen und Neueintritte liegt deutlich unter der Zahl der Bestattungen. So gab es mit 167.787 Taufen rund 2.000 weniger als 2017, die Zahl der Eintritte sank um rund 400 auf 2.442 und die der Wiederaufnahmen verringerte sich um rund 380 auf 6.303. Dem stehen rund 243.705 Bestattungen gegenüber, 120 weniger als 2017.

Langendörfer betonte die Bereitschaft der Bistümer und Gemeinden zur Suche nach neuen Wegen und zum Gespräch: „Wir verstehen, wenn durch Entfremdungsprozesse oder einen großen Vertrauensverlust Misstrauen entstanden ist und Glaubwürdigkeit verspielt wurde.“ Initiativen wie „Maria 2.0“ zeigten, dass die Menschen Veränderungen in der Kirche wollten. Der jetzt eingeleitete „synodale Weg“ wolle das aufgreifen.

Stärkster Rückgang seit 1994

Die 42 Pfarreien im Ruhrbistum zählten Ende 2018 noch gut 750.000 Mitglieder, auch hier legte die Zahl der Austritte deutlich zu. Zugleich zählte das Bistum weniger Teilnehmer in Sonntagsgottesdiensten – aber katholische Trauungen werden immer beliebter.

Exakt 755.076 Katholiken zählten die Pfarreien zwischen Duisburg, Bochum und dem märkischen Sauerland Ende 2018 in ihren Reihen. Die Mitgliederzahl der Kirche im Bistum Essen ist damit binnen eines Jahres um 16.921 Frauen und Männer bzw. um mehr als 2 Prozent gesunken. Dieser prozentual stärkste Rückgang seit 1994 ist nicht allein durch die 5526 Kirchenaustritte (1154 mehr als im Vorjahr) zu erklären. Vielmehr führen die Bistums-Statistiker als Gründe unter anderem auch eine Korrektur der Meldebestände in der Stadt Gelsenkirchen sowie deutlich mehr Verstorbene (rund 12.700) als Getaufte (5157) an und vermuten, dass in 2018 mehr Katholiken aus dem Ruhrgebiet weg- als zugezogen sind.

Seit drei Jahren wachsende Zahlen bei Trauungen

Eine erfreuliche Entwicklung aus Sicht des Ruhrbistums markiert die Nachfrage nach kirchlichen Trauungen: Mit 1197 Hochzeiten verzeichneten die Pfarreien des Bistums im dritten Jahr in Folge ein Plus. Als einen möglichen Grund verweisen die Statistiker hier neben dem großen Engagement der Pfarrgemeinden auf das Trauteam des Bistums: Brautpaaren, die keine Anbindung an eine Gemeinde haben, vermittelt dieses über die Internetseite  erreichbare Team je nach Bedarf einen Priester oder Diakon und eine passende Kirche und hilft bei allem, was sich Hochzeitspaare sonst noch für eine katholische Trauung wünschen.

Weniger Teilnehmer zählten die Pfarreien unterdessen in ihren Sonntagsmessen: Im Schnitt besuchten demnach im vergangenen Jahr zwar immer noch jedes Wochenende knapp 60.000 Menschen im Bistumsgebiet einen katholischen Gottesdienst – gemessen an der Gesamtzahl der Katholiken waren dies aber lediglich 7,77 Prozent (Vorjahr: 8,4 Prozent). „Dieser Rückgang geht mit einer Reduzierung der Sonntagsmessen von bistumsweit 513 auf 489 einher, zugleich sank der durchschnittliche Gottesdienstbesuch von 126 Teilnehmern pro Messe auf 120“, heißt es in einer Mittelung des Bistums.

Mehr Austritte nach neuer Diskussion über Missbrauchsfälle

Ein Anstieg der Austrittszahlen im letzten Drittel des Jahres 2018 legt laut Bistumsangaben den Schluss nahe, dass die im vergangenen Herbst neu entfachte Diskussion über Missbrauchsfälle durch Priester und andere Mitarbeiter der katholischen Kirche Katholiken verstärkt zum Kirchenaustritt bewegt habe. Im Herbst hatte die von der Kirche selbst in Auftrag gegebene sogenannte MHG-Studie über Missbrauchsfälle in den vergangenen Jahrzehnten neue Details und erstmals auch statistische Dimensionen des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in Deutschland offenbart. Gleichwohl markieren die Kirchenaustritte im vergangenen Jahr (5526 oder 0,73 Prozent der Kirchenmitglieder) keinen Spitzenwert in der Bistumsgeschichte.

kna/rwm

(Foto: Cronauge |Bistum Essen)