Der Kölner Psychiater Manfred Lütz wertet die Kommunikation rund um das erste, nicht veröffentlichte Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln als „katastrophal“.
Köln – Der Kölner Psychiater Manfred Lütz wertet die Kommunikation rund um das erste, nicht veröffentlichte Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln als „katastrophal“. Dafür habe sich Kardinal Rainer Maria Woelki „auch ohne Wenn und Aber entschuldigt“, sagte Lütz dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Wochenende). Noch schlimmer habe er eine „Instrumentalisierung“ der Betroffenenvertretung empfunden, so der Psychiater. Es habe ihm Tränen in die Augen getrieben, wenn er Berichte über retraumatisierte Menschen gesehen habe, die nicht mehr hätten schlafen können. „Ich gestehe, dass ich da auch mit meinem Ortsbischof gehadert habe.“ Daher habe es ihn berührt, als Woelki auch eigene Schuld eingestanden habe, betonte Lütz. Nur so könne ein Neubeginn gelingen, „wenn alles auf den Tisch kommt“.
Mit Blick auf den verstorbenen Kardinal Joachim Meisner (1933-2017) sagte Lütz, das „System Meisner“ sei aktuell ein „angesagter Kampfbegriff“. Wenn er die Gutachten richtig lese, habe dieses System darin bestanden, kein System zu haben – „und das war ein Problem“. Meisner habe bei seinem Wechsel nach Köln die Dinge in der Bistumsverwaltung personell und strukturell „im Wesentlichen“ so belassen, wie er sie vorgefunden habe.
Meisner habe sich „nicht um die Opfer gekümmert und das ’seinen Leuten‘ überlassen“, sagte Lütz. Erst in seinen letzten Lebensjahren habe er Meisner anders erlebt. So hätten ihn die Geschichten von Opfern angerührt, mit denen er sich getroffen habe. Das und andere Schritte entschuldigten aber nicht sein früheres Verhalten beziehungsweise Nichtverhalten.
Dagegen verteidigte Lütz den Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Dieser sei seinerzeit „der beste Personalchef“ gewesen, den er im Erzbistum erlebt habe, „engagiert und sehr empathisch im Umgang mit Opfern“. Ihn auf die Zahl von elf Pflichtverletzungen zu reduzieren, halte er „nicht für gerecht“.
Das veröffentlichte Gutachten der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger weist acht hohen Amtsträgern des Erzbistums 75 Pflichtverletzungen nach – 23 davon allein Meisner. Namentlich benennt es auch den gestorbenen Erzbischof Joseph Höffner (1906-1987), die früheren Kölner Generalvikare Norbert Feldhoff, Dominikus Schwaderlapp und Stefan Heße sowie den Offizial Günter Assenmacher.
Nach der Vorlage der Untersuchung teilte zudem Weihbischof Ansgar Puff mit, einer der beiden von Gercke nicht namentlich genannten Amtsträger zu sein. Puff lässt seine Ämter ruhen, ebenso wie Heße – derzeit Erzbischof von Hamburg – und Schwaderlapp, heute Weihbischof in Köln. Heße und Schwaderlapp boten zudem Papst Franziskus ihren Rücktritt an. Der Ruheständler Feldhoff trat aus dem Kölner Priesterrat aus. Mittlerweile liegt auch das aus rechtlichen Gründen zurückgehaltene Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zur beschränkten Einsichtnahme aus.