Literaturexperten sehen Cancel Culture kritisch

Um den Umgang mit Stereotypen und Klischees in der Literatur wird heftig gestritten – sowohl mit Blick auf den Kanon als auch auf Kinder- und Jugendbücher. Literaturexperten sehen Cancel Culture kritisch.
Um den Umgang mit Stereotypen und Klischees in der Literatur wird heftig gestritten - sowohl mit Blick auf den Kanon als auch auf Kinder- und Jugendbücher. Literaturexperten sehen Cancel Culture kritisch. 

–Symbolfoto: congerdesign/Pixabay

Um den Umgang mit Stereotypen und Klischees in der Literatur wird heftig gestritten – sowohl mit Blick auf den Kanon als auch auf Kinder- und Jugendbücher. Literaturexperten sprachen sich am Mittwochabend im Rahmen einer online-Diskussion in Frankfurt überwiegend gegen Zensur oder eine nachträgliche Umschreibung von Texten aus. Anlass der Veranstaltung der Frankfurter Buchmesse und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung unter dem Titel „Cancel Culture oder Trigger Warnung?“ war die Woche der Meinungsfreiheit, die noch bis Montag andauert.

Literatur besser erklären

Der Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung, Ernst Osterkamp, sieht aus literaturwissenschaftlicher Sicht eine Fülle von Problemen, die sich nur schwer lösen ließen: Das Verhältnis zum literarischen Kanon sei grundsätzlich permanentem Wandel unterworfen. Außerdem habe er als Hochschullehrer die Erfahrung gemacht, dass Studierende die geschichtliche Dimension literarischer Werke immer weniger verständen, weil sie in einer Zeit lebten, in der alles gleichzeitig verfügbar sei. Es könne deshalb helfen, Literatur besser zu erklären.

Die Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) München, Christiane Raabe, lehnte eine Anpassung von Texten ab. Zugleich betonte sie, dass ein Umschreiben von Werken nichts Neues sei. Bei Kinder- und Jugendbüchern bewege man sich immer zwischen den Polen Pädagogik und Literatur. Angesichts von Rassismusvorwürfen gegenüber Büchern wie Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ oder Michael Endes „Jim Knopf“ forderte sie, Kinder nicht zu unterschätzen und ihnen die Möglichkeit zu geben, die Geschichtlichkeit und eigene Sprache von Werken zu verstehen. Das „N-Wort“ werde bei „Jim Knopf“ nur einmal und dann strategisch eingesetzt, sagte Raabe. Für sie sei Endes Werk eines der wichtigsten antirassistischen Kinderbücher.

Der Autor Ijoma Mangold plädierte dafür, nicht das Identische, sondern die Andersartigkeit in Literatur zu suchen. Der Kulturjournalist der „Zeit“ kritisierte, dass „alles“ in eine Täter-Opfer-Opposition aufgeteilt werde; das trage nicht zur Aufklärung von Ausgrenzung bei. Heute lebe die „Generation Snowflake“, die ohne extreme Gewalt aufgewachsen sei. Kindern fehle die Erfahrung, dass nicht alles geschützt sei.

In der Bundesrepublik erlebte die Debatte um Grenzen des Sagbaren mit der Ausladung der österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart vom Hamburger Literaturfestival Harbour Front im Vorjahr einen Höhepunkt. Kritiker werfen der Satirikerin Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Anti-Feminismus vor.

Die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels initiierte „Woche der Meinungsfreiheit“ wurde in diesem Jahr erstmals ausgerufen. Mit rund 30 Partnern, darunter die Frankfurter Buchmesse, die Bundeszentrale für politische Bildung, das Goethe-Institut, das PEN-Zentrum Deutschland, Amnesty International und Reporter ohne Grenzen will die Kampagne die freie Meinungsäußerung und eine offene Debattenkultur fördern. Hierzu finden ab dem 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, bis zum Erinnerungstag an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten 1933, dem 10. Mai, eine Vielzahl von Diskussionen und Aktionen statt.

Gebündelt sind die Anliegen der Initiative in den elf Leitsätzen der „Charta der Meinungsfreiheit“, die im Internet unterzeichnet werden kann.

kna