Angehörige der Anhänger von Verschwörungsmythen sollten aus Expertensicht nicht die Diskussion suchen.
Berlin – Angehörige der Anhänger von Verschwörungsmythen sollten aus Expertensicht nicht die Diskussion suchen. „Wenn jemand Informationen braucht, dann sollte man sie ihm natürlich geben“, sagte die Geschäftsführerin der Beratungsstelle Sekten-Info Nordrhein-Westfalen, Sabine Riede, der „Welt“ (Donnerstag). „Aber die meisten, die sich an uns wenden, sagen, sie könnten mit den Betroffenen kein Gespräch mehr führen.“ In solchen Fällen gehe es vielmehr darum, die jeweilige Beziehung zu Partnern, Eltern oder Kindern zu stärken: „zu sagen, das ist deine Meinung, ich habe meine Meinung, aber uns verbindet doch seit vielen Jahren so viel mehr“.
Menschen seien meist anfällig für Verschwörungsmythen, wenn sie ängstlich und unsicher seien und schon vorher im Leben das Gefühl gehabt hätten, nichts bewirken zu können oder einen Kontrollverlust erlitten hätten, erklärte Riede. „Da bringt es mehr, auf der emotionalen Ebene zu helfen.“ Das bedeute, das Angehörige und Freunde das Verhalten aushalten, aber keineswegs „abnicken“ müssten. Es gebe gleichwohl „Grenzen“, etwa im Fall von Antisemitismus, Rassismus und wenn zu Gewalt aufgerufen werde. Da sollte man sich klar abgrenzen und an eine Beratungsstelle wenden.
Anhänger von Verschwörungsmythen seien keine einheitliche Gruppe und keine Sekte, betonte Riede. Jedoch zeigten sich Parallelen. So sei es typisch, die Welt in Schwarz und Weiß einzuteilen. „Es gibt eine Art Immunisierung, das heißt, sie nehmen keine Kritik mehr zur Kenntnis, akzeptieren keine anderen Informationen, werden sogar aggressiv bei Diskussionen.“ Verschwörungsmythen seien bereis in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Im Zuge der Corona-Pandemie seien solche Erzählungen „in die Höhe geschossen“, sagte Riede. In ihrer Beratungsstelle habe es seit Mai 2020 keinen Tag mehr gegeben, an dem es keine Gespräche deswegen gegeben habe. Es gehe um Corona-Leugner und sogenannte Querdenker. Im vergangenen Jahr seien unter 606 Beratungsfällen 160 zu Verschwörungsmythen gewesen – die vierfache Menge im Vergleich zum Vorjahr. In diesem Jahr sei von einer weiteren Steigerung auszugehen. Ein Beratungsfall umfasse 4 bis 20 Gespräche. Mittlerweile meldeten sich auch Menschen, die sich von Verschwörungsmythen abgewandt hätten.