Rund 60 Kirchen hat er geschaffen – und viele andere Bauten. Gottfried Böhm, einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts, ist im hohen Alter von 101 Jahren gestorben.
Köln – Berühmt geworden ist er wegen vieler Architektur-Ikonen: das Potsdamer Theater, die Stadtbibliothek Ulm und nicht zuletzt die wie ein Gebirgsfels wirkende Wallfahrtskirche im rheinischen Neviges. Es ist eine von rund 60 Kirchen, die Gottfried Böhm geschaffen hat. Nun ist der für seine Beton-, Glas- und Stahlkonstruktionen bekannte Architekt gestorben – im Alter von 101 Jahren.
Noch als Hundertjähriger gehörte es zu seiner Morgenroutine, mit dem Rollator das Büro im Kölner Stadtteil Marienburg aufzusuchen und in die Schaffenswelt seiner Familie einzutauchen. Das Gebäude hatte sein Vater Dominikus – ebenfalls ein Architekt mit großem Namen – 1928 erbaut. Hier entfalten sich heute seine Söhne als Baumeister. Gottfried Böhm kam hier aber auch an das Zentrum seiner eigenen Kreativität. Ein Souvenir ist eine von ihm gefertigte Büste, die den Vater darstellt. Sohn Gottfried wollte mal Bildhauer werden – eine Neigung, die sich in seinen ausgesprochen skulpturalen Bauten widerspiegelt.
Augenfällig wird dies in der 1968 fertiggestellten Wallfahrtskirche in Neviges. Sie gilt als zentrales Werk Böhms, spaltet indes auch die Gemüter. Manch einer verspottet den Betonbau mit seinen verschachtelten Dachspitzen als Affenfelsen. Andere sprechen von einer brutalistischen Architektur – ein Begriff, mit dem Böhm nichts anfangen konnte. „Ich möchte doch nicht als brutaler Mensch gelten“, sagte er im Interview zum 100. Geburtstag. Den Bau in Neviges konstruierte er einst als großes Zelt für das „wandernde Volk Gottes“. Im Inneren taucht der Besucher in ein mystisches Dunkel – auch bewirkt durch die vom Meister selbst gestalteten Farbfenster.
„Mut zum Monument“ attestieren Experten Böhm, der 1986 als erster Deutscher den amerikanischen Pritzker-Preis erhielt, den „Nobelpreis für Baukunst“. Kennzeichen seiner Bauten sind eine kühne Statik mit Hängedächern, Bogenkonstruktionen, Kuben, Zylindern oder Kegeln. Typisch für Böhm ist auch die Rabitztechnik, bei der Gips oder Mörtel auf ein Drahtgewebe aufgetragen wird. Diese wendete er auch bei seinem Erstlingswerk an, um die geraffte Decke der ab 1947 errichteten Kapelle „Madonna in den Trümmern“ in Köln zu gestalten.
Für Böhm hatte dieses Projekt eine herausragende Bedeutung. Die achteckige Kapelle erhebt sich zwischen den Ruinen der kriegszerstörten Kirche Sankt Kolumba über einer spätgotischen Madonnen-Statue, die fast unversehrt geblieben ist und damit zum Symbol des Lebens wurde. Inzwischen ist das Achteck Teil des Kunstmuseums Kolumba, das Peter Zumthor auf dem ursprünglichen Kirchengrundriss errichtete. Die Integration in den Gesamtkomplex bedauerte Böhm. „Es ist schade, dass die Kapelle völlig eingebaut und aus dem Stadtbild herausgenommen ist.“
Ob Kapelle oder Felsendom – Böhm pflegte seinen besonderen Arbeitsstil. Neben drei von vier Söhnen war auch seine 2012 verstorbene Frau Elisabeth vom Fach. Im Familienkreis gab es „ein gegenseitiges Reinsteigern in Ideen“, wie Sohn Peter berichtete. Und das schloss „ziemlich schmerzhafte Situationen“ nicht aus. Es kam vor, dass neben dem Entwurf aus der Feder der jungen Generation nach dem Mittagessen plötzlich eine sehr alternative Zeichnung des Seniors lag.
Der jüngste Sohn Paul, Architekt der Kölner Zentralmoschee, sprach auch einmal von der von seinem Vater gepflegten „Familientechnik“, Kohlezeichnungen und Modelle von geplanten Gebäuden mit Knetmasse zu erstellen. In einer Zeit ohne Computer ermöglichte das Plastilin, ein Detail einfach abzuschneiden oder anzufügen. „Mit den Händen denken“, bezeichnete der Filius dieses Kneten an Kirchen und anderen Projekten.
Als junger Mann hat Gottfried Böhm noch erlebt, „dass Kirchen immer zu klein waren“. Inzwischen werden Gotteshäuser aufgegeben. Ein Abriss einer seiner Kirchen würde ihm wehtun, sagte er als Hundertjähriger. Mit einer Umnutzung könne er aber leben. Der Kirche empfahl der Hochbetagte, doch mehr die jungen Menschen anzusprechen. Und: „Eine Frau als Priester oder eine Päpstin – das muss kommen.“