Wie weiter im Erzbistum Köln? – Visitatoren eine Woche vor Ort – Macht, Moral und eine päpstliche Prüfung
Von Anita Hirschbeck (KNA)
Köln (KNA) Es geht um Moral und Macht, da ist sich Karl Haucke sicher. Die Macht der hohen Amtsträger im Erzbistum Köln sei der Grund, warum rund 300 Protestierende in die Kölner Innenstadt gezogen seien, sagte der ehemalige Sprecher des Betroffenenbeirats des Erzbistums Köln während der Demo am Samstag. Moral dagegen ließen viele der Kirchenmänner vermissen – so sein Befund und der der Teilnehmenden.
Haucke – selbst Betroffener sexuellen Missbrauchs in der Kirche – und seine Mitstreitenden protestierten in unmittelbarer Nähe zum Wohnhaus von Kardinal Rainer Maria Woelki und zum Tagungshaus des Erzbistums. Dort wohnen seit dem letzten Montag zwei Gesandte des Papstes, die in einer sogenannten Apostolischen Visitation die Vorgänge in Deutschlands mitgliederstärkster Diözese prüfen sollen. Hintergrund ist die nicht enden wollende Debatte um die Missbrauchsaufarbeitung und die auch daraus resultierende Vertrauenskrise – im Auftrag als „komplexe pastorale Situation“ beschrieben. .
Zu den ersten Gesprächspartnern der beiden päpstlichen Kontrolleure zählten Ex-Sprecher Haucke und weitere frühere Beiratsmitglieder. Sie waren aus dem Gremium ausgetreten, weil sie sich von der Bistumsleitung unter Druck gesetzt fühlten. Eineinhalb Stunden redeten sie am Dienstag mit dem Stockholmer Kardinal Anders Arborelius und dem Rotterdamer Bischof Hans van den Hende – eine halbe Stunde länger als geplant. Er habe im Gespräch unter anderem eine bessere Qualifizierung von Priestern gefordert, sagte Haucke danach. Und lobte – genau wie andere – die sehr offene Atmosphäre und das intensive Zuhören der Visitatoren.
Ebenfalls am Dienstag trafen Arborlius und van den Hende aktuelle Mitglieder des Beirats, darunter Peter Bringmann-Henselder. Er bekundete im Anschluss die Erwartung an alle Bischöfe, „endlich dazu zu stehen, dass sie in der Vergangenheit in erster Linie bemüht waren, die Institution katholische Kirche zu schützen. Die Betroffenen hatten sie dabei nicht im Blick.“ Gleichzeitig sprach er sich gegen Rücktritte von Bischöfen aus. „Damit lassen sie erneut die Betroffenen im Regen stehen.“ Zuvor hatte der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, dem Papst seinen Amtsverzicht angeboten, was dieser jedoch ablehnte. Woelki hat Rücktrittsforderungen mehrfach zurückgewiesen.
Bringmann-Henselder kritisierte zudem die Protestierenden in der Kölner Innenstadt als Aktivisten, „die lautstark alles Mögliche fordern“. Der Missbrauchsskandal werde als Vehikel für andere Forderungen benutzt, etwa für die Forderung nach Weiheämtern für Frauen: „Und insofern benutzt und missbraucht man wieder einmal die Betroffenen.“
Auf der Demo bezogen sich viele Plakate durchaus auf Missbrauch und die Aufarbeitung im Erzbistum Köln, über die seit mehr als einem Jahr debattiert wird. „Ein Gutachten ist nicht genug“ stand da. Oder: „Juristisch korrekt, moralisch defekt“. Damit spielten die Protestierenden auf ein Rechtsgutachten an, das Mitte März veröffentlicht wurde.
Der sogenannte Gercke-Report weist hohen Amtsträgern mindestens 75 Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen zwischen 1975 und 2018 nach. Woelki entlastet die Untersuchung juristisch. Die beiden ehemaligen Kölner Generalvikare und heutigen Bischöfe Stefan Heße und Dominikus Schwaderlapp hingegen boten wegen nachgewiesener Fehler ihren Rücktritt an. Weihbischof Ansgar Puff ist beurlaubt, Kirchengerichtsleiter Günter Assenmacher nicht mehr im Amt.
Ob die päpstlichen Prüfer über den Gercke-Report hinaus Fehler erkennen und wie sie diese bewerten, ist offen. Während ihres Besuchs in Köln sprachen sie unter anderem mit Laienvertretern und mit dem Hamburger Erzbischof Heße. Details aus den Begegnungen sind nicht bekannt, denn bis auf die Missbrauchsbetroffenen wurden alle Gesprächspartner um Verschwiegenheit gebeten.
Neben ihren unmittelbaren Gesprächen dürften Arborelius und van den Hende auch andere Debatten wahrgenommen haben – etwa rund um eine Firmung in Düsseldorf. Kardinal Woelki spendete vergangenen Mittwoch Jugendlichen im Stadtteil Gerresheim das Sakrament. Zuvor hatten ihn rund 140 Gemeindemitglieder in einem offenen Brief aufgefordert, einen Vertreter zu schicken und die Firmung nicht selbst durchzuführen. Sie halten den Erzbischof nicht mehr für glaubwürdig, hieß es zur Begründung. In der Gemeinde waren zwei Priester tätig, denen sexuelle Übergriffe und Missbrauch vorgeworfen werden.
Trotz der Kritik entschied sich der Kardinal, die Firmung selbst zu spenden. Die Jugendlichen und ihre Eltern hätten sich dafür ausgesprochen, erklärte ein Sprecher des Erzbistums. Vertreter der Protestinitiative zeigten sich enttäuscht. Ihr Vertrauen in Woelki sei – auch nach vorangegangenen direkten Gesprächen – „leider nicht gewachsen, sondern noch mehr verloren gegangen“.
Wann der päpstliche Kontrollbesuch endet, blieb am Montag weiter offen. „In der Pressemitteilung des Heiligen Stuhls ist von Mitte Juni die Rede“, erklärte die Sprecherin von Bischof van den Hende. Die Monatsmitte wäre genau am Dienstag erreicht.
Und wie geht es danach weiter? Die Visitatoren schreiben einen Bericht über ihre Gespräche und Erkenntnisse, der neben der Feststellung möglicher Missstände auch Handlungsempfehlungen für deren Beseitigung enthalten kann. Dieser Bericht geht direkt an den Papst, denn alleine ihm sind sie verantwortlich. Und Franziskus muss dann entscheiden, wie er reagiert und wann. Dabei wird Franziskus vermutlich nicht nur die Lage in Köln in den Blick nehmen; er könnte mit abwägen, was seine Entscheidung für die international derzeit arg beäugte Kirche in ganz Deutschland bedeutet.