Hat der frühere Hildesheimer Bischof Janssen ihm anvertraute Kinder missbraucht? Ein Gutachten soll diese und andere Fragen klären – und nicht die letzte Untersuchung im Bistum Hildesheim bleiben.
Hildesheim – Die Vorwürfe wiegen schwer: Als erster deutscher Bischof wird der frühere Hildesheimer Oberhirte Heinrich Maria Janssen (1907-1988) beschuldigt, sexuellen Missbrauch begangen zu haben. Nun soll ein unabhängiges Gutachten Klarheit bringen, was wirklich geschah. Die Untersuchung wird am Dienstag in Hildesheim vorgestellt.
Die Vorwürfe stammen aus zwei Quellen. Zum einen hatte sich 2018 ein Mann Mitte 70 an die Diözese und ihren heutigen Bischof Heiner Wilmer gewandt. Der frühere Bewohner eines kirchlichen Kinderheims berichtete, dass ihn Janssen Ende der 1950er-Jahre aufgefordert habe, sich nackt vor ihm auszuziehen. Anschließend habe er ihn mit den Worten weggeschickt, er könne ihn nicht gebrauchen.
Der Mann schilderte weitere Missbrauchstaten durch Lehrer und Geistliche in den früheren Hildesheimer Kinderheimen Bernwardshof und Johannishof. Zum Bischof gebracht und wieder abgeholt wurde er seinen Angaben zufolge durch den Priester, der den Bernwardshof leitete. Damit steht auch der Vorwurf im Raum, es habe ein Beziehungsgeflecht der mutmaßlichen Täter untereinander gegeben. Auch das haben die von Wilmer im April 2019 beauftragten Gutachter um die ehemalige niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz untersucht.
Zum anderen hatte sich bereits 2015 ein ehemaliger Ministrant an das Bistum Hildesheim gewandt und berichtet, Janssen habe ihn zwischen 1958 und 1963 sexuell missbraucht. Dieser Vorwurf war bereits Thema in einem 2017 veröffentlichten Gutachten. Die Autoren konnten ihn damals weder beweisen noch entkräften. Möglicherweise kann die aktuelle Untersuchung mehr Licht in das Dunkel bringen.
Sie konzentrierte sich ausschließlich auf die von 1957 bis 1982 dauernde Amtszeit Janssens. Spannend ist die Frage, ob auch Namen von Tätern und Vertuschern genannt werden. Niewisch-Lennartz hatte aber bereits angekündigt, dass das Gutachten dies wegen rechtlicher Schwierigkeiten wohl nicht tun werde und das Bistum Hildesheim in der Verantwortung sei.
Für die Diözese geht es bei der Aufarbeitung vor allem darum, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Die Causa Janssen ist längst nicht der einzige mutmaßliche Missbrauchsfall, der auf dem Bistum Hildesheim lastet: Ein weiterer Schwerpunkt des früheren Gutachtens waren die Vorwürfe gegen den Priester Peter R.. Der ehemalige Jesuitenpater gilt als einer der Haupttäter im Missbrauchsskandal am Berliner Canisiuskolleg und war später bis 2003 unter anderem als Jugendseelsorger im Bistum Hildesheim tätig. In dieser Zeit soll er weitere Jugendliche sexuell missbraucht haben. Die Gutachter bescheinigten der Diözese seinerzeit schwere Versäumnisse im Umgang mit dem Fall Peter R.. Er lebt heute in Berlin und wurde 2019 aus dem Klerikerstand entlassen.
Seit Veröffentlichung dieses früheren Gutachtens hat sich in der katholischen Kirche von Hildesheim einiges geändert. Handlungsempfehlungen der Autoren wurden weitgehend aufgegriffen und beispielsweise unabhängige Ansprechpersonen für Missbrauchsopfer und ein externer Beraterstab benannt.
Bischof Wilmer, der seit 2018 im Amt ist, gilt als schonungsloser Aufklärer und Reformer. Mit seiner Aussage, der Missbrauch von Macht stecke „in der DNA der Kirche“, machte er sich unter seinen deutschen Amtsbrüdern nicht nur Freunde. Die Vorgänge rund um die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln, die sich seit Monaten in die Länge ziehen, bezeichnete er als „unsäglich und sehr bedauerlich“. Dort wird nach Veröffentlichung eines Missbrauchsgutachtens eine Entscheidung des Papstes über die Zukunft mehrerer deutscher Bischöfe erwartet.
Der neuerlich angestoßene Aufklärungsprozess in Hildesheim ist Ausdruck von Wilmers Willen zu Transparenz und Veränderung. Schon jetzt steht fest, dass die Aufarbeitung in dem norddeutschen Bistum mit der Vorstellung des neuen Gutachtens nicht beendet sein wird. So kündigte Wilmer bereits im Sommer an: „Ich will danach sofort weitermachen und die Zeit seit 1982 bis heute extern beleuchten lassen – also auch meine“.