Auf der Karibikinsel Hispaniola wachsen die Spannungen: Es geht um einen Kampf ums Wasser – und um eine anhaltende Fluchtwelle.
Santo Domingo (KNA) Für viele deutsche Urlauber ist die Dominikanische Republik ein karibisches All-Inclusive-Paradies. Doch abseits von türkisblauem Wasser und weißen Stränden mit Hotelfestungen spielt sich ein politisches Drama ab. Die meisten Touristen bekommen davon nichts mit.
Die diplomatischen Beziehungen zum bettelarmen Nachbarland Haiti sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Jüngst ließ der dominikanische Präsident Luis Abinader die Grenze schließen. Ein Grund ist die außer Kontrolle geratene Migration aus Haiti infolge brutaler Bandenkämpfe. Hinzu kommt ein Streit um den Kanalbau an einem Grenzfluss, der – je nach Herkunft – Rio Masacre oder Dajabon genannt wird.
Nach dominikanischer Lesart baut Haiti einen Kanal, der der dominikanischen Seite das Wasser abgräbt. Haiti verweist indes auf Verträge aus der Vergangenheit und sieht sich im Recht. Das haitianische Landwirtschaftsministerium erklärte, der Kanalbau sei zur Bewässerung der Felder unabdingbar. Die beiden Positionen stehen unversöhnlich gegenüber.
Haiti ist ein gescheiterter Staat
„Wir wollen und suchen keine Konfrontation mit dem haitianischen Volk“, sagte Abinader der Zeitung „El Caribe“. Er stelle sich lediglich gegen „Akteure, die die Unsicherheit in Haiti für ihre eigenen Interessen aufrechterhalten und die sich jetzt auch gegen die Stabilität ihrer Regierung und die Sicherheit der Wasserressourcen verschwören“. Der Staatschef ließ wissen: Solange die Bauarbeiten am Kanal anhalten, werde die Grenze geschlossen bleiben.
Für Grenzpendler und den Handel hat das enorme Konsequenzen. 2024 wird in der Dominikanischen Republik obendrein gewählt; die Kandidaten bringen sich in markigen Worten in Stellung. Besonders populär sind derzeit harte Positionen gegen Einwanderung aus Haiti.
Tatsächlich ist aus Haiti ein „gescheiterter Staat“ geworden. Bandenkriege und politische Instabilität haben das ohnehin schon von Naturkatastrophen heimgesuchte Land vollständig aus den Angeln gehoben. Die UN gehen davon aus, dass 60 Prozent des Gebietes der Hauptstadt von Port-au-Prince von bewaffneten Banden kontrolliert werden.
Die Zeit läuft davon
Die Rufe nach einer internationalen Hilfsmission, die Sicherheit und Stabilität zurückbringen soll, werden immer lauter. Kenia erklärte sich jüngst bereit, eine solche Mission anzuführen. Doch die Mühlen mahlen langsam; zu langsam, wie Abinader meint: „Die Zeit läuft uns davon.“
Unterdessen appelliert die katholische Kirche in Haiti an die internationale Gemeinschaft, die Bevölkerung nicht im Stich zu lassen. „Seit vier Jahren erlebt unser Land eine der längsten und tödlichsten sozio-politischen und sicherheitspolitischen Krisen seiner Geschichte. Das ganze Volk ist zutiefst betroffen. Der Staat hat die Kontrolle über das Staatsgebiet verloren“, so die Bischöfe. Die Menschen seien gnadenloser Gewalt der Banden und ihrer Verbündeten ausgeliefert. Die Verzweifelten fliehen: hauptsächlich ins Nachbarland, aber auch in Richtung Lateinamerika und USA.
Derweil braut sich eine immer tödlichere Gemengelage zusammen: Laut UN-Schätzungen leidet Haiti unter einer noch nie da gewesenen Nahrungsmittelknappheit. Fast die Hälfte der Bevölkerung, etwa 4,9 Millionen Menschen, haben nicht genug zu essen, um gesund zu überleben. Neben der Hungersnot drückt einer schwere innenpolitische Krise. Im Juli 2021 wurde Staatspräsident Jovenel Moise ermordet; Neuwahlen sind seit Jahren ausgesetzt. Haitis innenpolitische Kräfte gelten als hoffnungslos zerstritten. Ein Ausweg ist nicht in Sicht.