Der adventliche Mensch ist der wache Mensch.
Besinnlichkeit, ein wenig Ruhe, ein gemütliches Zusammensein mit der Familie oder ein Bummel über einen Weihnachtsmarkt mit Freunden: Jedes Jahr bringen Umfragen zu Tage, dass die Meisten sich die Adventszeit vor allem als stille, behagliche Zeit im Kreise liebgewordener Menschen wünschen. Ist es nicht das, wonach wir uns alle in dieser hektischen, unübersichtlichen Zeit, die jeden Tag schreckliche Meldungen in den Nachrichten hervorbringt, sehnen? Ein Glas Glühwein, Lebkuchen und Weihnachtsplätzchen, das gehört doch einfach dazu. Das darf man sich doch wohl noch gönnen, das ist doch Advent, oder?
Nach den Anschlägen von Paris hat Papst Franziskus in einer Ansprache nicht nur die Terrorakte verurteilt, sondern auch die Advents- und Weihnachtszeit in den Blick genommen. „Wir sind nah an Weihnachten: dort wird es Licht geben, Feste, hell erleuchtete Bäume und auch Krippen, … alles wird in Ordnung gebracht: Aber die Welt fährt fort, Krieg zu führen, um Krieg zu führen. Die Welt hat den Weg des Friedens nicht verstanden.“ (Predigt von Papst Franziskus am 19.11.2015)
Ein Affenzirkus
Soweit der Papst. Doch einige Berichterstatter schmückten die Predigt noch etwas aus: Angesichts der Zustände in der Welt sei das Weihnachtsfest und alles, was damit zusammenhänge, ein „Affenzirkus“ – ein Wort, das Papst Franziskus in diesem Zusammenhang überhaupt nicht gesagt hat, das aber von einer großen deutschen Zeitschrift in Umlauf gebracht wurde und weite Beachtung gefunden hat.
Trotz des falschen Papst-Zitates bleibt bei mir der Eindruck zurück, dass die Aussage etwas Wahres hat. Die Lesungstexte des 2. Adventssonntages zeigen eindrücklich, dass es nicht um Gemütlichkeit und Stille geht. Die Adventszeit ist keine Zeit der leisen, sondern der lauten Töne! So heißt es in der ersten Lesung aus dem Buch Baruch: „Denn Gott hat befohlen: Senken sollen sich alle hohen Berge und die ewigen Hügel, und heben sollen sich die Täler zu ebenem Land, so dass Israel unter der Herrlichkeit Gottes sicher dahinziehen kann.“ Berge, die sich senken, und Täler, die sich heben, sind alles andere als stille Naturerscheinungen, sondern umwälzende Ereignisse, die das Angesicht der Erde radikal verändern.
Johannes der Täufer spricht ebenfalls davon, den Weg für den Herrn zu bereiten. Ja, nicht nur Schluchten sollen aufgefüllt werden, sondern aus gekrümmten Wegen werden gerade und umgekehrt. Da ist Bewegung drin – von Stillstand und Ruhe keine Spur! Johannes fordert die Menschen zur Umkehr auf, zu einem anderen Denken und Handeln. Ich verstehe seine Worte so, dass er auch uns Menschen in dieser Zeit aufrütteln will, auch mich aus meinen festgefahren Sichtweisen, Überzeugungen und falschen Sicherheiten: „Kehr um! Ändere dein Leben!“
Die Erschütterung
Der Jesuit und Märtyrer Alfred Delp (1907-1945) hat vor über 70 Jahren in seinen „Adventsgestalten“ über die Bedeutung des Advents für die Menschen von heute nachgedacht. Seine Gedanken hat er zu einer anderen Zeit geschrieben, zur Zeit des Nazi-Terrors. Doch seine Worte sind bis heute aktuell: „Advent ist einmal eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst. Die Voraussetzung des erfüllten Advents ist der Verzicht auf die anmaßenden Gebärden und verführerischen Träume, mit denen und in denen sich der Mensch immer wieder etwas vormacht. […] Das erschütterte Erwachen gehört durchaus in den Gedanken und das Erlebnis des Advents. Aber zugleich gehört viel mehr dazu. Das erst macht ja die heimliche Seligkeit dieser Zeit aus und zündet das innere Licht in den Herzen an, dass der Advent gesegnet ist mit den Verheißungen des Herrn. Die Erschütterung, das Aufwachen: Damit fängt das Leben ja erst an, des Advents fähig zu werden. Gerade in der Herbheit des Aufwachens […] erreichen den Menschen die goldenen Fäden, die in diesen Zeiten zwischen Himmel und Erde gehen und der Welt eine Ahnung von der Fülle geben, zu der sie gerufen und fähig ist.“
Wer sich anrühren, erschüttern, aufrütteln lässt von den Zuständen in der Welt, offen ist für die Not der anderen, die Zustände benennt und handelt, nicht sagt: „Da kann man ja sowieso nichts machen!“, sondern seinen kleinen Teil zum Gelingen der Welt beiträgt – der ist ein adventlicher Mensch! Ein wacher Mensch, der sich weder von kitschig-säuselnden Weihnachtsschlagern einlullen, noch von den Unheilspropheten und Schreckensereignissen dieser Tage die Freude darüber rauben lässt, dass uns mit der Geburt Jesu ein großes Versprechen gegeben wurde: „Alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.“ (Lk 3,6)
Ich wünsche Ihnen eine beunruhigende Adventszeit – mit oder ohne Lebkuchen!
Gedruckt erschienen im Neuen Ruhr-Wort, Nr. 49, vom 5. Dezember 2015. Ihnen hat unser Bericht gefallen? Sie können unsere Wochenzeitung hier ganz bequem abonnieren.