De Maiziere sieht Zusammenhalt der Gesellschaft bedroht

Mülheim. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) sieht den Zusammenhalt der Gesellschaft bedroht. Er kritisierte am Montagabend beim Neujahrsempfang des Bistums Essen in Mülheim an der Ruhr einen Verlust an Respekt und Achtsamkeit im gegenseitigen Umgang, besonders in sozialen Netzwerken, sowie fehlende Kompromissbereitschaft. Der Essener Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck bemängelte, dass die EU als Wirtschaftsunion nicht ausreichend sozial- und gesellschaftspolitisch abgefedert worden sei.

De Maiziere beklagte, dass gerade im Internet Zivilisationsschranken eingerissen worden seien. So würden in der Flüchtlingsdebatte Politiker als Hochverräter oder Deutschland-Abschaffer diffamiert. Die Verrohung von Sitten und Sprachgebrauch treffe auch Polizisten, Lehrer sowie Mitarbeiter in Arbeitsagenturen oder Finanzämtern. In den vergangenen zwei Jahren scheine zudem eine „Atomisierung von Interessen“ zugenommen zu haben, wohl als Reflex auf die globalisierte Welt: „Es ist Ruppigkeit in unserer Land eingekehrt. Das ist schlecht für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.+“, sagte der Bundesinnenminister. „Wir brauchen Respekt, Höflichkeit, Dankbarkeit. Das braucht eine Gesellschaft, weil sie sonst nicht zusammenhält.“

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Bundesinnenminister Thomas de Maizeire. Foto: Pohl/Bistum Essen

Der Minister plädierte für sachliche politische Auseinandersetzungen. „Der Streit hat unser Land eher zusammengeführt als getrennt“, betonte er und verwies auf die Debatten über Wiederbewaffnung oder Nachrüstung. Notwendig sei es aber, sich um Kenntnisse zu bemühen. Hier gebe es zwar eine Bringschuld der Politik, über das, was in der Gesellschaft passiert und die Gründen dafür, zu informieren. „Aber es gibt auch eine Holschuld der Bürger.“ In seinem Wahlkreis erreiche eine gut gemachte Tageszeitung gerade noch ein Drittel der Bürger. „Ist es zu viel verlangt, eine Tageszeitung zu abonnieren?“, fragte de Maizière, der betonte: „Wer auf Sachkunde verzichtet, ist anfällig für Ressentiments und Vorurteile.“

Nötig seien auch Kompromissbereitschaft und Geduld, etwa wenn es darum gehe, sogenannte Altasylanträge abzuarbeiten. Aber auch bei den Flüchtlingen sei Geduld gefragt, etwa, wenn sie in Unterkünften unterkommen, die nicht besonders bequem seien. „Anstehen können ist auch eine Tugend. Dann muss man auch zwei Stunden anstehen können in einer Erstaufnahmeeinrichtung, um zum Essen zu kommen“, sagte der Minister. Die Gesellschaft brauche aber auch Auseinandersetzung, damit Zusammenhalt und Integration gelingen könne. De Maizière rief dazu auf, zum Beispiel über die Frage einer Grenze der Integrationsfähigkeit zu streiten

Für eine gemeinsame deutsche Identität und den Zusammenhalt der Gesellschaft reiche nicht allein die Anerkennung der Werte des Grundgesetzes wie Meinungsfreiheit oder Gleichberechtigung. Dazu gehöre auch etwa das Wissen um Auschwitz. Bestandteil deutscher Kultur sei zudem das besondere Verhältnis der Kirchen zum Staat. „Das ist ein Schatz für unsere Gesellschaft“, so de Maiziere – auch wenn die Politiker nicht immer gerne hörten, was die Kirchen sage.

 

Bischof Overbeck verlangte neuen Schwung für die europäische Idee. „Das politische Friedenswerk Europas bewegt sich momentan auf dünnem Eis“, sagte er. Angesichts der Globalisierung müsse der europäische Gedanke nicht nur verbreitert, sondern sozial effektiv neu vertieft werden.

Rückblickend erschienen die vergangenen Jahrzehnte mit der deutschen Wiedervereinigung in einem vereinten Europa wie „politisch harmlose, fast naive Zeiten“, so Overbeck. Neuere nationalistische Töne, sexuelle Übergriffe auf Frauen, terroristische Anschläge und randalierende Hetze auf Ausländer lösten Irritation aus. Auch im Religiösen sei ein „Gefühl der Unsicherheit“ gewachsen, etwa durch eine stärkere Präsenz des Islam durch Flüchtlinge. Notwendig sei, die Orientierungskraft der Menschenrechte in Geltung zu bringen und eine differenzierte Debatte ohne Freund-Feind-Kategorien zu führen. (spe)

 

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