Franziskus künftig ohne Kardinal Müller – Chronik eines Zerwürfnisses mit Ansage

Die Nachricht machte am späten Freitagabend die Runde. Dass Papst Franziskus die Amtszeit von Kardinal Müller als oberstem Glaubenshüter der Kirche nicht verlängert, kommt einem Erdbeben im Vatikan gleich.

Nur zwei Tage nach der vorübergehenden Beurlaubung seines „Wirtschaftsministers“, Kardinal George Pell, hat sich Papst Franziskus von einem noch wichtigeren führenden Mitarbeiter im Vatikan getrennt. Kardinal Gerhard Ludwig Müller (69), oberster Glaubenshüter der katholischen Kirche, muss nach fünf Jahren an der Spitze der Römischen Glaubenskongregation sein Amt niederlegen. Und zwar für immer. Der Papst gewährt ihm keine zweite fünfjährige Amtszeit, das Spekulationskarussell um die Namen der möglichen Nachfolger dreht sich bereits.

Die Nachricht, die für Außenstehende wie ein bloßes Stühlerücken unter Kardinälen klingen mag, hat im Vatikan die Ausmaße eines schweren Erdbebens. Als „Säuberung“ bezeichnete ein hochrangiger Kenner der Materie den Vorgang – wobei offenbleibt, ob dies im Anklang an den Sprachgebrauch diktatorischer Regime zu verstehen ist oder als eine notwendige Reinigung, wie sie auch schon Kardinal Joseph Ratzinger einst gefordert hatte.

Die Nachricht machte am späten Freitagabend die Runde. Dass Papst Franziskus die Amtszeit von Kardinal Müller als oberstem Glaubenshüter der Kirche nicht verlängert, kommt einem Erdbeben im Vatikan gleich.

Kardinal Müller, hier bei einem Besuch in Polen im Mai 2017l
Foto: © Ryszard Parys / dreamstime

Für Kenner der vatikanischen Verhältnisse kommt die Trennung keineswegs überraschend. Schon im ersten Jahr seines Pontifikats hatte Papst Franziskus in einem offiziell nie bestätigten Gespräch mit lateinamerikanischen Ordensleuten gesagt, was er von der dogmatisch reglementierenden Rolle der Glaubenskongregation hielt: Wenn man von der Behörde wegen unkonventioneller Seelsorgemethoden einen mahnenden Brief erhalte, sollte man den höflich beantworten, dann aber weitermachen wie bisher, so seine damalige Empfehlung.

Und wenn Kardinal Müller den Papst darauf hinwies, dass bestimmte, einseitige Ausdeutungen der katholischen Theologie gegen das Lehramt verstoßen, ermunterte Franziskus ihn, einen Artikel in der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ zu schreiben. Die Artikel blieben folgenlose Meinungsäußerungen. Das war ein Affront für einen Mann, der in der Nachfolge seines Lehrmeisters Joseph Ratzinger meinte, er könne und solle weiterhin verbindlich entscheiden, wo die Grenze zwischen katholisch und nicht-mehr-katholisch verläuft.

Auch bei seinem forschen Zugehen auf die traditionalistischen Piusbrüder entmachtete Franziskus den Pius-Kritiker Müller weitgehend: Er gab dem eigentlich Müller unterstehenden Verhandlungsführer Guido Pozzo weitgehende Entscheidungsbefugnis in diesem Prozess. Seither erhält die Piusbruderschaft schrittweise immer neue Rechte auch in der normalen Seelsorge – allen dogmatischen Bedenken zum Trotz.

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Ganz schwierig wurde das Miteinander nach den strittigen Bischofs-Synoden zum Thema Familie und dem daraus entwickelten Papstschreiben „Amoris laetitia“ (2016). Mit ihm eröffnete der Papst Katholiken in zweiter Ehe unter bestimmten Voraussetzungen den Zugang zu den Sakramenten. Immer wieder versuchte Müller den Spagat, dem Papst und der Synode gehorsam zu folgen, andererseits aber vor allzu liberalen Auslegungen dieser vorsichtigen Öffnung zu warnen. Der Papst seinerseits unterstützte jedoch genau diese Ausführungsbestimmungen.

Als vier konservative Kardinäle – darunter die Deutschen Joachim Meisner und Walter Brandmüller – dem Papst ihre „dubia“ (Zweifel) an der moraltheologischen Innovation veröffentlichten, machte Müller deutlich, dass er diese Kritik inhaltlich für legitim hielt. Er kritisierte lediglich die Tatsache, dass die vier Kardinäle diesen Streit mit dem Papst öffentlich auszutragen versuchten und damit der Einheit der Kirche schadeten.

Dass es zwischen dem argentinischen Papst und dem deutschen Dogmenhüter zum Eklat kommen würde, zeichnete sich schließlich vor einigen Monaten ab. Damals wurde im Vatikan bekannt, dass der Papst drei verdiente Mitarbeiter Müllers fristlos entlassen hatte. Ihre einzige Schuld habe darin bestanden, dass sie den kirchenpolitischen Kurs des Papstes kritisierten. Müller verwahrte sich im Mai in einem Interview des konservativen katholischen Fernsehsenders EWTN gegen dieses Vorgehen. Spätestens an diesem Punkt war das Zerwürfnis nicht mehr zu übersehen.

Ob es neben theologischen und dienstrechtlichen Fragen noch andere Gründe für den Papst gab, die Zusammenarbeit mit Müller zu beenden, ist in Rom und in Deutschland derzeit Gegenstand von Spekulationen. Mindestens ebenso interessant ist die Frage, wie es mit der Glaubenskongregation weitergeht. Dass Franziskus die Stelle des Präfekten mit einem Mann besetzt, der ihm theologisch näher steht, liegt auf der Hand. Möglicherweise wird er aber auch schon bald die Chance nutzen, die dogmatische Macht der Glaubensbehörde weiter zu beschneiden und sie noch mehr zu einem „dienenden Werkzeug“ der Weltkirche umzubauen.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)

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