Die St.-Barbara-Kirche im Essener Ostviertel steht vor dem Abriss. Die Kunsthistorikerin Annette Jansen-Winkeln rettet der Glasfenster.

(Foto: Lisa Mathofer)
Essen – Mit gezielten Schlägen führen die beiden Handwerker den Meißel mit einem Hammer zwischen die Stahlstreben des Kirchenfensters. Das oberste Drittel der Malerei des Heiligen Ignatius ist schon ausgebaut, das Sonnenlicht strahlt von außen in die staubige Kirche. Der Klang der Schläge hallt in der St.-Barbara-Kirche wieder. Annette Jansen-Winkeln steht mit ihrem Mann im Mittelgang der Essener Kirche im Ostviertel und beobachtet den Ausbau der historischen Kirchenfenster ganz genau. Die Kunsthistorikerin hat die Rettung der Glasfenster aus der Ruhrgebietsstadt veranlasst, sie mit 5000 Euro selbst finanziert.
„Glasmalereien sind wesentliche Zeugen der Kulturgeschichte und der christlichen Verkündigung. Sie sind bildliche Zeugen der Geschichte der Kirchengemeinde“, sagt sie. Jansen-Winkeln leitet die Forschungsstelle „Glasmalerei des 20. Jahrhunderts e.V.“ in Mönchengladbach. In den vergangenen Jahrzehnten hat sie sämtliche Glasfenster Nordrhein-Westfalens dokumentiert und im Internet veröffentlicht. Über 100.000 Fenster aus mehr als 10.000 Gebäuden, in den meisten Fällen Kirchen, sind dort erfasst. Weitere 30.000 aus dem Gebiet der „Alten Rheinlande“ sollen in den kommenden Jahren dazukommen.
Moderner Kirchenbau als Vorbild des Wiederaufbaus
Der Ausbau und die Aufbewahrung der kirchlichen Glasfenster ist für Jansen-Winkeln oft ein ungewolltes Nebenprodukt ihrer Arbeit. Im Depot der Forschungsstelle sind zurzeit rund 600 Fenster eingelagert. In einigen Tagen kommen die Fenster aus St. Barbara dazu. Die Kunsthistorikerin zeigt auf eine schmale und hohe Lücke auf der linken Seite der Kirche, direkt neben dem Eingang. Einen Tag bestand das Fenster dort noch aus einem Marienbild, geschätzt wird es auf die Zeit um 1900. „Das ist ein ganz fantastisches Werk“, sagt sie. Als einziges Kirchenfenster habe es die beiden großen Weltkriege unbeschadet überstanden.

(Foto: Lisa Mathofer)
Aber auch die zehn Heiligen-Darstellungen, die der Essener Glasmaler Wilhelm de Graaff Anfang der 50er Jahre schuf, sind für die Kunsthistorikerin von großer Bedeutung. Gerade der moderne Kirchenbau sei Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet bekannt und deutschlandweit zu Vorbildern des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg geworden. „Millionen von Einwanderern haben sich, wenn man nur ans Ruhrgebiet denkt, an diesem Aufbau beteiligt, wurden in christlichen Gemeinschaften integriert und fanden hier schnell eine neue Heimat“, sagt sie. Bischof Kardinal Hengsbach förderte den Kirchenbau und die Gründung des Bistums Essen. Diese Neuerungen der 1950er- und 60er-Jahre seien auch in die liturgischen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils eingeflossen.
In Essen konnte die Kunsthistorikerin durch ihren Einsatz schon einige Kirchenfenster retten
Gerade deswegen ist es der Kunsthistorikerin wichtig, diese Kirchenkultur auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Als Zeichen für diese besonderen gemeinsamen Kulturbemühungen und das kirchliche Wertebewusstsein. Vor allem sollen die Glasmalereien mit dem Archiv der Forschungsstelle in Mönchengladbach so nah wie möglich an ihrem Ursprungsort erhalten bleiben. „Sie dokumentieren die lokale Kulturgeschichte und müssen deshalb auch in der Region bleiben“, sagt Annette Jansen-Winkeln. Die Essener St. Barbara-Kirche ist bereits seit Dezember 2014 geschlossen und profaniert. Das 1905 eingeweihte Kirchengebäude und das angrenzende Gemeindezentrum sollen abgerissen werden. Ein Investor beabsichtigt auf dem Areal Mehrfamilienhäuser zu errichten. Ein konkreter Zeitplan liegt indes noch nicht vor.
Auch. Überall geschafft hat sie es trotzdem nicht, etwa in der St. Stephanus-Gemeinde in Essen-Holsterhausen oder in Haarzopf. Die historischen Glasmalereien der beiden Kirchen sind für die Zukunft nur noch auf der Internetseite der Forschungsstelle archiviert. Jansen-Winkeln sieht auch die Gemeindemitglieder und Bürger der Stadtteile in der Verantwortung, vor allem, wenn Denkmalpflegeämter und Kirchenverwaltungen mit dem Schutz der Glasmalereien überfordert seien.
Ein bisschen Wehmut und ein großes Lächeln
Nach rund einer Stunde ist es geschafft. Durch das dreiteilige Kirchenfenster des Heiligen Ignatius scheint nun das ungefilterte Sonnenlicht in den Kirchenraum. Dicke Brombeerzweige ranken sich von außen entlang der Stahlstreben nach innen. Verhallen die Hammerschläge für einen Moment, dringt auch das Zwitschern der Vögel in den Bäumen vor der Kirche nach innen.
Die Handwerker machen sich direkt an dem Fenster des Heiligen Franz von Assisi daneben zu schaffen. Mit einem Winkelschleifer lösen sie die Metallverbindungen zwischen den einzelnen Fensterteilen – noch lauter als die Hammerschläge tönt das kreischende Geräusch an den Kirchenmauern wieder, während rote Funken durch die Luft wirbeln. Dann reichen die beiden Männer den Kopf des Heiligen vorsichtig nach unten. Annette Jansen-Winkeln und ihr Mann nehmen ihn an, halten das schwere Glasstück in den Händen. Die Kunsthistorikerin scheint ein wenig wehmütig zu schauen. Doch dann breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus – die große Freude darüber, ein weiteres Kirchenfenster als Kulturgut gerettet zu haben: „Das ist einfach ein Schatz, der mit aller Sorge zu hüten ist.“
Lisa Mathofer
Info
Alle Glasfenster, über die Annette Jansen-Winkeln geforscht und die sie teilweise archiviert hat, sind im Internet unter www.glasmalerei-ev.de mit Fotos gesammelt.