„Ihr Schicksal ist auch unseres“

Im Bistum Maiduguri (Nigeria) hilft die Kirche mit Nothilfe – etwa Lebensmitteln – Opfern von Boko Haram. Foto: Kirche in Not

 

Wir sind den ganzen Tag dem Tod ausgesetzt.“ – Die Wucht und die Realtität dieser Aussage von Erzbischof Jean-Clément Jeanbart aus Syrien kann man als Christ und Christin, die in einen sicheren, friedlichen Land leben, nicht ermessen. Doch dass Christenverfolgung auch im 21. Jahrhundert Wirklichkeit ist – und in den vergangenen Jahren zunehmend für viele Menschen zur Bedrohung wird – lässt sich zumindest nachlesen: Das Hilfswerk „Kirche in Not“ hat jetzt, bereits zum fünften Mal, die Dokumentation „Christen in Bedrängnis“ herausgegeben. Im Mittelpunkt stehen 15 Beispielländer und Fälle von Christenverfolgung und Verletzung der Religionsfreiheit aus den Jahren 2016 und 2017. Berichtet wird aber auch über hoffnungsvolle Aufbrüche.
Das 256-seitige Buch, das für einen Euro bei „Kirche in Not“ bezogen werden kann, gibt Einblicke in die Situation von Christen auf vier Kontinenten. Schwerpunktländer sind Ägypten, China, Eritrea, Indien, Indonesien, Irak, Kuba, Myanmar (Burma), Nigeria, Nordkorea, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien, die Türkei und Vietnam. „Das Ausmaß an Unterdrückung, Gewalt und Verfolgung gegen religiöse Gemeinschaften, darunter auch gegen die Christen, ist nach wie vor auf einem hohen Niveau“, erklärt Berthold Pelster, Experte für Fragen der Religionsfreiheit bei „Kirche in Not“ und Autor des Berichts. Zwar sei etwa im Nahen Osten die Terrormiliz „IS“ mittlerweile zurückgedrängt, aber die Kämpfer würden sich nun neu organisieren oder als Einzeltäter Anschläge verüben. Auch in afrikanischen Ländern sei der islamistische Terror Verfolgungsursache Nummer eins. Diese Verfolgung treffe allerdings nicht nur Christen. „Die Extremisten machen auch vor ihren muslimischen Glaubensbrüdern keinen Halt“, so Pelster.
In Ägypten sind – besonders koptische – Christen nicht nur immer wieder Opfer terroristischer Anschläge und von Gewalt. Sie sind vor allem auch massiv in ihrem Alltag und ihren Lebenschancen eingeschränkt. So sind Chris­ten meist von Schlüsselpositionen in der staatlichen Verwaltung, in der Armee oder Polizei oder im Bildungswesen ausgeschlossen.
Straffreiheit für Täter
In Eritrea sind mehrere tausend Chris­ten inhaftiert. Viele berichten von menschenunwürdigen Zuständen und Folter. So werden inhaftierte Christen etwa bei glühender Sonne in dunklen Schiffscontainern eingesperrt. Des Weiteren besteht im Land ein Zwang zum Militärdienst, von dem auch Priester nicht ausgenommen sind. Die Vereinten Nationen sprechen im Zusammenhang mit dem Militärdienst von „Zwangsarbeit, durch die viele Eritreer misshandelt, ausgebeutet und versklavt“ werden, so der Bericht von „Kirche in Not“.
In Indien nimmt die Gewalt gegen Chris­ten und andere religiöse Minderheiten unter der hindu-nationalistischen Regierung zu. „Das Spektrum der Gewalt reicht von Zwangskonversionen über Zwangsehen christlicher und muslimischer Mädchen mit Hindus bis hin zu gewalttätigen Übergriffen mit Toten und Verletzten“, so der Bericht. Dazu kommen Überfälle auf Gottesdienste und die Zerstörung von Kirchen, Moscheen und anderen Gebetsstätten. Christen wird von Hasspredigern etwa vorgeworfen, „Agenten des Westens“ zu sein. „Die Täter bleiben oft straffrei, weil ihre Gewaltakte strafrechtlich nicht verfolgt werden“, so der Bericht.
Zu den positiven, Hoffnung machenden Entwicklungen zählt etwa, dass in Nigeria die Bedrohung durch Boko Haram Chris­ten und Muslime einander nähergebracht hat, wie Father John Bakeni aus der Diözese Maiduguri im Norden Nigerias bei der Vorstellung der Dokumentation erzählte.
Wo auch immer Aufbrüche zu verzeichnen sind, bleibt die Hoffnung aber fragil und die Gesamtlage ist oft weiterhin schwierig für Christen und andere Religionen als der, die im jeweiligen Land dominiert. Gleiches gilt für den Frieden beziehungsweise die Lage in Kriegsgebieten. Umso eindrucksvoller sind die im Bericht zu lesenden Zeugnisse, die einen starken Glauben ausdrücken.
Bewegend sind die Appelle der Betroffenen an die Leser. So sagt etwa Erzbischof Jeanbart aus Syrien: „Unser Glaube an Jesus Christus und unser Bewusstsein, zu einer einzigen Menschheit zu gehören, erfordern von uns, dass wir diese Berichte über Menschen, die wegen ihres religiösen Bekenntnisses leiden, aufmerksam lesen. Ihr Glaube an Jesus Christus ist auch unser Glaube. Deswegen ist ihr Schicksal auch unser Schicksal.“
Hildegard Mathies
Info wwwkirche-in-not.de