
Rudi Assauer (Archivfoto: NBM)
Gemeinsam mit seinem evangelischen Kollegen, dem langjährigen „Schalke-Pfarrer“ Hans-Joachim Dohm, wird Propst Markus Pottbäcker den ökumenischen Gottesdienst leiten, der auch live in die Veltins-Arena übertragen wird. Im Interview spricht Pottbäcker über Rudi Assauer und die Bedeutung, die solche Feiern immer noch haben, über Fußball und Theologie.
Propst Pottbäcker, ohne Rudi Assauer überhöhen zu wollen: ist der Gottesdienst am Freitag ein besonderer?
Ja, auf jeden Fall. Und das wird schon spürbar anhand all dessen, was bei diesem Gottesdienst eine Rolle spielt. Natürlich haben wir unsere Professionalität und wissen, wie es geht, aber die Vorbereitungen haben eine ganz andere Dimension als bei jedem anderen Gottesdienst. So wird es etwa eine Übertragung in die Arena geben, weil St. Urbanus zwar die größte Kirche im Bistum Essen ist, aber dann doch wiederum nicht so groß, dass alle einen Platzfinden könnten, die in irgendeiner Form auch daran Anteil nehmen wollen.
Die gesamte Planung ist relativ kurzfristig…
… wie bei allen Beerdigungen oder Trauerfeiern, die sind immer kurzfristig. Hochzeiten und Taufen sind deutlich besser zu planen…
… aber hier kommen noch einmal die zu erwartenden Ausmaße hinzu.
Es ist – wie eigentlich jeder Gottesdienst – eine öffentliche Veranstaltung, die auf großes Interesse stoßen wird. Rudi Assauer war natürlich eine knorrige Figur im besten Sinne des Ruhrgebietsausdrucks. Jemand, der nicht nur in sich eine Persönlichkeit war und in Verbindung mit dem Verein stand, sondern der aus dieser Gegend kommt, hier in dieser Gegend verwurzelt war und es immer geblieben ist. Rudi Assauer hat die Sprache der Menschen hier gesprochen und sich nicht verstellt. Das ist der Ausdruck einer zurückhaltenden Liebenswürdigkeit und jeder wusste, dass da immer ein gutes Herz hinter steckte. Wir feiern hier einen ökumenischen Gedenkgottesdienst, in dem wir für das Leben dieses Menschen danken wollen. Und wo es Pfarrer Dohm und mir sehr wichtig ist zu sagen, dass wir Gott für dieses Leben danken, auch für so ein besonderes Leben mit all seinen Facetten.
Hat der Verein begründet, warum er einen Gedenkgottesdienst für Assauer möchte?
Nein, es gab dafür keine Begründung. Aber bei einer solchen Persönlichkeit wie Rudi Assauer, der hier im Ruhrgebiet eine Identifikationsfigur war, besteht einfach die Notwendigkeit einer Form der öffentlichen Verabschiedung, des öffentlichen Danke-Sagens. Und ich finde gut, dass Schalke das so tut. Sicherlich gibt es da so ein Fühlen darum: das gehört irgendwie dazu. Auch der regelmäßige Gottesdienstbesuch ist in keiner Weise selbstverständlich, und dennoch gehört es für viele ganz klar dazu, am Heiligen Abend in die Kirche zu gehen, obwohl sie an den restlichen 364 Tagen dort nicht hingehen. Und bei einer Persönlichkeit wie Assauer, auch mit all der Tragik am Ende durch seine schwere Erkrankung, gibt es auch ein öffentliches Interesse daran, Abschied zu nehmen. Das gibt es immer wieder, das haben wir beispielsweise in einem besonderen Maße bei der Beisetzung von Prinzessin Diana 1997 sehen können.
Du hast unseren Verein geprägt wie kaum ein Zweiter. Ruhe in Frieden, Rudi #Assauer! 🙏 pic.twitter.com/889WFAsdn0
— FC Schalke 04 (@s04) 6. Februar 2019
Wie lange wird der Gottesdienst dauern?
Gut eine Stunde. Ein Bergmannschor wird singen, Pfarrer Dohm wird predigen, weil er ja auch Rudi Assauer persönlich sehr gut kannte. Außerdem wir es wohl noch zwei oder drei Reden von Vereinsseite geben. Wir stehen in ständiger Abstimmung
Sehen Sie die Gefahr, dass der Gottesdienst zu einem Event verkommen könnte?
Nein, der Verein legt sehr viel Wert darauf, dass die Würde des Ortes geachtet wird. Ich habe den Eindruck, dass die Urbanus-Kirche nicht nur als sozusagen die größtmögliche Location im Ort gewählt wurde, sondern wegen der Würde des Gotteshauses.
Gehen Sie auch anders in einen solchen Gottesdienst hinein?
Ja, schon. Das ist ein anderes Publikum, das vielleicht auch nicht zwingend viele Erfahrung mit Gottesdiensten hat. Die Herausforderung bleibt, bei allem daraus wirklich das zu machen was es ist: nichts anderes als ein Gottesdienst.
Pfarrer Dohm kannte Rudi Assauer gut. Hatten Sie auch Gelegenheit, ihn kennenzulernen?

Propst Markus Pottbäcker (Foto: Boris Spernol)
Kennenlernen wäre zu viel gesagt. Ich habe ihn in meiner Zeit als Diözesanjugendseelsorger einmal von Nahem erlebt: in der Vorbereitung des Weltjugendtages 2005, als wir im Rahmen der Begegnung im Bistum Essen die Abschlussveranstaltung in der Schalker Arena gemacht haben. Dazu gab es eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem damaligen Bischof von Essen, Felix Genn, der heute in Münster ist. Diese Kombination habe ich als besonders spannend erlebt, weil beide komplett unterschiedliche Persönlichkeiten waren oder sind: Assauer hatte seine Zigarre und redete mit dieser dunklen, knorrigen Stimme in sehr klaren Worten. Neben ihm saß unser Bischof, der in einer sehr gewählten Sprache mit seiner hohen Stimme sprach. Das war ein Kontrast (lacht). Assauer war es wichtig, dass die Schalke-Arena auch für die Jugendlichen aus der katholischen Welt zur Verfügung steht. Das war eine tolle Veranstaltung.
Sie sind als gebürtiger Duisburger bekennender Schalke-Fan.
Ja, zum Leidwesen meines Vaters, der ein großer MSV-Anhänger war, habe ich nie zum MSV gefunden. Ich bin dann seit Studienzeiten immer irgendwie mit Schalke mitgelaufen, und die Liebe ist dann immer mehr gewachsen. Die „Vier-Minuten-Meisterschaft“ 2001 hat mich wirklich ins Herz getroffen. Und das hat, glaube ich, die Identität dieses Vereins mit dem Ruhrgebiet verstärkt. Das kann, bei allem Respekt, kein anderer Verein im Ruhrgebiet so für sich in Anspruch nehmen.
2001 ist ein gutes Stichwort. Da hat Rudi Assauer gesagt: Ich glaube nicht mehr an den Fußballgott. Ein schwieriges Thema für einen Theologen?
Eigentlich ist es relativ einfach für Theologen, weil es keinen Fußballgott gibt. Das sind natürlich Vorstellungen der Antike, wo die Menschen für bestimmte Bereiche immer an eine eigene Gottheit glaubten. Das will ich Rudi Assauer aber gar nicht unterstellen, dass er das genauso gemeint hat. Es war einfach der Ausdruck einer immensen Enttäuschung. Natürlich denkt man sich da auch: Warum schon wieder die Bayern, und dann auch noch auf so eine blöde Weise. Aber es gibt natürlich auch, sehr ernsthaft formuliert, unendlich viel mehr auf dieser Welt, wo man an Gott als solches verzweifeln kann. Und das sind viel schlimmere Dinge als so eine tragische Geschichte, die auch mich emotional gepackt hat. Ich weiß noch genau, wo ich saß und wie ich das empfunden habe. Das war schon ungerecht irgendwie.
Sie beten aber wahrscheinlich eher für guten Fußball, als für einen konkreten Sieg.
Ich glaube, da sollte man sich nichts vormachen. Ich wäre ja kein Fan, wenn ich immer sagen würde: Ach, lieber Gott, weißt Du in deiner großen Güte, lass uns mal sehen, wie das hier ausgeht, und am Ende gib mir halt den Trost, wenn wir mal wieder haushoch verloren haben. Nein! Ich sage ihm auch: jetzt mach mal! Aber ich verzweifele nachher nicht, weil das natürlich auch Ausdruck meiner begrenzten menschlichen Denkweise ist. Und all dessen was mich ausmacht: Der Fan ist eben etwas anderes als jemand, der einfach so neutral mit Gott spricht.
Wenn es kein Aberglauben oder Götzendienst ist: Warum sprechen Menschen dann von einem Fußballgott oder Wettergott?
Ich sehe darin einen Alltagsgebrauch von Gott, und das ist ja ein sehr positives Zeichen. Es passiert mir ja auch, dass ich beispielsweise am Morgen des Gemeindefestes, wenn es wie verrückt regnet, sage: Ach komm, das ist für dich doch eine Kleinigkeit, jetzt diesen Regen aufzuhalten. Und ich glaube, das ist bei ganz vielen Menschen so, auch in den einfachen Bezügen des Alltags. Und das wiederum würde ich sehr positiv deuten, dass ich Gott so in meinen Alltag eingebunden habe, dass auch mein Alltag bei ihm eine Rolle spielt und er in meinem Alltag eine Rolle spielt. Natürlich muss ich immer das Korrektiv einbauen, dass ich mein Gottesbild nicht so davon abhängig machen kann, wie ich dies vielleicht noch als Kind getan habe. Wenn etwas nicht nach meinem Wunsch passiert, bin ich beleidigt. Natürlich ist das Kleinstkram und natürlich ist dieser Gott etwas ganz anderes und weit größer.
Man sagt dem Fußball im Allgemeinen und insbesondere dem Fußball auf Schalke eine religiöse Aufladung nach. Stimmen sie dem zu?
Ich sehe das absolut so. Das ist eine quasiliturgische Aufladung. Am Anfang wird ein Lied gesungen. Es gibt einen Einzug. Es gibt diese Fahnen schwenkenden Menschen. Da kann ich mich emotional überhaupt nicht entziehen. Ich finde das fantastisch. So etwas sehe ich in einer ähnlichen Weise auch, wenn ich bei einem feierlichen Gottesdienst bei einer vollen Kirche im Orgelklang mit Weihrauch in so einer Kirche entziehe: Beides sorgt für Gänsehaut. Warum nicht? Die Elemente sind ja dieselben. Die Spieler gehen ja nicht raus und gehen zurück in den Tunnel, sondern da geht es los. Im Gottesdienst nähern wir uns mit dem Einzug dem Heiligen. Wir laufen ja Wege in der Liturgie, die eigentlich unnötig sind. Man könnte ja viel schneller am Altar sein. Aber darum geht es nicht: Wir nähern uns langsam einem Geschehen, das ein besonderes ist. Und dieses Besondere bindet uns auch als Gemeinschaft. Wenn im Stadion 55.000 Menschen aus tiefster Brust singen, dann hat das wirklich einen ganz tollen Effekt auf die Solidarität und die Gemeinschaft. Das ist ja nichts, worauf die Kirche ein Monopol hätte. Gleichwohl nehmen wir natürlich schon in Anspruch, dass unsere Zeichen auf etwas noch Größeres verweisen wollen.
Und in diesem Fall sucht der Fußball ja auch Gottes Nähe.
Es gibt in der Schalker Arena ja eine Kapelle, die vor allem für Trauungen und Taufen genutzt wird, also bei Lebenswenden. Sie suchen den Beistand und den Segen vom Himmel. Für den Tod gilt das noch einmal in besonderer Weise, weil er die größte Lebenswende ist. Bei der Beerdigung sagen wir ja nicht, was alles gut war im Leben, ob es stimmt oder nicht, sondern wir machen den Himmel auf – und sagen: Ja, wir sind dankbar für das Leben dieses Menschen und alles, was da geschehen ist. Hier gibt’s dann vielleicht im Fall von Rudi Assauer doch einen zwinkernden Fußballgott, der sagt: „Ich weiß, 2001 … Tut mir leid, aber trotzdem herzlich willkommen im Himmel.“