„Dieser Gipfel hat uns wirklich verändert“

Nach diesen Tagen kann keiner in der katholischen Kirche mehr behaupten, Missbrauch gehe ihn nichts an. Das wesentliche Ergebnis des Gipfeltreffens ist vielen dennoch zu wenig.

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Was soll das Ganze bewirken? Anfänglich übergroße Erwartungen an das weltweite Gipfeltreffen zu Missbrauch und Kinderschutz in der katholischen Kirche waren zuletzt arg heruntergeschraubt worden. Das Ziel des Papstes, „nur“ ein gleiches Bewusstsein für den Skandal des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen zu schaffen, stieß bei nicht wenigen auf Empörung.

„Das ist ein weltweites Problem! Welchem Bischof muss das noch erklärt werden?“, so Denise Buchanan aus Jamaika. Als eine Vertreterin des internationalen Netzwerks „Ending Clergy Abuse“ (ECA) demonstrierte sie mit bis zu 40 weiteren Betroffenen auf den Plätzen rund um den Vatikan für „Null Toleranz“ in Sachen Missbrauch.

Versagen der Kirche

Seit Donnerstag hörten – und sahen – die 190 Bischöfe und Ordensoberen vier Tage lang Zeugnisse von Opfern, lauschten Referaten, berieten in Arbeitsgruppen, bekannten in einem Bußgottesdienst das Versagen der Kirche und hörten eine grundsätzliche Rede des Papstes.

Dass der Vatikan erst am Sonntagmittag – fast drei Stunden nach Ende des Treffens – weitere konkrete Schritte bekanntgab, kam für die Teilnehmer so überraschend wie für die Öffentlichkeit. Erwartet worden waren sie bereits in der Schlussrede des Papstes, Platz darin wäre gewesen. Die Reaktionen von Betroffenen-Verbänden zur Papstrede und den angekündigten Maßnahmen zeugen von Enttäuschung.

Zollner: Das wichtigste Ziel erfüllt

Dennoch lassen sich rückblickend einige wesentliche Ergebnisse des Treffens festhalten: Erstens galt es, gemeinsame existenzielle Betroffenheit zu wecken. Nur dann könne der Kampf gegen Missbrauch zu einem „Herzensanliegen“ werden, wie Hans Zollner, Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission, es fordert. Am Sonntagnachmittag sieht der Jesuit, sichtlich übermüdet, dieses für ihn wichtigste Ziel erfüllt.

Als am Freitagabend eine rund 50-jährige Frau den Kirchenoberen ausführlich berichtete, wie ein Priester sie als Kind über fünf Jahre hinweg vergewaltigte, sie zu drei Abtreibungen zwang und den Rest ihres Lebens zerstörte, war dies einer der bedrückendsten Momente des Treffens. „Dieser Gipfel hat uns wirklich verändert. Da ist etwas mit uns passiert in dieser Aula!“, sagte die nigerianische Ordensobere Veronica Openibo. Nach dem 24. Februar 2019 jedenfalls kann keiner mehr behaupten, er habe den Schuss nicht gehört.

Viel dazugelernt

Dass auch der Papst viel dazugelernt habe und dazulernen musste, wurde in der Aula ebenfalls thematisiert – von Schwester Veronica wie von der mexikanischen Journalistin Valentina Alazraki. Viele Beobachter wie Teilnehmer der Konferenz bewerteten die Referate dieser beiden Frauen als die stärksten. Was die Jugendsynode schon andeutete: Je diverser die Redner bei solchen Treffen, desto fruchtbarer das Gesprächsklima.

Ein zweites Element war die wiederholte Forderung, bestehende Regelungen konsequent anzuwenden – inklusive der Verpflichtung, mit staatlichen Stellen zu kooperieren. Wer von den Bischöfen da bisher unsicher war, soll in Kürze ein „Vademecum“, also eine Art Leitfaden erhalten, der Schritt für Schritt erläutert, wie bei Missbrauchsverdacht sowie Prävention vorzugehen ist. Kirchliche „Task-Forces“ dazu sind angekündigt, warten dem Vernehmen nach auf das „Go“ von oben.

Weitreichende Vorschläge

Weiterreichende Vorschläge kommen etwa von Kardinal Reinhard Marx, der das „Päpstliche Geheimnis“ bei Missbrauchsermittlungen nicht mehr gelten lassen möchte. Eine Kontrolle von Bischöfen durch Metropolitan-Erzbischöfe oder gemischt besetzte Aufsichts- und Beratungskommissionen gehören ebenfalls dazu. Und Generaloberin Openibo schlägt eine radikale Reform der Ausbildung von Priester- und Ordensnachwuchs vor.

Die vielzitierten Begriffe Zölibat und Homosexualität fielen zwar hier und da, waren aber kein bestimmendes Thema. Weder das eine noch das andere stehe in direktem Zusammenhang mit Missbrauch, betonten Teilnehmer.

Rückschläge

Angesichts der Zusammensetzung des Gipfels darf noch ein Aspekt nicht außer Acht bleiben: Manch einem musste das Treffen erst Mut machen, sich überhaupt dem Thema zu stellen. Etliche Bischöfe seien immer noch wie gelähmt, wenn sie damit konfrontiert würden, berichtete Erzbischof Charles Scicluna. Hinzu komme, dass es Länder gebe, in denen Behörden das Thema Missbrauch zur Verfolgung der Kirche ausnutzten.

Die Außenwirkung des Gipfels indes erlitt einige Rückschläge. Ohne sie wäre das Treffen wohl wirksamer und glaubwürdiger gewesen. So durften etwa Opfer-Verbände nur am Rande auftreten. Eine kurze persönliche Begegnung mit Franziskus, ein kurzes Statement vor der Vollversammlung hätten viele Gemüter beruhigt.

Abschlussrede blieb er im Grundsätzlichen

Auch hatte Franziskus zu Beginn noch konkrete Schritte gefordert; in seiner Abschlussrede dagegen blieb er im Grundsätzlichen. Die zum Teil heftige Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Und die drei Stunden später bekanntgegebenen nächsten Schritte können das nur wenig abfedern.

Was das veränderte Bewusstsein tatsächlich bewirkt, muss sich vor Ort zeigen. „Entscheidend is‘ auf’m Platz“, heißt es beim Fußball. Die Plätze der Kirche sind die Bistümer, Ordensgemeinschaften, Pfarreien, Schulen – und die Kurie selber.

Ein angekündigtes Papstwort („Motu Proprio“) etwa ist angeblich seit zwei Jahren so gut wie fertig. Es enthält offenbar nichts Anderes als jene Richtlinien, die die Bischofskonferenzen weltweit längst haben fertigstellen müssen, dieses Mal für den Vatikanstaat und das Bistum Rom.

Von Roland Juchem (KNA)