„Diese Kirche wird bestreikt“

Wattenscheider Frauen rufen im Mai mit „Maria 2.0“ zum Kirchenstreik auf

Unter kritischen Christinnen und Christen heißt es oft: „Wenn die Frauen die Kirche verlassen, geht das Licht aus.“ Denn ob als Gottesdienstbesucherin, Ehren- oder Haupt­amtliche: in vielen Gemeinden sind es die Frauen, die das kirchliche Leben noch aufrecht erhalten. Und über kurz oder lang – so hoffen viele – schlägt sich das auch in der Ämterfrage nieder. Weil es irgendwann einfach nicht mehr anders geht – wobei die Frauen lieber aus Einsicht und Überzeugung der Kirchenleitung den freigeräumten, ihnen zustehenden Platz in der Katholischen Kirche einnehmen wollen. Und nicht als Lü­ckenbüßerinnen wegen des Pries­termangels.

(Foto: Tim Mossholder)

Weil das Thema Frauen und Kirche im Zuge des Missbrauchsskandals und der dadurch befeuerten Debatte um Ämter, Klerikalismus und Männerbünde neue Fahrt aufgenommen hat, scheint die Stunde derzeit aber günstig für besondere Aktionen. Und so heißt es sinngemäß vom 11. bis 18. Mai in der Wattenscheider Pfarrei St. Gertrud: „Diese Kirche wird bestreikt!“

Genauer gesagt: das Kolumbarium. Während Beisetzungen durch die hauptamtlichen Mitarbeiter weiter stattfinden, entfallen in der Woche die Angebote der ehrenamtlich tätigen Frauen, die sich im „Arbeitskreis Trauerpastoral“ engagieren. Dazu gehört etwa das Trauercafé, das am 12. Mai ausfällt. Dabei geht es nicht darum, Trauernde allein zu lassen – sondern den Blick für eines der brennendsten Themen der Kirche zu schärfen: die Frage nach der Rolle und der Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche. Und auch die Frage danach, wie die Kirche mit denen umgeht, die trotz allem immer noch zu ihr stehen und sich in ihr engagieren.

Initiatorin Elisabeth Hartmann-Kulla, die lange an der Spitze der diözesanen kfd (Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands) stand, ist es wichtig, dass sie und ihre Unterstützerinnen aus Liebe und Treue zur Kirche handeln. Wäre es nicht so, würden sie vielleicht mit den Füßen abstimmen und die Kirche verlassen.

Gottesdienst im Freien

Stattdessen knüpfen sie an die kfd-Aktion „Macht das Licht an!“ an, bei der im Winter Frauen Taschenlampen auf Kirchentüren richteten, um Licht ins Dunkel und den Fokus auf die Missstände zu bringen. Aber auch, um auszudrücken, dass sie noch immer Hoffnung haben, dass wieder Licht in die Kirche fällt. Also dass Neuanfänge möglich sind und die Kirche eine Zukunft hat.

Die Frauen in St. Gertrud lassen es symbolisch Licht werden. Sie werden während des Streiks nicht nur ein weißes Banner mit der Aufschrift „Wir streiken“ am Kolumbarium anbringen. Sie werden auch den für den 16. Mai geplanten Gottesdienst um 19 Uhr nutzen, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. „Vermutlich werden wir weiße Kleidung tragen“, sagt Hartmann-Kulla. Der Gottesdienst wird als Zeichen des Protestes draußen, vor dem Kolumbarium, stattfinden. „Wir bestreiken nicht die Liturgie – wir bestreiken den Kirchenraum“, betont Hartmann-Kulla. Sie wollen niemandem den Raum fürs Gebet nehmen.

Angelehnt ist der Protest an eine Aktion der Gemeinde Heilig Kreuz im Bistum Münster, „Maria 2.0“. Damit rufen die Frauen zur vollständigen Aufklärung des Missbrauchsskandals und die Überstellung der Täter an weltliche Gerichte auf. Sie fordern den Zugang zu allen Weiheämtern, die Abschaffung des Pflichtzölibats und eine Neuausrichtung der kirchlichen Sexualmoral an der Lebenswirklichkeit der Menschen. Verbunden wird das mit einem Offenen Brief an Papst Franziskus.

Bedenkenträger und konservative Kräfte verweisen gerne darauf, dass die deutsche Kirche alleine nichts ausrichten könne und das Tempo der Weltkirche entscheidend sei. „Das kann ich nicht mehr hören“, sagt Hartmann-Kulla. „In anderen Ländern, in Südamerika und Afrika ist in manchen Gegenden schon viel mehr möglich, als wir uns hier manchmal trauen.“ Das Weltkirchenargument ist für sie ein Bremsargument.

Doch die Frauen wollen sich nicht länger ausbremsen lassen. Hartmann-Kulla setzt deshalb auch auf Vernetzung und schaltet in diesen Tagen eine Facebook-Seite zu Maria 2.o im Bistum Essen frei. Aus Oberhausen, Kierspe und Essen hat sie schon von ähnlichen Initiativen gehört. Und sie hofft, dass noch viele Gemeinden mitmachen.

Hildegard Mathies