Die für Oktober geplante Amazonas-Synode in Rom wird nach Worten von Adveniat-Bischof Franz-Josef Overbeck zu einer “Zäsur” in der katholischen Kirche führen. “Nichts wird mehr sein wie zuvor”, sagte der für das katholische Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat zuständige Ruhrbischof am Donnerstag vor Journalisten in Essen. So stehe die hierarchische Struktur der Kirche genauso auf dem Prüfstand wie ihre Sexualmoral und das Priesterbild. Auch die Rolle der Frau in der Kirche müsse überdacht werden.
Weitere Probleme sind laut Overbeck der Rückgang an Gläubigen – nicht allein in Europa, sondern besonders auch in Lateinamerika. Zudem müsse die Kirche auf die “immense Ausbeutung” der Natur und die Missachtung der Menschenrechte reagieren. “Über all das wird auf der Amazonas-Synode zu sprechen sein”, sagte der Bischof bei der Vorstellung der Jahresbilanz von Adveniat.
Papst Franziskus hat zu der Amazonas-Synode vom 6. bis 27. Oktober im Vatikan eingeladen. Bei der Bischofsversammlung soll es neben der Ökologie um Theologie und Seelsorge, um die Belange der Indigenen sowie um Menschenrechte gehen. Franziskus habe mit seiner südamerikanischen Perspektive dafür gesorgt, dass ein Bewusstsein für diese Herausforderungen entstanden sei, so Overbeck.
Die “eurozentrische Struktur” der katholischen Kirche werde sich ändern, erläuterte der Bischof. Das zeige sich schon daran, dass in Lateinamerika die Ortskirchen und ihr Klerus immer selbstständiger würden. Dort habe es bisher viele Priester aus Europa gegeben, die jetzt nicht mehr zur Verfügung stünden. Zugleich stelle sich auch in Lateinamerika ein Priestermangel ein. Er kenne Diözesen, in denen einem Bischof noch gerade zehn Priester für ein riesiges Seelsorgegebiet zur Verfügung stünden. Schon jetzt seien die Kirchen vor Ort vor allem durch Ordensfrauen geprägt. “Das Gesicht der Kirche vor Ort ist ein Gesicht von Frauen”, so der Adveniat-Bischof.
Overbeck verwies auf Zahlen, wonach sogar in Brasilien, dem größten Land Südamerikas, der Katholikenanteil von einst 90 auf jetzt noch knapp 70 Prozent zurückgegangen sei. In anderen Ländern liege sie noch bei knapp 50 Prozent. Die Entwicklung halte an. Ähnliches habe sich in Europa vollzogen, wo in vielen Ländern nur noch etwa die Hälfte der Menschen überhaupt einer christlichen Kirche angehörten. Auf all das müsse die Kirche reagieren und Antworten finden, betonte der Bischof. Die Kirche werde das “Schritt für Schritt” über mehrere synodale Prozesse tun.
Auf vorsynodalen Treffen zur Amazonas-Synode, die im kommenden Oktober im Vatikan stattfindet, sei unter anderem deutlich geworden, dass der Priestermangel in der Kirche Lateinamerikas ein noch viel drängenderes Problem sei als in Europa. „Das lässt sich anhand eines Vergleichs verdeutlichen: In Europa beträgt das Verhältnis der Zahl der Priester zur Anzahl der Katholiken 1 zu 1.617, in Südamerika ist es 1 zu 7.200“, erläuterte der Adveniat-Bischof. Hinter der Zahl stehe zum Beispiel die Frage, ob die Gläubigen in Lateinamerika oder der Karibik die Möglichkeit haben, sich als Volk Gottes in ihrer Gemeinde am Sonntag zu versammeln, um gemeinsam Eucharistie zu feiern. „Wenn im Amazonasgebiet ein Priester nur zweimal oder dreimal pro Jahr in einer Gemeinde präsent sein kann, dann beantwortet sich die Frage von allein“, so Bischof Overbeck. Die Einberufung, Themensetzung und Gestaltung der Amazonas-Synode zeige: „Die Zukunft der einen weltweiten Kirche liegt in ihrer regionalen Vielfalt. Und die Zukunft unseres Planeten hängt von der Solidarität der Vielen weltweit ab.“
Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Michael Heinz beklagte angesichts der dramatischen Lage in Venezuela aber auch der Entwicklungen in Brasilien und Kolumbien: „Lateinamerikas Präsidenten, ob nun links oder rechts, beuten Mensch und Natur rücksichtslos aus.“ Gewinnmaximierung zugunsten der politischen und wirtschaftlichen Eliten sei alleiniger Maßstab ihres Handelns. „Viel zu viele Lateinamerikaner sind ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grundrechte beraubt. Sie leiden unter Staatsversagen, Gewalt, Hunger, Obdachlosigkeit, fehlendem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung und der rücksichtslosen Ausbeutung der Ressourcen.“ Pater Heinz machte deutlich, dass er die Ursachen dafür auch im Konsumverhalten und der von Wirtschaftsinteressen gelenkten Politik in den reichen Ländern wie Deutschland sieht. „Weltweite Solidarität und verantwortliches Handeln im Alltag sind Grundvoraussetzung dafür, dass alle Menschen in Frieden untereinander und mit der Umwelt leben können.“
Für den Adveniat-Chef steht deshalb fest: „Nur eine vorrangige Option für die Schöpfung kann unseren Planeten noch retten. Der umfassende Schutz der ausgegrenzten Armen und der geschundenen Umwelt müssen absolute Priorität haben.“ In Deutschland und weltweit gehen hunderttausende Jugendliche bei den Kundgebungen ‚Fridays for future‘ für ihre Zukunft auf die Straße, in Brasiliens Hauptstadt Brasilia protestieren die indigenen Völker aus dem Amazonas für ihre Rechte. „In dieser existentiellen Situation für das Überleben des Planeten stehen wir als Lateinamerika-Hilfswerk und als Kirche unmissverständlich an der Seite der kommenden Generationen und der bedrohten ursprünglichen Völker weltweit“, sagte Pater Heinz. Rückenwind für dies Position erlebt Adveniat in diesen Fragen immer wieder durch Papst Franziskus, der die Begründerin der Fridays-for-future-Bewegung Greta Thunberg aufgefordert hat: „Mach weiter!“. Und mit der Einberufung der Amazonas-Synode habe er klargestellt: Der Schutz des Ökosystems Amazonas und der dort lebenden indigenen Völker ist eine globale Herausforderung, die uns alle angeht. „Die Umweltfrage steht in keinem Gegensatz zur sozialen Frage, wie Papst Franziskus schon in seiner Sozial- und Umweltenzyklika Laudato si‘ deutlich gemacht hat“, so Pater Heinz. „Es gibt nur eine soziale und ökologische Krise, für deren Lösung in weltweiter Solidarität alles getan werden muss.“
Erfreut zeigte sich Adveniat-Geschäftsführer Stephan Jentgens über die Steigerung der Einnahmen im Geschäftsjahr 2018: „Wir können weiterhin auf die hohe Spendenbereitschaft unserer Spenderinnen und Spender zählen. Im Geschäftsjahr 2018 sind die Einnahmen aus Kollekten, Spenden und weiteren Erträgen auf 46,91 Millionen Euro leicht angestiegen.“ Besonders erfreulich sei, dass sich erstmals seit einigen Jahren die Einnahmen aus der Weihnachtskollekte wieder auf 24,83 Millionen Euro erhöhten während die Einzelspenden mit 12,39 Millionen Euro erneut eine Rekordmarke erreichten.
Mit insgesamt 36,17 Millionen Euro hat Adveniat im vergangenen Geschäftsjahr 1.942 Projekte in Lateinamerika und der Karibik gefördert. „Vor dem Hintergrund der sich immer weiter verschärfenden humanitären Krise in Venezuela hat Adveniat die Zahl der Projekte dort auf 116 gesteigert, in die mehr als 1,4 Millionen Euro geflossen sind“, nannte Jentgens einen Schwerpunkt. Projektpartner aus Venezuela und dem Nachbarland Kolumbien würden im Advent 2019 in Deutschland von Hunger, Flucht und fehlender Gesundheitsversorgung aber auch den Hoffnungszeichen und Hoffnungstaten berichten, die einen Aufbruch in eine solidarische und friedliche Welt möglich machen. „Die Menschen in Lateinamerika und der Karibik brauchen unsere Aufmerksamkeit, Solidarität und Spendenbereitschaft“, betonte der Adveniat Geschäftsführer. Deshalb laute das Motto der bundesweiten Weihnachtsaktion 2019 „Friede! Mit Dir!“.