„Wie sehr wünsche ich mir eine arme Kirche für die Armen!“ Dieser Ausruf aus den ersten Tagen der Amtszeit von Papst Franziskus hat viele in der Kirche aufgeschreckt. Eine arme Kirche? Bitte nicht! Immer wieder zielte der Papst aus Lateinamerika auf Pomp, Selbstzufriedenheit und Äußerlichkeiten, auf Klerikalismus und auf die Beschäftigung mit sich selbst. All das ist keineswegs neu – es steht in langer Tradition.
Wie sehr, das zeigt nicht nur der theologische Armutsstreit des Mittelalters, sondern auch der sogenannte Katakombenpakt: Kurz vor Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, am 16. November 1965, trafen sich rund 40 Bischöfe aus allen Erdteilen in der römischen Domitilla-Katakombe und verpflichteten sich auf eine dienende und arme Kirche. Der Pakt griff das Leitwort des verstorbenen Konzilspapstes Johannes XXIII. (1958-1963) von einer „Kirche der Armen“ auf.
Ihrer Selbstverpflichtung schlossen sich später weitere 500 Bischöfe an. Sie enthält unter anderem das Bemühen, „so zu leben, wie die Menschen um uns her üblicherweise leben, im Hinblick auf Wohnung, Essen, Verkehrsmittel“, sowie den Verzicht, „als Reiche zu erscheinen wie auch wirklich reich zu sein“, insbesondere in Amtskleidung und Insignien.
Die Bischöfe kündigten an, die Finanz- und Vermögensverwaltung ihrer Diözesen in die Hände fachkundiger Laien zu legen, „damit wir Hirten und Apostel statt Verwalter sein können“. Auch lehnten sie es ab, „mit Titeln oder Bezeichnungen angesprochen zu werden, in denen gesellschaftliche Bedeutung oder Macht zum Ausdruck gebracht werden (Eminenz, Exzellenz, Monsignore …)“. Sie wollten als „Padre“ angesprochen werden. Ausdrücklich verpflichteten sie sich zum „Dienst an den wirtschaftlich Bedrängten, Benachteiligten und Unterentwickelten“. Das Schreiben endete mit der Bitte: „Gott helfe uns, unseren Vorsätzen treu zu bleiben.“
Diese Vorsätze erneuern und weiterführen wollen über 40 Bischöfe Amazoniens, die 54 Jahre später, an diesem Sonntag, am selben Ort einen zweiten „Katakombenpakt für das gemeinsame Haus“ unterzeichneten. Darin verpflichten sie sich zum Schutz Amazoniens und seiner Bewohner, zu respektvoller Verkündigung des Evangeliums, einer synodalen Kirche unter Beteiligung und Mitverantwortung von Laien, vor allem Frauen, sowie einem nachhaltigen Lebensstil.
Dieser zweite Katakombenpakt soll den ersten von 1965 bekräftigen. Er ist aber auch eine eigene Selbstverpflichtung, gemäß der Papst-Enzyklika „Laudato si“ soziale, kulturelle und ökologische Anliegen vernetzt anzugehen. Der brasilianische Kardinal Claudio Hummes, Generalrelator der parallel tagenden Amazonas-Synode, mahnte – ganz im Sinne von Franziskus – seine Mitbrüder zu einem konkret gelebten Zeugnis und zu Gebet.
Treibende Kräfte des ersten Katakombenpakts waren Helder Camara (1909-1999), damals frisch ernannter Erzbischof von Olinda und Recife in Brasilien, und Bischof Manuel Larrain von Talca/Chile (1900-1966), der Vorsitzende des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM. Die Kontinuität mit damals unterstrich Hummes an diesem Sonntag, als er dem Mit-Initiator des zweiten Paktes und langjährigen Bischof von Xingu, Erwin Kräutler, Camaras Stola von damals überreichte.
Beim Konzil waren die Lateinamerikaner – obwohl sie mehr als ein Fünftel der Teilnehmer und fast die Hälfte der Katholiken weltweit stellten – nicht durch viele Wortmeldungen aufgefallen. Sie hatten eine ganz andere Perspektive auf die Verheutigung der christlichen Botschaft und andere Probleme als die Europäer: Massenverelendung in Städten und Dörfern, Menschenrechtsverletzungen, heraufziehende Bürgerkriege und Diktaturen von rechts und links. Viel hat sich seither nicht geändert. Diktaturen gibt es weniger, dafür mehr Migration, Raubbau an der Natur und den Klimawandel.
Der „Katakombenpakt“ sei auch eine Anfrage an die Kirche in Deutschland, räumt der Weltkirche-Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Ludwig Schick, heute ein. Die reiche Kirche Deutschlands finanziert viel Gutes, auch in der Entwicklungshilfe. Am Ende ist sie aber auch mittelbar ins (Steuer-)System jener Weltwirtschaft eingebunden, die der aktuelle Papst Franziskus als „tödlich“ diagnostiziert.
Aus dem Konzilstagebuch von Helder Camara (1909-1999), damals Weihbischof in Rio de Janeiro, 3. November 1962:
„Ich komme soeben zurück vom Pontifikalamt (…) in Ehrung des Papstes, der den vierten Jahrestag seiner Krönung begeht. Ich war offenen Herzens hingegangen, denn Johannes XXIII. ist ein Mensch, den die Vorsehung gesandt hat. Doch dann ging ich betrübt wieder nach Hause, so wie nach dem Pontifikalamt bei der Eröffnung. (…) Auf die nichtkatholischen Beobachter ist die Wirkung (…) äußerst negativ: ein Exzess an Pomp und keine gemeinschaftliche Liturgie. Es bedrückt mich sehr zu sehen, wie das Volk – einschließlich der von weither angereisten Pilger – draußen auf dem Petersplatz bleiben müssen: Es gehen die Bischöfe rein, und die Tore schließen sich.
(…) Die drei päpstlichen Wächter in schwerer Uniform – lächerlich, etwa, wenn sie sich beim Segen niederknien mit dem rechten Knie, während sie mit der linken Hand salutieren, weil sie mit der rechten die Lanze halten müssen. (…) Dann kommt der Papst auf seinem Thronsessel, von vier Männern auf den Schultern getragen, mit einer dreifachen Krone auf dem Kopf und einer perfekten Renaissance-Szenerie drumherum. Niemand sagte etwas, niemand sang (…).
Alles stand im krassen Gegensatz zu den Worten des Papstes, der vom „Diener der Diener“ sprach, vom guten Hirten und von Bescheidenheit und Demut. Ich spüre da die Zwangsveranstaltung heraus, von der er sich noch nicht befreien kann. (…) Und ich träume von dem Tag, da der Stellvertreter Christi frei sein kann von allem Prunk und Gepränge, über das die Snobs und die Edlen sich freuen, was jedoch für die Kleinen und die Nichtglaubenden ein Ärgernis ist.“