Für Kolping-Auszubildende folgt nach dem Bühnenstück über eigene Erfahrungen zum Thema Holocaust nun der Besuch in Auschwitz
Essen. 100 Zuhörerinnen und Zuhörer füllten den Saal des Kolping-Berufsbildungszentrums in Kray an einem besonderen Tag. Am 27. Januar, dem 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, traten 19 Jugendliche am Ende einer Projektwoche mit einem Theaterstück auf die Bühne, das ihre Erfahrungen mit dem Holocaust aus der vorangegangenen Projektwoche zum Thema hatte. Nach der Aufführung folgt für sie jetzt der Besuch des größten Vernichtungslagers der Nazis. In der Todesfabrik wurden 1,1 Millionen Menschen ermordet.
Gefühle und Fakten kennenlernen dient dazu, sich dem Thema „Holocaust“ im Theater zu nähern. Foto: N. Cronauge| Bistum Essen
„In der Arbeit als Begleiter der Jugendlichen ging es uns nicht nur um Daten, Fakten und Zusammenhänge des Holocausts, sondern um viel mehr“, berichtet Autorin Regisseurin Rike Reiniger aus Berlin über fünf Tage im Bildungswerk, bei denen sie sich mit ihrem Mann als Bildungsreferent und Historiker auf die jungen Leute einließ. Denn „Was hat Auschwitz mit mir zu tun? Eine Ermittlung“ war Wochenthema, wovon viel in das Theaterstück einfloss. „Bemerkungen bei der Konfrontation mit Fakten an den Projekttagen legten Eindrücke offen. Die jungen Erwachsenen zeigten Gefühle, die sie gerade bei diesem Thema bewegten.“ Rike Reiniger verdichtete das zu einem ersten Text für die Aufführung. Ein zweiter wurde ebenfalls zur Vorlage für die jungen Schauspieler; es ging da um Zusammenhänge des Leidens und Sterbens im Lager auf der Grundlage des Oratoriums „Die Ermittlung“ von Peter Weiss. Weiss bezieht sich auf den Frankfurter Auschwitz-Prozesses gegen das Wachpersonal des Konzentrationslagers 1963 bis 1965.
Kolping wollte mit der Befragung von Kindern und Enkeln von NS Zeitzeugen und der Theater-Aufarbeitung bewusst eine Zielgruppe für die Zeit des Nationalsozialismus interessieren, die mit diesem Thema sonst seltener befasst ist. Denn im Kolping-Berufsbildungswerk lernen 230 Schülerinnen und Schüler, die mit Lernschwierigkeiten, psychischen Einschränkungen oder als Autisten zur Ausbildung nach Kray kommen.
Besuch im Museum von Schindlers Fabrik
„Manche von ihnen sind aufgrund ihrer Geschichte und ihrer Einschränkungen empfänglich für einfache Antworten“, betont Endrass, stellvertretender Leiter des Berufsbildungswerks die aktuelle Bedeutung des Projekts. Derzeit gebe es zwar keine offen auftretenden Rechtsradikalen in der Schülerschaft wie vor fünf Jahren. Damals war dies der Anlass für ein erstes Auschwitz-Projekt der Einrichtung.
Die Teilnehmer des aktuellen Projekts, hoffen die Kolping-Ausbilder, können demnächst eigene Erfahrungen und Erlebnisse aus der Projektwoche und in Polen den möglicherweise versteckt geäußerten Parolen im Klassenraum entgegenstellen. Auf dem Plan der Fahrt nach Polen steht in Krakau auch der Besuch der ehemaligen Fabrik von Oskar Schindler. Hier bewahrte er 1200 jüdische Zwangsarbeiter vor dem Tod in den Vernichtungslagern der Nazis.
„Die Aufführung war für Jugendliche, die in ihrer übergr0ßen Mehrheit noch nie auf der Bühne standen, ein riesiger Erfolg“, berichtet Regisseurin Rike Reiniger. „Gerade für Schauspielerinnen und Schauspieler mit schwierigen Lern- und Lebenserfahrungen war es nicht einfach, sich auf der Bühne zu zeigen, eigene Erfahrungen zu einem solchen Thema zu präsentieren und passend zum Textbuch wechselnde Einsätze untereinander in schneller Folge korrekt zu kombinieren.“ Reiniger spricht mit Achtung von der Leistung der jungen Erwachsenen zwischen 16 und 26. Auch bei ihnen selbst war nach der Aufführung Stolz über ihren Erfolg spürbar.
Mit der Gruppe, mit Lehrer Sven Schäfers und Psychologin Angela Dollberg hat sich Michael Endrass intensiv auf den Start nach Auschwitz und Krakau an diesem Sonntag vorbereitet. Die Vorfreude auf die fünf Tage in Polen sei unter den Schülern riesengroß. Alle drängten darauf, dass es losgeht, berichtetete er am Dienstag nach dem Theaterspiel in der Aula in Kray. Eins machte Endrass wiederholt und auch nach der Aufführung deutlich: „Auschwitz ist reale und herausfordernde Geschichte.“ Die jungen Besucher werden den Besuch dort am kommenden Dienstag schon während der Reise vor- und nachbereiten. Zum Abschluss kommenden Donnerstag zeigt dann das Museum von Schindlers Emaille-Fabrik, dass es möglich ist, gegen Menschenverachtung anzugehen.