Berlin. Hilfsorganisationen fordern von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sofortige Hilfe und Evakuierung der Flüchtlinge von der griechischen Insel Lesbos. Es brauche einen konzertierten europäischen Rettungsplan, heißt es in einem Offenen Brief von neun Organisationen (Freitag). Die Brandkatastrophe im Lager Moria und die „beschämende Lage“ dort seien „direktes Ergebnis einer verfehlten europäischen Flüchtlingspolitik“.
Im überfüllten EU-Hotspot Moria lebten zuletzt rund 12.000 Menschen, „zum Teil seit Jahren, unter erschütternden Bedingungen, zermürbt von Perspektivlosigkeit“, so der Befund der Hilfsorganisationen. Mit der Corona-Pandemie seien sie seit März 2020 völlig isoliert. Deutschland, das aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat, müsse sich unverzüglich für Katastrophenhilfe einsetzen und diese auch selbst einleiten, Obdach, Essen und medizinische Versorgung sicherstellen.
Schutzsuchende schnellstmöglich von Inseln evakuiert
„Die humanitären Zustände in Moria und den anderen Hotspots auf den griechischen Inseln hätten schon vor dem Brand zur Auflösung der Lager führen müssen“, heißt es weiter. Nun müssten die Schutzsuchenden schnellstmöglich von den griechischen Inseln evakuiert und in anderen europäischen Ländern aufgenommen werden. Auf dem griechischen Festland seien bereits Tausende Flüchtlinge obdachlos; eine Verlegung der Überlebenden von Lesbos aufs Festland sei daher keine Alternative.
In Deutschland haben sich Bundesländer und viele Kommunen zur freiwilligen Aufnahme von Geflüchteten bereit erklärt. Diese Bestrebungen dürften nicht mehr blockiert werden, sondern müssten unterstützt und ausgebaut werden, so die Forderung an die Kanzlerin. „Der Verweis auf eine europäische Lösung darf nicht dazu führen, dass deutsches Handeln verzögert wird.“
Paradigmenwechsel in Flüchtlingspolitik verlangt
Zudem wird ein Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik unter der deutschen Ratspräsidentschaft verlangt. Ein „Weiter so“ könne es nach dem Brand von Moria nicht geben. Die Strategie, Schutzsuchende mit dem Ziel an den Außengrenzen Europas festzuhalten oder sie „direkt von dort in autoritäre Staaten wie die Türkei zurückzuschicken“, sei gescheitert.
Unterzeichnet ist das Schreiben unter anderen von Pro Asyl, Amnesty International, Caritas, Diakonie, Brot für die Welt, Misereor und dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst.
Entwicklungsminister Gerd Müller: Weckruf
Zuvor hatte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) gefordert, der Brand im Flüchtlingslager von Moria müsse, „endlich dazu führen, eine gemeinsame europäische Lösung in der Flüchtlings- und Asylpolitik zu finden“ Der „Passauer Neuen Presse“ (Freitag) sagte er weiter: „Die dramatischen Ereignisse in Moria müssen ein Weckruf sein, die Zustände zu ändern und endlich zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik in Europa zu kommen.“
Es sei jetzt „enorm wichtig, dass wir nicht abwarten, sondern anpacken“, ergänzte er mit Blick auf die Notlage der Menschen, die durch die Brandkatastrophe zum zweiten Mal alles verloren hätten: „Das sind keine Flüchtlinge Griechenlands. Das sind Europas Flüchtlinge. Und deswegen steht auch Europa in der Pflicht zu helfen.“
Müller: Vorangehen der willigen EU-Staaten
Müller rät auch dazu, Angebote von Ländern und Städten anzunehmen, die bereit sind, 2.000 Menschen aus dem Lager aufzunehmen. „Das sind ja keine übereilten Vorschläge, denn die Kommunen und die Menschen wissen ja am besten, was leistbar ist“, betonte der Minister: „Diese Solidarität müssen wir aber auch von anderen europäischen Ländern einfordern. Wir brauchen eine europäische Lösung!“
„Ein „Weiter so“ wäre aus Müllers Sicht eine Niederlage für Europa und die gemeinsamen Werte der Solidarität und Humanität. Er sprach sich zumindest für ein Vorangehen der willigen EU-Staaten aus: „Wenn wir nicht zu einstimmigen Lösungen kommen, dann sollten die sechs oder acht Länder, die am stärksten betroffen sind, vorangehen. Wir können nicht immer auf die letzten warten. Sonst bewegt sich nichts.“ Das hätten die letzten Jahre leider gezeigt.