Gutachten belastet Aachener Altbischof und Ex-Generalvikar

Ein Gutachten über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Bistum Aachen belastet Altbischof Heinrich Mussinghoff (80) und seinen früheren Generalvikar Manfred von Holtum (76). Ihnen und den bereits verstorbenen Bischöfen Johannes Pohlschneider (Amtszeit 1954 bis 1974), Klaus Hemmerle (1975 bis 1994) sowie dem Generalvikar Karlheinz Collas (1978 bis 1997) attestiert die Münchner Anwaltskanzlei Westphal Spilker Wastl (WSW) in ihrer am Donnerstag per Videokonferenz präsentierten Untersuchung, mehr am Schutz der Täter interessiert gewesen zu sein als an der Fürsorge für die Opfer.

Aachener

Der Aachener Dom. (Symbolfoto: Sofie Layla Thal/Pixabay)

Gutachten: „Unverdiente Milde“ der Verantwortlichen im Bistum Aachen

Gegenüber verdächtigten und verurteilten Geistlichen habe es eine „unverdiente Milde“ seitens der Verantwortlichen gegeben, so die Anwälte. Allerdings habe der als charismatisch geltende Hemmerle auch Opfer besucht und ihnen die Übernahme von Therapiekosten angeboten. Die Akten der Diözese wiesen auffällige Lücken auf; in einem Fall könnte es eine gezielte Säuberung gegeben haben.

Die Diözese hatte das Gutachten im Sommer 2019 in Auftrag gegeben, um etwa Vertuschung ehemaliger oder aktiver Entscheidungsträger aufzuklären sowie strukturelle und systemische Fehler herauszufinden. Der Untersuchungszeitraum bezieht sich auf die Jahre 1965 bis 2019. Laut Kanzlei gab es Übergriffe von 81 Priestern, darunter zwei Diakone. Von den Geistlichen lebten noch 24. Die Zahl der Opfer beläuft sich auf 175, darunter 124 männliche und 45 weibliche. Das Geschlecht von 6 Opfern habe nicht verifiziert werden können.

Gutachten spricht von Orientierung „am Täterschutz“

Die Gutachter bemängeln, dass die Verantwortlichen sich „primär am Täterschutz“ ausgerichtet hätten. „Opfer sind in der Vorstellungswelt der kirchlichen Verantwortungsträger bis 2003 kaum jemals wahrgenommen worden“, sagte der WSW-Rechtsanwalt Martin Pusch. Es sei „nicht nicht aufgrund des ihnen zugefügten Leids“ auf die Opfer geblickt worden. Man habe sie „als Bedrohung für das Bistum und die Institution Kirche“ angesehen. „Die daraus resultierenden Bemühungen um Diskretion ließen keinen Platz für Aufklärung und Opferfürsorge.“

Die genannten Verantwortlichen wurden für das Gutachten ebenfalls befragt. Es gehe nicht darum, „diese beiden Personen an den Pranger zu stellen“, sagte Rechtsanwalt Ulrich Wastl. Es gehe darum, „die Grundlagen für eine Aufklärung und Verarbeitung des Geschehenen zu schaffen“. Dazu gehöre auch, „die Selbstreflektion zur persönlichen Verantwortlichkeit“.

Altbischof übte an Gutachten bereits vorab Kritik

Der amtierende Aachener Bischof Helmut Dieser und sein Generalvikar Andreas Frick nahmen als Gäste an der Videopräsentation teil. Zur Wahrung der Unabhängigkeit der Gutachter wurden sie laut Bistum zuvor nicht über die Untersuchungsinhalte unterrichtet. Sie wollen sich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu den Ergebnissen äußern.

Das Erzbistum Köln hatte ein ähnliches Gutachten bei der Sozietät Westphal Spilker Wastl in Auftrag gegeben, die Veröffentlichung aber wegen angeblicher methodischer Mängel Ende Oktober endgültig abgesagt und einen anderen Rechtsexperten mit der Untersuchung beauftragt. Im Vorfeld der Veröffentlichung hatten auch Mussinghoff und von Holtum die Münchner Anwälte kritisiert. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes dürfte das Gutachten nicht veröffentlicht werden, sagten sie. Von WSW erwarteten sie unberechtigte Schuldzuweisungen und kein faires Verfahren. Die Protokolle der Kanzlei über die mit ihnen geführten Interviews seien „fehlerhaft“.

kna